# taz.de -- Was sich lohnt beim Gallery Weekend: Schwingt die Sellerie-Sticks!
       
       > Alle Wege führen zum Gallery Weekend oder besser gesagt ins Land des
       > Sellerie: Die besten Shows in den Galerien und Off-Spaces von Crone bis
       > rosalux.
       
 (IMG) Bild: Im Programm des GW: María Magdalena Campos Pons' Film „Family Whisper“ (2021-2023) bei Barbara Thumm
       
       Auf alle möglichen und unmöglichen Situationen der Rezeption darf man sich
       beim diesjährigen [1][Gallery Weekend] freuen, das vor der Tür steht. Hier
       also der Versuch zu ein paar Tipps zum Weekend selbst wie zu alternativen
       Events und Ausstellungen. Ein Favorit von mir ist in jedem Fall „Simurg.
       Zehn Künstlerinnen aus Iran“ bei [2][Crone], allein schon wegen Soheila
       Sokhanvari. Über ihre vor zwei Monaten im Barbican Centre zu Ende gegangene
       Show „Rebel Rebel“ mit Porträts weiblicher Künstlerstars vor der Revolution
       als Miniaturmalerei, kann ich mich noch immer begeistern.
       
       Es sind große Namen in dieser Show bei Crone, und die Kuratorin Basak
       Senova hat Arbeiten ausgesucht, die ein breites Spektrum an Themen und
       Formen, aber auch Materialien und Medien umfassen. Grundsätzlich aber geht
       es um Erinnerung und Identität, eine fast zwangsläufige Auseinandersetzung
       für Künstlerinnen der Diaspora.
       
       Barbara Thumm präsentiert gleich zwei in Berlin neue Positionen. Die in
       Kuba geborene Künstlerin María Magdalena Campos-Pons zeigt das neue
       Mehrkanal-Video „Family Whisper“, das spirituelle Motive der Kreolisierung
       aufgreift. „Dining Chaos“ benennt eine Serie von fünf Gemälden, die der
       kenianische Künstler Kaloki auf dem Höhepunkt der Bürgerproteste in Nairobi
       malte. Dem Künstler, der außer Farbe auch Flechtwerk, genähte Seile und
       Collagen auf seinen Leinwänden schichtet, gelingt so eine brillante
       Verbindung von Erzählung und Werkstoff.
       
       Als Antidot zur Wucht all der Malerei auf dem Gallery Weekend empfiehlt
       sich „How to Look at Words“ von Adib Fricke bei [3][Vincenz Sala]. Fricke
       treibt sein Spiel mit der früh erlernten Kulturtechnik des Lesens und damit
       der Konditionierung, nicht umhin zu können, jede Abfolge von Buchstaben,
       und sei sie noch so bunt, als Wort lesen zu müssen. Und bunt und materiell
       sind Frickes Worte, ob sie Plakat sind, Tafelbild, Filmloop oder
       installative Arbeit im Raum wie „Transform Structure“, aus Puderzucker
       Schneeweiß auf den Boden schabloniert. In einer Art Umkehrung des
       Magritteschen Surrealismus möchte man von Frickes Konkretismus sprechen,
       anlässlich wörtlicher Aussagen wie „Words Sprayed on a Wall“ oder „Words
       Cut Out of Cardboards“, die genau das beschreiben, was materiell zu sehen
       ist.
       
       ## Ein Plattenbau bis zur Decke
       
       Last not Least muss unbedingt das [4][Sellerie Weekend 23] genannt werde.
       Man sollte nicht versäumen sich die eine oder andere Ausstellung im
       Programm der Projekträume während des Gallery Weekend anzuschauen – und das
       mit der Verkauferei zu unterstützen. Fündig wird man. Immerhin sind 60
       Off-Spaces, unter anderem Crystall Ball, Lage Egal, Rosalux oder Savvy
       Contemporary, mit insgesamt 222 Artists im Programm vertreten.
       
       Die künstlerische Recherche zur Klimakrise, die die Künstlerinnen Cammack
       Lindsey (am Müggelssee), Gülşah Mursaloğlu (über den Verbrauch von Erde)
       und Sybille Neumeyer (über die Verstrickungen von Menschen, Wetter und
       Insekten in einer datengesteuerten Welt) unternehmen sind gerade noch im
       Art Laboratory zu sehen.
       
       Wo man noch vorbeischauen sollte ist das Kühlhaus. Für „Bottom Up“, das am
       Sonntag endet, haben sich 36 Kunstschaffende – darunter beispielsweise John
       Bock, Fritz Bornstück, Sven Drühl, Nezaket Ekici, Philip Grözinger, Jan
       Muche und Sophia Pompéry – zusammengefunden und über drei Stockwerke hinweg
       eine ausgesprochen lebendige, anregende Ausstellung installiert. Beherrscht
       wird sie von Annett Zinsmeisters vom Boden bis zum Dach erreichenden
       Textil-Plattenbau in Fotodruck.
       
       Thomas Henninger verstört mit einem Landschaftsbild, das Rätsel aufgibt,
       weil es ausschaut wie nach der Natur, wobei die dann doch sehr unnatürlich
       erscheint. Tatsächlich ist sie eine Konstruktion aus Aquarellmalerei,
       digitaler Bildbearbeitung und Fotografie.
       
       Fotografie ist Boris Mikhailovs Metier. Und dabei steht im Zentrum seiner
       Arbeiten der menschliche Körper, nackt, verletzlich, unvollkommen und doch
       anrührend und schön. Seine in Hinblick auf die aktuelle Kriegskatastrophe
       so hellsichtige, 2019 entstandene Dia-Serie „Ispytanije smertju“ (Prüfung
       durch Tod) ergänzen in der [5][Werkstattgalerie] malerische Anmerkungen von
       Ingeborg zu Schleswig-Holstein.
       
       Mikhailov setzt in der Serie, die zuletzt in seiner großen Pariser
       Retrospektive zu sehen war, die Mitte Januar endete, Mensch und Verderben
       im Bild gegeneinander. Im Dialog mit dem Künstler und seinem Werk malt
       Schleswig-Holstein erstmals auf Aluminiumplatten, wobei sie auf
       vereinzelten Platten auch mit dem Pinsel Farbe über und in die Fotos von
       Boris Mikhailov bringt, die auf die Aluplatten kaschiert wurden.
       
       26 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.gallery-weekend-berlin.de/
 (DIR) [2] https://www.galeriecrone.com/
 (DIR) [3] https://www.vsala.com/Vincenz_Sala.html
 (DIR) [4] https://sellerie-weekend.de/
 (DIR) [5] http://www.werkstattgalerie.org/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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