# taz.de -- Privilegien und Engagement: Antirassismus mit deutschem Pass
       
       > Der deutsche Rassismus-Diskurs vernachlässigt strukturelle Probleme. So
       > landen nur bequeme Forderungen im Fokus, statt Asyl und Ausländerrecht.
       
 (IMG) Bild: Anfang Dezember im Mittermeer: 74 Migrant_innen auf einem Schlauchboot
       
       Neulich ist mir in einem Gespräch ein Wort rausgerutscht, das ich lange
       nicht mehr gehört habe und noch viel länger nicht verwendet:
       „Ausländerfeindlichkeit“. Ich habe in diesem Moment nach einem Begriff
       gesucht, der mir hilft den Umstand zu beschreiben, dass in Diskursen
       einiger Schwarzer und PoC Communities Menschen ohne deutschen Pass und
       deren spezifische Probleme häufig nicht mitgedacht werden und auch
       strukturell betrachtet Themen wie Staatsbürgerschaft, Asyl- und
       Ausländerrecht sowie das Sterben an den EU-Außengrenzen zu kurz kommen.
       
       Ich nehme mich selbst da nicht aus. Mir ist bewusst, dass viel von meinem
       politischen Engagement die Probleme meines Vaters nicht gelöst hätte. Meine
       Fragen sind ganz andere als diejenigen, die er und seine Freunde hatten.
       Dass ich jetzt so schnell auf meinen Vater komme, ist schon Teil des
       Problems: Über die erste Migrant*innen-Generation wird von uns, den Kindern
       und Enkelkindern von Einwanderer*innen, oft in der Vergangenheit
       gesprochen. Wir denken dabei an die Generationen vor uns und nicht an
       Menschen, die gerade jetzt die „erste Generation“ sind und sich aktuell auf
       den gleichen (Lebens-)Weg machen, wie einst unsere Eltern oder Großeltern.
       
       Für migrantische Selbstorganisationen und Aktivist*innen of Color ist
       es oft nicht einfach in ihren Communities eine breite Basis dafür zu
       gewinnen, sich für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse,
       Ausländerwahlrecht oder gegen die Ausbeutung von Saisonarbeitskräften zu
       engagieren und mehr Rechte für Geflüchtete und Migrant*innen zu
       erkämpfen.
       
       ## Manche Themen sind anschlussfähiger
       
       Einige Themen haben es vielleicht schwerer, weil PoC mit deutschem Pass
       oder/und Deutsch als Muttersprache nicht direkt davon betroffen sind. In
       Medien, Kultur und Wissenschaft sind diese jedoch im Verhältnis viel
       stärker vertreten und ihre Themen sind außerdem anschlussfähiger: Aufhören,
       Leute zu fragen, wo sie herkommen, ist bequemerer Antirassismus, als sich
       in der Seenotrettung zu engagieren.
       
       In den letzten Jahren befasste sich ein Großteil der öffentlichen
       Rassismus-Diskussion damit, dass Menschen, weil sie nicht weiß sind, nicht
       als Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt werden. Und wir müssen immer
       noch zu oft klarmachen, dass auch wir von hier sind.
       
       Ich werte dieses Engagement nicht ab, wir sollten dabei nur mitdenken, dass
       viele Menschen, die hier Rassismus erfahren, eben nicht von hier sind,
       sondern hierhergekommen sind. Ich wünsche mir zum Beispiel mehr
       Schnittmengen zwischen afrodeutschem Aktivismus und der Refugee-Bewegung.
       
       Dafür sind wir es, die zuhören, sich weiterbilden, solidarisch sein und
       Strukturen öffnen müssen. Ich will das Wort „Ausländerfeindlichkeit“ nicht
       zurückbringen, nur daran erinnern, den Kampf gegen strukturellen Rassismus
       nicht zu vernachlässigen. Der deutsche Pass wird oft nicht als das Privileg
       wahrgenommen, das er ist.
       
       1 Jan 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Dede Ayivi
       
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