# taz.de -- Romaday 2023 in Berlin: „An schädliche Orte gezwungen“
       
       > Die ohnehin verfolgte Minderheit der Sinti:zze und Rom:nja ist von
       > Umweltrassismus besonders betroffen, sagt Nene Opoku vom Black Earth
       > Kollektiv.
       
 (IMG) Bild: Bislang fehlt eine rassismuskritische Perspektive in der deutschen Umweltdebatte, sagt Nene Opoku
       
       taz: Frau Opoku, was ist Umweltrassismus? 
       
       Nene Opoku: Eine kurze Definition ist, dass rassifizierte Menschen, also
       Menschen mit Rassismuserfahrung, überproportional von schädlichen
       Umwelteinflüssen betroffen sind. Sie haben weniger Zugang zu sauberer Luft,
       Erde und so weiter. Um den Begriff etwas größer einzuordnen: Er wurde
       geprägt im Kontext von antirassistischen Kämpfen der US-amerikanischen
       Bürgerrechtsbewegung. Daraus hat sich eine Umweltgerechtigkeitsperspektive
       entwickelt, die dann maßgeblich daran beteiligt war, auch im globalen
       Diskurs eine Klimagerechtigkeitsperspektive zu verankern. Wichtig finde
       ich, dass eine Umweltgerechtigkeitsperspektive vor allem versucht, im
       lokalen Kontext Fragen von Klimaungerechtigkeit zu verhandeln.
       
       Wie äußert sich das im Lokalen, zum Beispiel in Berlin? 
       
       Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Wie gesagt ist das Konzept in
       den USA entwickelt worden, und das kann man nicht einfach übertragen. Dort
       laufen Dinge anders ab als in Europa, wo es ja auch eine ganz andere
       Geschichte von Kolonialismus gegeben hat. Auffallend ist, dass dieser
       Umweltrassismus im europäischen Kontext bisher kaum erforscht ist. Das ist
       eine ziemliche Leerstelle, am meisten Forschung gibt es noch zur Situation
       von Sinti:zze und Rom:nja, insbesondere im osteuropäischen Raum.
       
       Wieso ist das so? 
       
       Die Leerstelle hat damit zu tun, dass Rassismusforschung im deutschen
       Diskurs viel weniger verankert ist. Hier liegt der Fokus bislang auf der
       Klassen-Positionierung. Es wird also geguckt, wie wirkt sich
       Umweltungerechtigkeit hinsichtlich einer Klassenposition aus – wo es
       natürlich eine Überschneidung gibt mit der Kategorie Race, die aber jene
       nicht komplett determiniert. Wenn wir jetzt versuchen zu schauen, wo wir in
       Deutschland Umweltrassismus haben, beispielsweise in Berlin, bekommen wir
       Hinweise, wenn wir zum Beispiel in den Umwelt-Atlas schauen. Da sehen wir,
       dass beispielsweise die Luftverschmutzung an Orten wie Wedding oder
       Neukölln, wo insbesondere rassifizierte, migrantisierte und auch eher
       ärmere Menschen wohnen, sehr viel höher ist als in – sagen wir –
       Zehlendorf. Dort haben die Leute auch mehr Zugang zu Grünflächen, Wald,
       Parkanlagen et cetera.
       
       Das kann man sich gut vorstellen, dass arme Leute zum Beispiel eher an
       Hauptstraßen wohnen, wo es viel mehr Feinstaub gibt. Aber wo ist da der
       Rassismus? 
       
       Ja, die beiden Kategorien Class und Race überschneiden sich natürlich. Aber
       gerade für den US-Kontext gibt es viele Studien, die ganz klar zeigen
       konnten, dass die Kategorie Race die ausschlaggebende ist. So zeigen
       Studien, dass schwarze Wohnviertel, wo die Menschen einen höheren
       sozioökonomischen Status haben als in weißen Gegenden, trotzdem mehr von
       Umweltrassismus betroffen sind. Natürlich spielt Geld eine Rolle: Wo kann
       ich wohnen, was kann ich mir leisten? Aber vieles hängt eben an ganz
       bewussten Wohnungspolitiken. In Berlin etwa gab es eine bewusste Ansiedlung
       von Gastarbeiterinnen in bestimmten Vierteln.
       
       Sie haben eben gesagt, [1][im Falle von Sinti:zze und Rom:nja gibt es
       mehr Forschung zu Umweltrassismus]. Wie ist diese Gruppe davon betroffen? 
       
       Es gibt eine Studie von 2020, sie heißt „[2][Pushed to the wastelands.
       Environmental racism against Roma communities in Central and Eastern
       Europe“]. Dieser Report identifiziert drei Hauptkategorien oder Dimensionen
       von Umweltrassismus gegen Rom:nja. Die erste ist, dass sie sehr häufig
       abgeschnitten sind von öffentlicher Infrastruktur, Müllversorgung,
       Sanitäranlagen, Trinkwasser und all solchen Dingen. Die zweite Dimension
       ist, dass viele Sinti:zze und Rom:nja an Orten leben müssen, wo es
       besonders viele umweltschädliche Einflüsse gibt. Die dritte Dimension sind
       Zwangsvertreibungen, die auch mit der meisten Gewalt und
       Menschenrechtsverletzungen einhergehen. Viele Rom:nja wurden und werden
       vertrieben und an diese schädlichen Orte gezwungen. Mich hat dieser Report
       allerdings nicht sehr verwundert.
       
       Warum nicht? 
       
       Zwar möchte ich in die Rassismusdebatte keine Hierarchien reinbringen oder
       irgendwelche Opferkonkurrenzen. Aber Tatsache ist, dass der Rassismus gegen
       Sinti:zze und Rom:nja derjenige Rassismus ist, der am wenigsten
       gesellschaftlich aufgearbeitet und zugleich sehr stark ausgeprägt ist.
       Leute wissen oft gar nichts darüber. Vielen Menschen ist auch nicht
       bewusst, gerade in Deutschland, dass Sinti:zze und Rom:nja NS-Opfer
       waren und dass es einen Genozid an ihnen gab.
       
       Können Sie ein Beispiel für Umweltrassismus gegenüber Sinti:zze und
       Rom:nja nennen? 
       
       Es gibt zwei Fälle in Deutschland, die man gut nachverfolgen kann, weil sie
       im globalen „environmental justice atlas“ dokumentiert sind, das ist ein
       Projekt der Universität Barcelona. [3][Der eine Fall betrifft Sinti:zze
       und Rom:nja aus Heidelberg], die auf einem ehemaligen Industriegebiet
       angesiedelt wurden, wo der Boden belastet ist. Der andere, noch
       gravierendere Fall für mich, [4][spielt in Hamburg]. Da wurden der Familie
       Weiß, die nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt ist, zumindest
       diejenigen, die den Porajmos überlebt haben, immer schlechte Orte
       zugewiesen, an denen sie leben durften. Das waren jeweils Industriegebiete,
       kurze Zeit auch mal ein Stück zwischen zwei Eisenbahngebieten. Besonders
       makaber war dann die Zuweisung auf ein Gelände mit Behelfshäusern, die von
       Zwangsarbeitern des Konzentrationslagers Neuengamme erbaut wurden.
       
       Ausgerechnet! 
       
       Aber erst als die Verhältnisse in den 80er Jahren dort so schlimm waren,
       dass die Menschen akut gesundheitsgefährdet waren, haben die Behörden
       beschlossen, ihnen eine Wohnsiedlung zur Verfügung zu stellen. Es gab zwar
       schon länger die Idee, im Georgswerder Ring diese Siedlung zu errichten,
       aber es gab sehr viel Widerstand dagegen von der lokalen Bevölkerung, die
       nicht wollte, dass Sinti:zze in ihrer Nachbarschaft wohnen. 1987 wurde
       diese Siedlung endlich errichtet, und die Menschen konnten einziehen. Was
       aber nicht gesagt wurde, ist, dass dieses Gelände vorher eine der größten
       Mülldeponien in Deutschland war und der ganze Boden mit Dioxin verseucht
       war, wie 2004 festgestellt wurde.
       
       Unfassbar! 
       
       Ja. Besonders makaber ist dieses Beispiel, wenn man bedenkt, dass die
       Siedlung als Wiedergutmachung wegen des Porajmos gedacht war. Das zeigt für
       mich die Kontinuität Gadge-rassistischer Zustände in Europa seit
       Jahrhunderten.
       
       Was bedeutet Gadge-rassistisch? 
       
       Gadge bedeutet „Nicht-Roma“ auf Romanes. Wichtig ist mir, hier noch einmal
       diese Kontinuität zu betonen. Zwar gibt es das Wort Umweltrassismus erst
       seit einigen Jahren, aber das Phänomen gibt es eben schon lange. Romani
       Rose, der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, hat schon in den
       80ern kritisiert, dass Menschen neben „Autobahnzubringern, Müllkippen und
       Rattenlöchern“ angesiedelt wurden.
       
       Sie sind Teil einer Gruppe, die sich Black Earth Kollektiv nennt. Was
       machen Sie? 
       
       Wir sind mehrheitlich Schwarz und Flinta. Das ist uns wichtig, weil wir
       feministische und rassismuskritische Perspektiven in die Umweltdebatte
       einbringen wollen. Wir arbeiten vor allem daran, dass Klimanarrativ im
       deutschen Diskurs zu verändern, weil wir beobachten, dass die Umwelt- und
       Klimagerechtigkeitsperspektive vereinnahmt wird von einer weißen, globalen
       Klimabewegung, ohne dass das, wofür die Konzepte stehen, berücksichtigt
       wird – nämlich den neokolonialen Ausbeutungszusammenhang der Klimakrise ins
       Zentrum zu rücken. Viele Menschen der Klimabewegung reden von
       Klimagerechtigkeit, aber was sie machen, ist einzig Umwelt- und
       Klimaschutz. Ich will Umwelt- und Klimaschutz nicht schlechtreden, aber ich
       glaube, dass es wirklich wichtig ist, dass wir vor allem über die sozialen
       Verhältnisse, über die sozialen Auswirkungen der Klimakrise sprechen. Wir
       wollen zeigen, dass wir die Klimakrise nicht verstehen können, wenn wir uns
       nicht anschauen, wie sie zusammenhängt mit Kolonialismus und Rassismus.
       
       5 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Umweltrassismus-in-Deutschland/!5823791
 (DIR) [2] https://eeb.org/wp-content/uploads/2020/04/Pushed-to-the-Wastelands.pdf
 (DIR) [3] https://ejatlas.org/conflict/sinti-families-settled-in-a-chemically-contaminated-area-in-heidelberg-germany
 (DIR) [4] https://ejatlas.org/conflict/sinti-people-settled-by-the-authorities-in-a-former-toxic-waste-dump-hamburg-germany
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
       
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