# taz.de -- Unterbringung von Geflüchteten: Wer schafft was?
       
       > Es kommen wieder deutlich mehr Menschen nach Deutschland. Wie man jetzt
       > die Situation für Geflüchtete und deutsche Kommunen verbessern könnte.
       
 (IMG) Bild: Blick hinter den Vorhang in einer Unterkunft für Geflüchtete in Leipzig
       
       Seit Monaten klagen Länder und Kommunen quer durch die Bundesrepublik, sie
       seien wegen der stark gestiegenen Anzahl Geflüchteter mit deren
       Unterbringung überlastet. Woran liegt das? 
       
       Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar
       2022 hat [1][laut UNHCR] bisher fast acht Millionen Ukrainer*innen
       gezwungen, aus ihrem Heimatland zu flüchten – auch nach Deutschland, wo die
       Behörden etwas mehr als eine Million Menschen registriert haben. Viele
       Politiker*innen hatten einen solchen Krieg bis zuletzt nicht wahrhaben
       wollen. Dann dauerte es nochmals, sich auf die daraus folgenden
       Fluchtbewegungen einzustellen. Gleichzeitig stieg nach den Coronajahren
       auch die Zahl der Asylsuchenden aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder
       dem Irak wieder an. Doch Kapazitäten und Infrastruktur sind zuletzt
       angesichts sinkender Flüchtlingszahlen deutschlandweit abgebaut worden, so
       dass viele Kommunen den zu versorgenden Menschen jetzt unvorbereitet
       gegenüberstehen.
       
       Um wie viele Menschen geht es eigentlich? 
       
       Im Jahr 2022 haben in Deutschland [2][insgesamt 217.774 Menschen einen
       Erstantrag auf Asyl gestellt]. Das sind viel mehr als während der
       Coronapandemie, als weltweit viele Grenzen dicht waren. Die Zahl ist aber
       sehr viel geringer als im [3][Rekordjahr 2016 (772.370 Anträge)]. Sie
       bewegt sich sogar sehr dicht an den 200.000, die der ehemalige
       Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gerne als jährliche „Obergrenze“
       für Asylsuchende durchgesetzt hätte, bemerkt der Politikwissenschaftler
       Hans Vorländer, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und
       Migration.
       
       Dazu käme aber noch die hohe Anzahl Geflüchteter aus der Ukraine. Diese
       müssen in Deutschland kein Asyl beantragen, sondern bekommen sofort Schutz.
       Wie viele Ukrainer*innen derzeit im Land sind, ist schwer zu sagen.
       Obwohl rund eine Million Menschen registriert wurden, schätzt der
       Migrationsforscher Franck Düvell, dass sich aktuell höchstens 750.000
       Ukrainer*innen in Deutschland aufhalten und der Rest entweder
       weitergereist oder in die Ukraine zurückgekehrt ist.
       
       Und wie werden diese Menschen verteilt? 
       
       Asylsuchende dürfen sich ihren Wohnort in Deutschland nicht frei aussuchen.
       Sie werden über den Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt.
       Die Aufnahmequoten werden jedes Jahr neu berechnet und richten sich zu zwei
       Dritteln nach den Steuereinnahmen und zu einem Drittel nach der
       Bevölkerungszahl der Länder. Seit Jahren gibt es aber auch Kritik daran,
       dieses ursprünglich für die gemeinsame Finanzierung von
       Forschungseinrichtungen erdachte System auch auf die Verteilung von
       Menschen anzuwenden.
       
       So spielt etwa die Fläche eines Bundeslandes keine Rolle bei der
       Verteilung. Gerade in Stadtstaaten wie Berlin ist es aber sowieso schon
       eng. Auch für Integration wichtige Aspekte wie Sprachkursangebote oder der
       Wohnungs- und Arbeitsmarkt spielen bei der Verteilung derzeit keine Rolle.
       Einmal auf die Bundesländer verteilt, kommen Asylsuchende zunächst in eine
       Erstaufnahmeeinrichtung. Dort müssen sie in der Regel bleiben, bis über
       ihren Asylantrag entschieden ist – längstens aber für 18 Monate. Wie die
       Menschen danach weiterverteilt werden, ist Sache der Länder und regional
       unterschiedlich.
       
       Ist das sinnvoll? 
       
       Das ist Ansichtssache. Wenn noch nicht klar ist, ob Menschen in Deutschland
       bleiben können, ist es einfacher, sie zuerst in Sammelunterkünften
       unterzubringen. Auch Abschiebungen werden dadurch einfacher. Gleichzeitig
       ist die zentrale Unterbringung und Versorgung der Menschen und die
       Bewachung der Unterkünfte oft sehr teuer. Außerdem ziehen Asylverfahren
       sich oft lange hin – mitunter bis zu zwei Jahre, und Geflüchtete hängen
       isoliert in Einrichtungen fest.
       
       Integration von Anfang an, wie die Ampel-Koalition sie versprochen hat,
       sähe anders aus. Außerdem fehlen so dringend benötigte Plätze für neu
       Ankommende. [4][Berlin hat deswegen Ende Januar die Wohnverpflichtung
       aufgehoben] – eine Möglichkeit, die die Bundesländer haben, aber kaum
       nutzen. Das heißt: Wer nach Berlin verteilt wurde und eine eigene Bleibe
       findet, muss nicht in der Aufnahmeeinrichtung bleiben.
       
       Upahl in Mecklenburg-Vorpommern hat gerade bundesweit Schlagzeilen gemacht.
       Dort sollen 400 Geflüchtete in Containern untergebracht werden – in einer
       Gemeinde mit gerade mal 1.600 Einwohner*innen. Kann das gutgehen? 
       
       Nein, und zwar für niemanden. Eine solche Konstellation ist weder gut für
       die Kommune noch für die bisherigen Einwohner*innen und schon gar nicht
       für die Geflüchteten. In vielen abgelegenen Regionen ist die Infrastruktur
       ohnehin schlecht, sei es der öffentliche Nahverkehr, die Kita, der
       Supermarkt oder die medizinische Versorgung. Wenn eine Gemeinde dann
       plötzlich ein Viertel mehr Einwohner*innen hat, wird das nicht besser.
       
       400 Menschen in einem Containerdorf am Ortsrand oder im Industriegebiet
       bedeutet für diese oft auch: schlechte Lebensbedingungen und Isolation.
       Eine Integration in die Gemeinde ist da so gut wie ausgeschlossen. Nicht
       umsonst protestieren Aktivist*innen seit Jahrzehnten gegen solche
       Sammelunterkünfte und für dezentrale, menschenwürdige Unterbringung.
       
       Protest gibt es in Upahl auch: 700 Menschen – unter ihnen bekannte
       Rechtsextreme – [5][demonstrierten vor dem zuständigen Kreistag in
       Grevesmühlen und hätten beinahe die Sitzung gestürmt]. Hilft es, dorthin
       einfach keine Geflüchteten mehr zu verteilen? 
       
       Nein. Die Verteilung Geflüchteter muss ausgewogen sein und sie muss zu der
       Zahl der Einwohner*innen im Verhältnis stehen – das bestreitet niemand.
       Aber die Menschen sind da, und sie müssen versorgt werden. Immer wieder
       wird berechtigter Unmut über politische und administrative
       Fehlentscheidungen von rechts instrumentalisiert.
       
       Doch Rechtsextreme wie in Grevesmühlen hetzen grundsätzlich gegen
       Geflüchtete – egal, ob es um 400 in einem Containerdorf geht oder um eine
       Familie in einem Mehrfamilienhaus. Ihnen nachzugeben beruhigt die Lage
       nicht, sondern heizt sie an. Dass das lebensgefährlich bis tödlich sein
       kann, haben die 1990er Jahre gezeigt. N[6][ach dem Pogrom in
       Rostock-Lichtenhagen und dem Anschlag in Mölln 1993 schaffte Deutschland
       das Grundrecht auf Asyl ab] – und die Rechtsextremen mordeten weiter, nur
       wenige Tage später, in Solingen.
       
       Aber was kann man denn dann tun? 
       
       Politik und Verwaltung müssen ein Verteilsystem entwickeln, das Kommunen,
       Einwohner*innen und Geflüchteten gerecht wird. Das [7][Pilotprojekt
       „Match’In“] der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der
       Universität Hildesheim probiert in vier westdeutschen Bundesländern aus,
       wie das gehen könnte. Es funktioniert wie eine Art Dating-App für die
       Flüchtlingsverteilung: Ein Algorithmus fragt die Bedarfe und Ressourcen der
       Schutzsuchenden wie auch der Kommunen ab – etwa Familienstand, Beruf und
       Hobbys einerseits, Arbeitsmarkt, Wohnungsangebote und Gesundheitsversorgung
       andererseits.
       
       „Bislang weisen die Bundesländer die Menschen selten systematisch
       bedarfsgerecht den Kommunen zu“, sagt Projektleiterin Petra Bendel. Eine
       Familie mit mehreren Kindern sei mitunter in einer Kleinstadt mit mehr
       freiem Wohnraum besser aufgehoben als in der überfüllten Großstadt, junge
       Alleinstehende besser dort, wo sie Ausbildung oder Arbeit finden. Der
       Algorithmus schlägt den Behörden vor, welche Kommune für welche*n
       Geflüchtete*n das beste Match wäre. Im Frühjahr soll es mit der
       Verteilung losgehen. „Am Ende ist allen geholfen, wenn Geflüchtete an Orte
       verteilt werden, an denen sie auch eine Perspektive haben“, sagt Bendel.
       
       3 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://data.unhcr.org/en/situations/ukraine
 (DIR) [2] https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/Asylgeschaeftsstatistik/hkl-antrags-entscheidungs-bestandsstatistikl-kumuliert-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=24
 (DIR) [3] https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/BundesamtinZahlen/bundesamt-in-zahlen-2016.pdf?__blob=publicationFile&v=16
 (DIR) [4] https://www.berlin.de/sen/ias/presse/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1288274.php
 (DIR) [5] /Protest-gegen-Gefluechtetenunterkunft/!5911709
 (DIR) [6] /Der-Asylkompromiss-von-1993/!5853601
 (DIR) [7] https://matchin-projekt.de/
       
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