# taz.de -- Attacke in Zug bei Brokstedt: Messerstecher kam aus der U-Haft
       
       > Der Mann, der zwei Menschen erstochen haben soll, war gerade aus der
       > U-Haft entlassen worden – offenbar unvorbereitet und in die
       > Obdachlosigkeit.
       
 (IMG) Bild: Tatort am Bahnhof Brokstedt: Ein Freund des getöteten 19-Jährigen legt Blumen ab
       
       KIEL/HAMBURG taz | Es bleiben viele offene Fragen nach dem [1][tödlichen
       Angriff am Mittwoch in einem Regionalzug bei Brokstedt], einem Örtchen in
       der Nähe von Neumünster. Dort starben eine 17-jährige Schülerin und ein
       19-Jähriger, beide aus der Region. Beide kannten einander, gingen auf die
       gleiche Schule in Neumünster. Fünf weitere Menschen wurden verletzt, zwei
       davon lebensgefährlich.
       
       Ein Mann wurde als Täter festgenommen, weitere Mitreisende überwältigten
       den 33-Jährigen. Der Mann, Ibrahim A., stammt aus Palästina und gilt als
       staatenlos. Es sei „ganz schrecklich“, was da geschehen sei, sagte
       Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack am
       Donnerstagnachmittag bei einer Pressekonferenz in Kiel. Gleichzeitig warnte
       die CDU-Politikerin vor „Vermutungen und Spekulationen“. Die Tat sei zu
       frisch, die Erkenntnisse reichten nicht aus für „politische
       Schlussfolgerungen oder Forderungen“.
       
       Was genau passiert ist am Mittwoch um kurz vor 15 Uhr [2][in dem Zug, der
       von Kiel nach Hamburg unterwegs war], konnten der Polizeichef von Itzehoe,
       Frank Matthiesen, und der Oberstaatsanwalt beim dortigen Amtsgericht,
       Carsten Ohlrogge, bei der Pressekonferenz noch nicht sagen, schließlich
       seien noch nicht alle Zeug*innen vernommen.
       
       Nur so viel sagte Matthiesen: „Es war eine chaotische Situation.“ In vier
       Waggons des vollbesetzten Zuges wurde Blut gefunden, zwei Dutzend
       Zeug*innen hat die Polizei bisher vernommen.
       
       ## Bis vergangene Woche in Hamburg in U-Haft
       
       Die Beamt*innen waren wenige Minuten nach dem Alarm vor Ort. Der
       mutmaßliche Täter war da schon von Personen im Zug überwältigt worden. Als
       die Polizei ihn festnahm, „machte er einen ruhigen Eindruck“, sagte
       Matthiesen. Auf die Nachfrage, ob der Mann verwirrt gewesen sei, sagte er:
       „Wer sieben Menschen verletzt, ist in der Regel zumindest in dem Moment
       nicht normal.“
       
       Ohlrogge wollte ein politisches Motiv nicht ganz ausschließen: „Wir
       ermitteln in alle Richtungen.“ Aber in der Regel gebe es Hinweise bei
       einem terroristischen Hintergrund – in diesem Fall fehlten sie.
       
       Ibrahim A. war 2014 nach Deutschland eingereist und hatte 2015 in
       Nordrhein-Westfalen Asyl beantragt. Im Juli 2021 war er nach Kiel gekommen,
       wo er in einer Gemeinschaftsunterkunft lebte. Im November hatte er dort
       Hausverbot bekommen, berichtete der für Ordnungsfragen zuständige Kieler
       Stadtrat Christian Zierau. Ibrahim A. soll Mitbewohner*innen belästigt
       und gegen Hausregeln verstoßen haben. Die Beratungsstelle für Wohnungslose
       habe ihn noch eine Weile „auf dem Schirm gehabt“, dann verlor sich seine
       Spur in Richtung Hamburg.
       
       Von Januar 2022 bis 19. Januar 2023 saß A. dort in Untersuchungshaft wegen
       einer Körperverletzung. Ibrahim A. hatte in einer Schlange vor der
       Essensausgabe in der [3][Hamburger Obdachlosenunterkunft Pik As] einen Mann
       mit einem Messer angegriffen und verletzt. Dabei habe er diesem mehrere
       Schnittwunden, unter anderem am Hals zugefügt, sagte Kai Wantzen von der
       Hamburger Gerichtspressestelle. Das Opfer sei acht Tage lang stationär
       behandelt worden.
       
       ## Schon früher straffällig geworden
       
       Die einjährige Dauer von A.s U-Haft entstand dadurch, dass ihn das
       Hamburger Amtsgericht St. Georg im August 2022 zu einem Jahr und einer
       Woche Haft wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls verurteilt
       hatte und A. dagegen Berufung einlegte. Weil das Hamburger Landgericht
       deshalb Nachermittlungen anordnete, blieb er weiter in U-Haft. Eine
       Richterin am Hamburger Landgericht entschied, diese schließlich zu beenden,
       als er mit der U-Haft die höchstens zu gewärtigende Strafe abgesessen
       hatte.
       
       Schon früher war A. straffällig geworden, es ging um Diebstahl und
       Bedrohung. Doch trotz der Vorstrafen und des nicht rechtskräftig
       abgeurteilten Falls in Hamburg, galt der 33-Jährige nicht als „Serien-“
       oder „Intensivtäter“, machte Staatsanwalt Ohlrogge klar: „In
       Schleswig-Holstein ist er nie verurteilt worden, auch in Hamburg war es
       seine erste Haft.“
       
       Ibrahim A. hatte in Deutschland einen subsidiären Schutzstatus. Den
       erhalten Geflüchtete, die kein Asyl bekommen, deren Ausweisung aber
       Hindernisse im Weg stehen. Allerdings sei während seiner Haftzeit die
       entsprechende sogenannte „Fiktionsbescheinigung“ ausgelaufen, teilt die
       Stadt Kiel mit.
       
       Außerdem stand die Kieler Ausländerbehörde in Kontakt mit dem Bundesamt für
       Migration und Flüchtlinge (BAMF) wegen eines so genannten
       Rücknahmeverfahrens, das seinen Schutzstatus beendet hätte. Doch einen
       Staatenlosen abzuschieben scheitert oft daran, dass nicht klar ist, welches
       Land ihn aufnehmen sollte.
       
       ## Ohne Vorkehrung aus der Haft entlassen
       
       Auf die Frage, ob ein Wohnungsloser, der schlecht Deutsch spricht und
       möglicherweise verwirrt ist, ohne Vorkehrungen aus der Haft einfach so auf
       die Straße geschickt werde, verwies Ohlrogge auf den besonderen Status der
       U-Haft: „In einer Strafhaft kann man die Tat aufarbeiten oder eine Therapie
       anbieten. Aber wenn ein Gericht entscheidet, die U-Haft zu beenden, gibt es
       kein solches Verfahren.“
       
       Wohin der Mann nach der Haft ging, ist unklar. Doch am Dienstag tauchte er
       in Kiel auf, um seinen Aufenthalt zu verlängern. Am Infopoint verwies man
       ihn an die Wohnungslosenhilfe und das Meldeamt. „Er machte keinen
       auffälligen Eindruck“, berichtet Stadtrat Zierau. Doch bei der anderen
       Stelle tauchte der Mann nicht auf. Stattdessen stieg er offenbar in Kiel in
       den Zug zurück nach Hamburg ein.
       
       Bei seiner Festnahme war Ibrahim A. leicht verletzt – wie das passiert ist,
       konnte der örtliche Polizeichef Matthiesen nicht sagen. A. wurde vernommen
       und am Mittwoch dem Haftrichter vorgeführt.
       
       Sütterlin-Waack und Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) wiesen
       auf Hilfsangebote für Zeug*innen der Ereignisse und Angehörige der Opfer
       hin. In ganz Schleswig-Holstein wehten am Mittwoch die Flaggen auf
       halbmast.
       
       26 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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 (DIR) Gernot Knödler
       
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