# taz.de -- Instrumentalisierte Flüchtlinge: EU will Asylrecht aufweichen
       
       > Mehrere Staaten haben Flüchtende genutzt, um die EU unter Druck zu
       > setzen. Die will sich mit einer Verordnung wehren – doch NGOs kritisieren
       > das.
       
 (IMG) Bild: Kein Durchkommen: Polnische Polizisten an der Grenze zu Belarus im November 2011
       
       BERLIN taz | Wenn Flüchtende benutzt werden, um einem EU-Staat zu schaden,
       muss der sich nicht mehr an das Asylrecht halten: Das ist der Kerngedanke
       einer neuen Verordnung, die die EU-Kommission vorgeschlagen hat. Am
       Donnerstag stimmen die Innen- und Justizminister über den Vorschlag ab.
       
       Staaten an den Außengrenzen sollen demnach Sonderrechte bekommen, wenn
       Nachbarstaaten Flüchtlinge in feindlicher Absicht über die Grenze schleusen
       – [1][so wie Belarus dies vor allem 2021] Richtung Polen getan hatte.
       
       Unter anderem sollen EU-Staaten dann mehrere Wochen warten dürfen, bis sie
       Asylanträge annehmen. Grenzpunkte dürfen geschlossen werden,
       Migrant:innen fünf Monate inhaftiert werden, ohne dass ein Asylverfahren
       begonnen wird. Normalerweise wäre dies in der EU nicht legal.
       
       Die Umstände, unter denen die Mitgliedstaaten geltende Standards
       entsprechend absenken dürfen, seien zu breit gefasst, kritisiert Josefine
       Liebl vom europäischen Flüchtlingsrat ECRE. Sie erklärt: Regierungen
       könnten schon in alltäglichen Situationen – zum Beispiel, wenn Flüchtlinge
       versuchen, außerhalb der offiziellen Grenzübertritte ins Land zu gelangen –
       sagen: „Wir werden instrumentalisiert und sind deshalb berechtigt, die
       Menschenrechte und das geltende EU-Recht auszusetzen.“
       
       ## Strafe für Instrumentalisierte
       
       ECRE befürchtet, dass [2][Regierungen wie die Polens oder Griechenlands]
       „künftig permanent mit einer Ausnahmesituation argumentieren werden, um das
       Recht zu umgehen“, führt Liebl weiter aus.
       
       In einem offenen Brief haben sich Brot für die Welt und 34 weitere
       Hilfsorganisationen gegen die Verordnung gewandt. Im Kampf gegen die
       Instrumentalisierung adressiere die EU nicht die Drittstaaten, die Menschen
       instrumentalisierten, sondern die Migranten, sagte Andreas Grünewald,
       Referent für Migration bei Brot für die Welt, dem Evangelischen
       Pressedienst. Die lange Frist bis zur verpflichtenden Registrierung
       begünstige Pushbacks, „weil die Menschen offiziell noch gar nicht im Land
       sind“, sagte Grünewald.
       
       [3][Deutschlands Stimme entscheide mit darüber], ob die Verordnung
       angenommen werde, schätzt Grünewald. Das selbsterklärte Ziel der
       Ampel-Regierung, „illegale Zurückweisungen und das Leid an den
       EU-Außengrenzen“ zu beenden, rücke mit einer Zustimmung zur Verordnung in
       weite Ferne, sagte Grünewald. „Es ist wirklich sehr enttäuschend, dass die
       Bundesregierung sich bisher nicht klar positioniert hat.“
       
       Ähnlich äußert sich die Linken-Abgeordnete Clara Bünger. Sie verweist auf
       eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshof aus dem Juni 2022. Demnach
       dürfen die EU-Grundrechtecharta und das Asylrecht nicht mit Verweis auf
       einen vermeintlichen oder tatsächlichen Notstand außer Kraft gesetzt
       werden– auch nicht bei einem „massiven Zustrom von Ausländern“, wie es im
       Kommissionsentwurf heißt.
       
       Vielmehr müsse „so bald wie möglich“ Schutzsuchenden ein effektiver Zugang
       zur Asylantragstellung gewährleistet werden, so das Gericht, und nicht
       Wochen später. Dass die Bundesregierung sich in die Verhandlungen zur
       sogenannten Instrumentalisierungsverordnung „konstruktiv“ einbringen wolle,
       nennt Bünger deshalb eine „Schande“.
       
       In den parallel laufenden Verhandlungen zum Schengener Grenzkodex habe die
       Ampel sogar der verstärkten Errichtung von Mauern und Zäunen an den
       EU-Außengrenzen zur Abwehr unerwünschter Migration bereits zugestimmt – das
       hat eine Parlamentarische Anfrage Büngers ergeben. Von „baulicher
       Befestigungen zum Schutz der Außengrenzen“, spreche demnach die Ampel.
       
       Im Vorschlag der EU-Kommission sei hingegen klar benannt, dass es um „alle
       Arten stationär postierter und mobiler Infrastruktur“ zur „Verhinderung des
       illegalen Grenzübertritts“ geht, wozu auch Drohnen und Bewegungssensoren
       gehören.
       
       7 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Grenze-zwischen-Polen-und-Belarus/!5816565
 (DIR) [2] /Flucht-nach-Europa/!5861114
 (DIR) [3] /Gesetz-fuer-schnelleres-Asylverfahren/!5899898
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
       ## TAGS
       
 (DIR) EU-Kommission
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Bundesregierung
 (DIR) Asylsuchende
 (DIR) Asylpolitik
 (DIR) EU-Außengrenzen
 (DIR) Migration
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Europäische Union
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Studie über Migration: Nicht alle sind willkommen
       
       Geflüchtete genießen in Europa nicht überall den gleichen Rückhalt, zeigt
       eine Studie. Auch bei der Ukraine-Unterstützung gibt es
       Meinungsunterschiede.
       
 (DIR) Seenotrettung im Mittelmeer: Geflüchtete als Spielball
       
       Italiens Kampf gegen die zivile Seenotrettung geht in eine neue Runde. Vier
       EU-Mitgliedsstaaten fordern nun einen strengeren Umgang mit NGO-Schiffen.
       
 (DIR) EU und Geflüchtete: Menschen als Waffe
       
       Europa ist mitverantwortlich dafür, dass Menschen als Druckmittel
       eingesetzt werden. Es macht sich erpressbar und spielt Autokraten in die
       Karten.