# taz.de -- Messerangriff in Zug bei Brokstedt: Lauter offene Fragen
       
       > Die Messerattacke in einem Regionalzug nahe Brokstedt sorgt für
       > Entsetzen. Das Motiv bleibt unklar. Ähnliche Taten aber gab es zuvor
       > schon.
       
 (IMG) Bild: Am Bahnhof in Broksedt wurde der Täter festgenommen
       
       BERLIN taz | Die Bestürzung ist auch noch am Tag danach spürbar. Am späten
       Donnerstagnachmittag tritt Bundesinnenministerin Nancy Faeser vor das Hotel
       „Bürgerhaus“ in Brokstedt, neben sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident
       Daniel Günter und Landesinnenministerin Sabine Sütterlin-Waack, beide CDU.
       Sie empfinde „tiefe Trauer“ und denke an die Opfer, sagt Faeser, die
       spontan in die Kleinstadt angereist war. Auch Günther beklagt, dass „zwei
       junge Menschen jäh aus dem Leben gerissen wurden“. Sütterlin-Waack hatte
       schon zuvor von einer Tat gesprochen, die sie „zutiefst betroffen“ mache.
       
       Tags zuvor soll ein 33-Jähriger, Ibrahim A., in einem Regionalzug von Kiel
       nach Hamburg [1][Mitreisende mit einem Messer attackiert haben]. Eine
       17-Jährige und einen 19-Jährigen, beide miteinander bekannt, wurden
       tödlich verletzt, fünf weitere Fahrgäste teils lebensgefährlich. Auch der
       Tatverdächtige selbst verletzte sich leicht. Andere Mitreisende konnten A.
       schließlich überwältigen, die Polizei nahm ihn am Bahnhof Brokstedt fest.
       Am Donnerstagnachmittag wurde laut Staatsanwaltschaft Itzehoe gegen ihn
       einen Haftbefehl erlassen.
       
       Das Motiv der Tat blieb am Donnerstag weiter unklar. Hinweise auf einen
       terroristischen Hintergrund gebe es bisher nicht, erklärte die
       Staatsanwaltschaft Itzehoe. Als Extremist war Ibrahim A. nicht bekannt,
       wohl aber als Straftäter. Medien berichteten, er habe nach der Tat verwirrt
       gewirkt. Itzehoes Polizeipräsident Frank Matthiesen berichtete dagegen von
       einem „ruhigen Eindruck“, den er auf Beamte gemacht habe.
       
       Sütterlin-Waack betonte, noch sei vieles unklar. Auch das Ergebnis der
       Vernehmung von Ibrahim A. liege noch nicht vor. „Auch ich habe Fragen.“ Es
       blieben aber die [2][Ermittlungen abzuwarten], so Sütterlin-Waack. Sie
       bitte daher, „Spekulationen keinen Raum zu geben“.
       
       Auch für Ministerpräsident Günther stellen sich „viele Fragen, die wir
       aufklären müssen“, wie er vor dem „Bürgerhaus“ erklärt. Hätte die Tat
       verhindert werden können? Hat zwischen den Behörden alles richtig geklappt?
       Faeser sagt, zu klären sei auch, warum der Tatverdächtige trotz so vieler
       Vorstrafen nicht in Haft und noch im Land war.
       
       ## Auch die Grünen fordern „keine Debattenverbote“
       
       Bundesweit entfesselte die Tat aufgrund der von der Polizei schnell bekannt
       gemachten Nationalität des Tatverdächtigen, der staatenloser Palästinenser
       ist, auch eine politische Debatte. Die AfD forderte umgehend ein Ende der
       „wahnsinnigen Migrationspolitik“. Selbst Grünen-Chef Omid Nouripour sagte
       dem ZDF, es gebe „keine Debattenverbote“. Natürlich müsse man auch über
       Abschiebungen reden.
       
       Für einen staatenlosen Palästinenser bräuchte es dafür aber ein
       aufnahmebereites Land – das es im Fall Ibrahim A. nicht gibt. Laut
       Staatsanwaltschaft reiste er im Dezember 2014 nach Deutschland ein – von
       woher, sei unklar. Im Juli 2016 erhielt er subsidiären Schutz. Im November
       2021 wurde jedoch ein Rücknahmeverfahren eingeleitet, weil Ibrahim A. zuvor
       wiederholt straffällig wurde.
       
       Mehrere Jahre hatte er zuvor in Nordrhein-Westfalen gelebt, sammelte dort
       drei Vorstrafen an, auch wegen Gewalttaten. 2021 zog er in eine Kieler
       Geflüchtetenunterkunft, in der er ein Hausverbot bekam, weil er
       Mitbewohnende belästigt haben soll. Zuletzt war er ohne festen Wohnsitz.
       
       Auch die letzte Tat von Ibrahim A. war ein Messerangriff. Laut
       Staatsanwaltschaft Hamburg stach er am 18. Januar 2022 in einer
       Wohnungslosenunterkunft in der Hansestadt bei einer Essensausgabe einen
       anderen Mann mit einem Messer nieder. A. gab an, er habe unter Drogenkonsum
       gestanden. Wegen der Tat wurde er im August 2022 zu 13 Monaten Haft
       verurteilt – wogegen er Berufung einlegte. Bis vor sechs Tagen saß er dafür
       in U-Haft, aus der er wegen der langen Verfahrensdauer entlassen wurde.
       Dann erfolgte die Attacke in Brokstedt.
       
       Kurz vor der Tat war Ibrahim A. laut dem Kieler Stadtrat Christian Zierau
       noch in der Kieler Ausländerbehörde, um eine Aufenthaltskarte zu
       beantragen. Dort habe er keinen auffälligen Eindruck gemacht, so Zierau.
       
       ## Schon zuvor Messerangriffe in Zügen
       
       Landesinnenministerin Sütterlin-Waack sagte, noch sei es zu früh für
       politische Forderungen und notwendige Lehren aus der Tat. Der Angriff
       erinnerte aber an andere Messerangriffe in Zügen in jüngerer Zeit. So hatte
       im Mai 2022 in Herzogenrath ein Mann mehrere Fahrgäste verletzt – er wurde
       in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. Im November 2021 hatte ein
       Syrer in einem ICE bei Nürnberg vier Männer teils schwer verletzt. Die Tat
       wurde als islamistisch eingestuft, er wurde [3][zu 14 Jahren Haft
       verurteilt]. Schon im März 2021 hatte ein 25-Jähriger in Rommerskirchen
       einen 16-Jährigen niedergestochen und war zu acht Jahren Haft verurteilt
       worden.
       
       Das Problem psychisch auffälliger Gewalttäter beschäftigt die
       Innenminister:innen in Bund und Länder schon länger. Erst auf der
       jüngsten Innenministerkonferenz war dafür nach taz-Informationen ein
       Tagesordnungspunkt für die „Früherkennung von potenziellen Amokläufern und
       Attentätern“ anberaumt.
       
       Nordrhein-Westfalen hatte bereits 2021 [4][ein Pilotprojekt namens
       „Periskop“] gestartet, das labile Personen aufspüren soll, die Anschläge
       begehen könnten. Erhalten Polizei oder Behörden Hinweise auf psychische
       Erkrankungen und Gewaltaffinität, werden zu ihnen Prüffälle angelegt.
       Zusammen mit Gesundheitsbehörden, Schulen, Ausländerbehörden oder Kliniken
       berät die Polizei dann, wer der richtige Adressat für die Betroffenen ist
       und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen.
       
       Aktualisiert und ergänzt am 26.01.2023 um 17:40 Uhr. d. R.
       
       26 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Messerattacke-zwischen-Kiel-und-Hamburg/!5911559
 (DIR) [2] /Messerattacke-zwischen-Kiel-und-Hamburg/!5911559
 (DIR) [3] /Urteil-nach-Messerangriff-im-ICE/!5904525
 (DIR) [4] /Messerangriff-von-Wuerzburg/!5782038
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schleswig-Holstein
 (DIR) Messerangriff
 (DIR) Nancy Faeser
 (DIR) Gewalt
 (DIR) Bahn
 (DIR) GNS
 (DIR) Messerangriff
 (DIR) Messerangriff
 (DIR) Gewalt
 (DIR) Polizei Schleswig-Holstein
 (DIR) Messerangriff
 (DIR) Messerangriff
 (DIR) Islamismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Zwei Tote in Zug nahe Brokstedt: Anklage wegen Messerangriff
       
       Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Ibrahim A.. Ihm wird
       vorgeworfen, Anfang 2023 zwei Personen in einem Zug nahe Brokstedt
       erstochen zu haben.
       
 (DIR) Hamburg diskutiert Messerattacke: Ein tödlicher Mensch
       
       Hamburgs Bürgerschaft diskutiert über Messerangreifer von Brokstedt: Wie
       kam es dazu, dass er frei herumlief? Justizsenatorin muss sich
       rechtfertigen.
       
 (DIR) Messerattacke in Zug bei Brokstedt: System U-Haft ist gemeingefährlich
       
       Wer als staatenloser Ausländer aus langer U-Haft entlassen wird, hat ein
       doppeltes Problem: keine Vorbereitung auf die Entlassung, kaum Hilfe
       draußen.
       
 (DIR) Attacke in Zug bei Brokstedt: Messerstecher kam aus der U-Haft
       
       Der Mann, der zwei Menschen erstochen haben soll, war gerade aus der U-Haft
       entlassen worden – offenbar unvorbereitet und in die Obdachlosigkeit.
       
 (DIR) Messerattacke zwischen Kiel und Hamburg: Ermittlungen nach Angriff in Zug
       
       Mittwoch starben bei einem Messerangriff in einem Zug bei Brokstedt zwei
       Menschen. Der mutmaßliche Täter soll polizeibekannt und womöglich verwirrt
       sein.
       
 (DIR) Attacke in Zug zwischen Hamburg und Kiel: Zwei Tote bei Messerangriff
       
       Ein Mann hat in einem Zug nahe Brokstedt auf Passagiere eingestochen und
       zwei von ihnen tödlich verletzt. Der Angreifer wurde festgenommen.
       
 (DIR) Urteil nach Messerangriff im ICE: 14 Jahre Haft für Angreifer
       
       Nach dem Messerangriff in einem ICE gab es Hinweise auf einem
       islamistischen Hintergrund. Nun wurde der Angeklagte zu 14 Jahren Haft
       verurteilt.