# taz.de -- Umgang mit Gewalt in den Medien: Wir müssen Zeug*innen sein
       
       > Triggerwarnungen sind wichtig. Sie geben Menschen die Freiheit,
       > wegzugucken, wenn sie müssen. Das steht ihnen zu. Doch auch Hinsehen ist
       > Ermächtigung.
       
 (IMG) Bild: Ich möchte beim Hingucken nicht alleine sein
       
       In progressiven Kreisen hat sich durchgesetzt, vor der Wiedergabe von
       sexistischen, rassistischen oder queerfeindlichen Sachverhalten eine
       Warnung oder einen Hinweis zu setzen. So genannte [1][Triggerwarnungen]
       oder auch Content Notes – Kurz TW oder CN – sind vor allem auf sozialen
       Medien mittlerweile normal. Wenn zum Beispiel sexualisierte Gewalt
       beschrieben wird.
       
       An der Praxis ist erst mal nichts falsch. Denn so kann man möglichen
       Leser*innen – vor allem Überlebenden dieser Art von Gewalt – die Option
       geben, sich die entsprechenden Inhalte nicht anzuschauen. So wird im
       Alltag, beim Scrollen durch soziale Medien oder beim Lesen in einem Magazin
       oder Buch eine wiederkehrende Retraumatisierung verhindert. Menschen
       sollten sich bewusst dafür entscheiden können, welche Inhalte sie sich in
       welchen Momenten antun möchten – und welche nicht, weil es ihrer
       psychischen und physischen Gesundheit nicht gut tut.
       
       Doch genau an dieser Stelle, also bei der Wahl, sich mit bestimmten
       Inhalten auseinanderzusetzen oder es eben sein zu lassen, muss eine
       kritische Reflexion ansetzen. Das ist mir wichtig. Ein aus
       emanzipatorischer Sicht grundlegender Aspekt gerät hier manchmal aus dem
       Blick. Das Bezeugen von Missständen nämlich, die Dokumentation von
       unterdrückenden Strukturen – und welche Selbstermächtigung mit dem
       Hinschauen verknüpft sein kann.
       
       Ich spreche aus einer privilegierten Position. Es ist mein Job, mir Videos
       von Polizeigewalt, detaillierte Zeug*innenaussagen zu rassistischen
       Übergriffen oder Protokolle zu den Auswüchsen tödlicher Grenzen anzusehen.
       Ich habe mir die Aufnahme des Halle-Attentäters während seiner
       Terrorattacke auf die Synagoge und den Kiez-Döner angeschaut; habe mir ein
       detailliertes Bild davon gemacht, wie Menschen in Melilla ermordet oder in
       Syrien von Fassbomben zerfetzt werden. Und Allah weiß, dass es mir nicht
       leicht fiel – nie leicht fallen wird –, mir all diese Gewalt vor Augen
       führen zu lassen. Es ist aber wichtig. Und ich will damit nicht alleine
       sein, auch nicht unter wenigen.
       
       ## Hinsehen ist eine emanzipatorische Aufgabe
       
       Dies hier ist keine Aufforderung, dass sich alle nun diese Tiefpunkte der
       Menschheit permanent reinziehen sollten. Wenn sich aber immer mehr Menschen
       zurückziehen gar nicht mehr mit dem Schrecklichen beschäftigen würden, wäre
       das keine Lösung.
       
       Eltern müssen sich Gedanken machen, wie sie ihre eigenen Kinder (vor allem
       jene, die von verschiedenen Formen der Menschenfeindlichkeit betroffen
       sind) auf diese Welt vorbereiten. Autor*innen sind dafür da, diese
       sensible Aufklärung in Kunst- und Kulturproduktionen einzuflechten.
       
       Bei allem Selbstschutz braucht es gleichzeitig mehr Hinsehen anstatt
       Abkapseln. Witnessing ist eine queerfeministische, antirassistische und
       emanzipatorische Aufgabe, die wir uns alle – nach Kräften – teilen sollten.
       Und auch Triggerwarnungen können durchaus mit diesem Gedanken weiter
       angewendet werden.
       
       2 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Geschlechtsspezifische-Gewalt-im-TV/!5887248
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mohamed Amjahid
       
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