# taz.de -- Ausstellung Fotografinnen auf Reisen: Wie sie auf die Welt blicken
       
       > Mit der Kleinbildkamera um den Globus: Das Kunstforum in Bielefeld zeigt
       > Werke von Fotografinnen auf Reisen aus 80 Jahren.
       
 (IMG) Bild: Wenn eine Frau 1951 nach Florenz reiste: „American Girl in Italy“ von Ruth Orkin
       
       Frau, Fotografie, Reise: diese Kombination barg in den 1920er Jahren jede
       Menge emanzipatorisches Potenzial. Da wäre der apparative Fortschritt der
       Fotografie. Mit der Kleinbildkamera, allen voran der Leica, und handlichem
       Filmmaterial erlangte das Fotografieren eine neue Stufe der Mobilität.
       
       Die Kamera wurde zum täglichen Begleiter, der lebendige und spontane
       Bildzugriffe ermöglichte. Die Fotografie in Tageszeitung und Illustrierter
       eröffnete zudem neue Berufsfelder. Und: In der Weimarer Republik erlangten
       Frauen den uneingeschränkten Zugang zu Hochschule wie Kunstakademie. Manch
       eine entschied sich hier für die moderne Disziplin der Fotografie, das
       nicht mit einer langen männlichen Bildtradition belastete Medium. Eine
       Neugier kannte bald auch keine geografischen Grenzen.
       
       Gut 250 Fotografien, 14 Künstlerinnen, ein Zeitraum von 80 Jahren: Das
       Kunstforum Hermann Stenner in Bielefeld beleuchtet Reisefotografie aus
       weiblicher Perspektive. Als frühe Protagonistin dient die Schweizer
       Historikerin, Schriftstellerin und Bildjournalistin Annemarie Schwarzenbach
       (1908–1942). Deren Reisebericht „Alle Wege sind offen“ ist auch der
       Ausstellungstitel entnommen. Ihr [1][rastloses Leben ließ Schwarzenbach]
       zwischen den USA, Europa, Afrika und dem vorderen Orient pendeln. Legende
       ist ihre Reise, ab Juni 1939, zusammen mit der Ethnologin Ella Maillart
       über den Balkan, die Türkei und den Iran nach Afghanistan, stilvoll im Ford
       Cabriolet.
       
       Hier erlebte die überzeugte Antifaschistin den Beginn des Zweiten
       Weltkriegs, dokumentierte, mit diplomatischen und wissenschaftlichen
       Empfehlungen ausgestattet, archäologische Stätten und moderne
       Ingenieursbauten, traditionell lebende Nomaden und Mitglieder der
       gesellschaftlichen Oberschicht. Für Schwarzenbach bedeuteten Reisen,
       Fotografieren und Schreiben stets Eskapismus wie Therapie ihrer
       Depressionen und Drogensucht, die Suche nach einer absoluten Form der
       Freiheit.
       
       ## In der Tradition des Neuen Sehens
       
       Frei hätten sie sich nur auf den Straßen in Paris oder London gefühlt,
       bekannte noch in den 1990er Jahren die Bielefelder Fotografin Gisela
       Wölbing (1914–2003), die über Jahrzehnte mit ihrer Lebensgefährtin Gertrud
       von Dyck (1913–1991) gemeinsam fotografisch gearbeitet hatte.
       
       Als kleine Fluchten nicht nur aus ihrem Studiobetrieb diente in den 1950er
       und 60er Jahren das Reisen in europäische Großstädte oder Nordafrika. Ihre
       bevorzugte Schwarz-Weiß-Fotografie steht in der Tradition des Neuen Sehens
       und der pointierten Fotografie eines Cartier-Bresson. Bislang nur regional
       bekannt, harrt ihr souveränes Werk einer größeren Rezeption.
       
       Mittlerweile sei die Fotografie wieder fest in männlicher Hand, so
       Katharina Bosse, Professorin für Fotografie an der Fachhochschule
       Bielefeld. Sie hat zusammen mit Christiane Heuwinkel, Direktorin des
       Kunstforums, die Ausstellung kuratiert. Bosse ist eine der gezeigten
       Fotografinnen, zum Bildthema macht sie auch ihre Mutterschaft. [2][Ebenso
       die US-Amerikanerin Justine Kurland.] Sie ging mit ihrem Sohn bis zu dessen
       Schulpflicht auf Reisen. Er wurde Teil ihrer Bildfindungen – leicht skurril
       etwa, wenn er neben einem langen Güterzug mit seiner Eisenbahn spielt.
       Kurlands bis 2011 entstandenes Langzeitprojekt „Highway Kind“ wird nun
       erstmals in Deutschland gezeigt.
       
       Leider wird die engagierte Ausstellung die vorletzte des Kunstforums
       Hermann Stenner sein. Die tragende Stiftung zieht sich zurück, übergibt
       2024 die Flächen an die Kunsthalle Bielefeld. Zwar erhält diese dann den
       nötigen zusätzlichen Platz, kulturpolitisch begründbar ist die Entscheidung
       aber nicht.
       
       20 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ausstellung-ueber-Fotograf-Umbo/!5664023
 (DIR) [2] https://katharinabosse.com/2023/03/19/photonews-march-2023-article-on-justine-kurland/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Fotografie
 (DIR) Feminismus
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Reisen
 (DIR) Fotografie
 (DIR) Fotografie
 (DIR) Malerei
 (DIR) taz Plan
 (DIR) Bildende Kunst
 (DIR) Kunst Berlin
 (DIR) Kunstausstellung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Weiblicher Blick auf Palästina und Israel: Ein Koffer voller Fotos
       
       Anna Sophia Messner stellt deutschjüdische Fotografinnen vor. Deren
       Emigration wurde oft erzwungen. Ihre Werke sind fast in Vergessenheit
       geraten.
       
 (DIR) Pionier der Straßenfotografie: Er streunt wie ein Straßenköter
       
       Manisches Bedienen des Auslösers: Dem japanischen Fotografen und Analytiker
       der Straße, Daido Moriyami, widmet C/O Berlin eine Retrospektive.
       
 (DIR) Ausstellung über Expressionistin: Intuitiv das Ganze erfasst
       
       Mehr als Kandinskys Muse: Anhand ihrer Porträts zeichnet eine Ausstellung
       in Hamburg die stilistische Entwicklung der Malerin Gabriele Münter nach.
       
 (DIR) Die Kunst der Woche in Berlin: Getanzter Widerstand
       
       Zineb Sediras verwebt das Kino der 60er- und 70er-Jahre zu einer Erzählung
       über Migration. Max P. Häring zeichnet Arthur Rimbauds trunkenes Schiff.
       
 (DIR) Erinnerungsarbeit mit Fotografie: Trauer ermöglichen
       
       Der Künstler Hrair Sarkissian fotografiert Schauplätze gewaltvoller
       Vergangenheit in Syrien oder Armenien. Das wird jetzt in Maastricht
       gezeigt.
       
 (DIR) 100 Fotografie-Ausstellungen in Berlin: Fenster auf und Zunge raus
       
       Der 10. Europäische Monat der Fotografie zeigt Fotokunst in 100
       Ausstellungen. Doch wie autonom ist die Fotografie heute?
       
 (DIR) Ausstellung von Nhu Xuan Hua: Kuss eines Schwans
       
       Nhu Xuan Hua ist bekannt für ihre Mode- und Porträtfotografie. In Frankfurt
       zeigt sie nun seltsam surreale Dokumente der Gegenwart.