# taz.de -- Kampf gegen Rechtsextremismus: Aus neurechts wird rechtsextrem
       
       > Der Verfassungsschutz stuft die AfD Jugend, das Institut für
       > Staatspolitik und den Verein Ein Prozent als rechtsextrem ein. Dort
       > reagiert man trotzig.
       
 (IMG) Bild: Hannes Gnauck, Vorsitzender der „Jungen Alternative“, am 10. Februar in Berlin
       
       BERLIN taz | Anfang April kam man zum Feiern in Schnellroda zusammen. Das
       neurechte Blatt „Sezession“ feierte auf dem Gelände des Instituts für
       Staatspolitik [1][sein 20-jähriges Jubiläum] – und nach eigenen Angaben
       kreuzten 140 Gäste auf, darunter die Fraktionsspitzen aller
       AfD-Ostverbände, mit Festredner Björn Höcke. Über eine „wirklich schöne
       Feier“ freute sich danach Gastgeber und Sezessions-Herausgeber Götz
       Kubitschek, der auch Lenker des Instituts für Staatspolitik ist.
       
       Seit Mittwoch nun gibt es ein verspätetes Jubiläumspräsent für Kubitschek,
       ein unwillkommenes: Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte sein
       Institut für Staatspolitik als gesichert rechtsextremistische Bestrebung
       ein und damit als vollwertiges Beobachtungsobjekt. Parallel geschah
       Gleiches mit zwei verbandelten Organisationen aus der neurechten Szene: der
       AfD-Parteijugend „Junge Alternative“ (JA) und dem Verein „Ein Prozent“. Sie
       alle stehen jetzt auf einer Stufe mit der NPD.
       
       „Die Positionen des Instituts für Staatspolitik, Ein Prozent und der Jungen
       Alternative sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“, erklärte
       Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang. „Es bestehen keine Zweifel
       mehr, dass diese drei Personenzusammenschlüsse verfassungsfeindliche
       Bestrebungen verfolgen.“ Alle drei Gruppen versuchten, vermeintlich Fremde
       auszugrenzen und dies gesellschaftlich anschlussfähig zu machen, so
       Haldenwang. Dieses Propagieren von Feindbildern könne „den Boden für
       unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen bereiten“.
       
       Mit der Einstufung kann der Verfassungsschutz nun leichter alle
       nachrichtendienstlichen Mittel wie Observationen oder V-Leute gegen die
       Gruppen einsetzen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte den
       Schritt: Die „Neuen Rechten“ verbreiteten „nichts als Hass und Ausgrenzung“
       gegenüber Andersdenkenden oder Migranten.
       
       Kubitschek ist zentraler Kopf 
       
       Alle drei Organisationen sind seit Jahren prägende Akteure der neurechten
       Szene, die von einer radikal rechten Kulturrevolution träumt. Kubitscheks
       Institut für Staatspolitik (IfS), bereits im Jahr 2000 gegründet, fungiert
       hier als ideologischer Thinktank, gibt sich intellektuell. Mit der
       „Sezession“ gibt das Institut die zentrale Publikation der Szene heraus,
       organisiert regelmäßig „Akademien“, an denen auch AfD-Anhänger:innen
       teilnehmen. Geklagt wird dort über eine vermeintliche „Umvolkung“ oder
       „Ersetzungsmigration“.
       
       Zentraler Kopf hinter dem IfS ist Kubitschek, auch wenn das Institut von
       Erik Lehnert geleitet wird. Kubitschek ist ein enger Vertrauter von Höcke
       und auch sonst bestens in der Szene vernetzt. Zuletzt beschwor er die
       Herbstproteste gegen die Regierung mit, die letztlich aber überschaubar
       blieben.
       
       Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte das Institut für Staatspolitik
       bereits [2][im April 2020 als rechtsextremen Verdachtsfall] ein. Beim
       Landesamt in Sachsen-Anhalt ist es bereits [3][seit Oktober 2021 ein volles
       Beobachtungsobjekt]. Nun zieht das Bundesamt nach und wirft dem IfS
       Verstöße gegen die Menschenwürde und ein „ethnisch-abstammungsmäßiges
       Volksverständnis“ vor. Eingebürgerte Staatsangehörige seien für das
       Institut „Deutsche zweiter Klasse“. Migranten, Geflüchteten und teils
       Muslimen würde pauschal unterstellt, die Sicherheit und den Erhalt des
       deutschen Volkes zu gefährden.
       
       Ähnlich lauten die Vorwürfe gegen den [4][Verein „Ein Prozent“], den der
       Verleger Philipp Stein anführt und der [5][seit Juni 2020 Verdachtsfall]
       war. Der Verein versteht sich als Logistikzentrum der neurechten Szene,
       versucht Anti-Asyl-Proteste zu pushen und zu vernetzen. Er veröffentlicht
       Videos, Podcasts und sogar ein rechtsextremes Videospiel, „Heimat
       Defender“. Mitgründer war auch hier Kubitschek. Auch bei „Ein Prozent“
       sieht der Verfassungsschutz eine „inhaltliche Radikalisierung“ und
       rassistische, muslimfeindliche sowie völkische Äußerungen.
       
       Die Junge Alternative ist die zahlenstärkste nun eingestufte Gruppe, nach
       eigener Auskunft hat sie 1.700 Mitglieder. Bereits im Januar 2019 wurde sie
       vom Verfassungsschutz zum Verdachtsfall erklärt. Angeführt wird der Verband
       derzeit [6][vom Brandenburger Bundestagsabgeordneten Hannes Gnauck], ein
       Zeitsoldat, der bereits 2020 vom Militärgeheimdienst MAD als Extremist
       eingestuft wurde. Die JA tritt deutlich aktivistischer auf als ihre
       Mutterpartei. Zuletzt agitierte sie gegen „Messer-Alis“ oder karikierte
       Muslime als „invasive Art“. Auf einer AfD-Demonstration in Berlin im
       Oktober 2022 [7][trat sie als militant wirkender Block auf], skandierte
       Identitären-Slogans wie „Multikulti Endstation“.
       
       Auch in der AfD-Bundestagsfraktion ist die Parteijugend vertreten:
       Wenigstens sechs Mitglieder sind oder waren Teil der JA, die meisten davon
       in Führungspositionen. Ebenso sollen zahlreiche Mitarbeiter*innen von
       AfD-Abgeordneten in der JA sein. So war beim ehemaligen hessischen JA-Chef
       Jan Nolte der rechtsextreme [8][Oberleutnant Maximilian T.] angestellt, der
       enge Kontakte zum verurteilten Rechtsterroristen Franco A. haben soll.
       
       Der Verfassungsschutz wirft auch der Jungen Alternative vor, migrantische
       Staatsbürger als Deutsche zweiter Klasse abzuwerten, außereuropäische
       Migranten würden als grundsätzlich nicht integrierbar ausgegrenzt. Vor
       allem Muslimen würde „kulturelle Rückständigkeit“ und ein
       überproportionaler Hang zur Kriminalität vorgeworfen. Auch das
       demokratische System werde „generell herabgewürdigt“.
       
       Bei all dem ist die JA seit dem AfD-Parteitag von Riesa im Juni 2022 so gut
       in der Mutterpartei verankert wie nie zuvor. Mit Carlo Clemens wurde ihr
       damaliger Bundessprecher in den amtierenden Parteivorstand gewählt. Seine
       Wahl in den Vorstand quittierte eine Gruppe Jungalternativer mit lautem
       Gejohle und Sprechchören. Verstanden wurde das sichtlich als Aufwertung der
       gesamten Jugendorganisation. AfD-Rechtsaußen und Thüringen-Chef Höcke hatte
       mit Blick auf die Einstufung der Mutterpartei als Verdachtsfall auf dem
       Parteitag gesagt: Man wolle künftig selbst bestimmen, „wer Extremist ist
       und von wem wir uns abgrenzen“.
       
       Belege gab es schon lange 
       
       In der JA hat man seither den Segen von der Parteispitze: Auf dem
       Bundeskongress von Apolda im Oktober 2022 hielten sowohl Höcke als auch
       Parteichef Tino Chrupalla Grußreden. Distanzierungen? Fehlanzeige. Der
       Parteinachwuchs nutzte den Spielraum für Radikalisierung bedenkenlos aus:
       Auf Clemens, der nicht mehr antrat, folgte Gnauck, der bei jeder sich
       bietenden Gelegenheit sagt: „Deutschland ist größer als die BRD!“ – so auch
       im Gespräch mit Kubitschek vom Institut für Staatspolitik.
       
       Belege für eine Verfassungsfeindlichkeit der JA gibt es schon lange – in
       wissenschaftlichen Analysen, journalistischen und antifaschistischen
       Recherchen. Im „Netzladen“ verkauft die Junge Alternative neben Flyern und
       Fanartikeln, die an in Identitären-Ästhetik erinnern, [9][offen
       neofaschistische Literatur], die zum Umsturz aufruft oder Zeitschriften des
       Identitären Jonas Schick mit [10][offen faschistischer Symbolik] und Bücher
       aus dem neofaschistischen Jungeuropa Verlag. Ebenso veranstaltet die JA wie
       andere Neonazis [11][„Heldengedenken“ am Volkstrauertag], wie das NS-Regime
       den Tag 1934 umbenannte.
       
       Auf dem letzten Bundeskongress im Oktober 2022 illustrierte sich dann das
       ganze neurechte Netzwerk: Es gab Stände von Ein Prozent, von Kubitscheks
       Antaios Verlag sowie des Modelabels „Phalanx Europa“, das aus der
       Identitären Bewegung kommt. Hier gibt es ohnehin keine Distanz: In
       Thüringen wählte die JA mit Nils Hartwig einen Identitären [12][zum Leiter
       ihres Bundeskonvents].
       
       Auch zur AfD sind die Grenzen ideologisch fließend. Die
       Verschwörungsideologie vom Bevölkerungsaustausch formulieren auch
       namenhafte AfD-Politiker [13][seit langer Zeit] – nicht zuletzt [14][der
       Ehrenvorsitzende Alexander Gauland], der nachhaltig dafür sorgte, dass die
       völkisch-nationalistische Strömung innerhalb der Partei an Boden gewann.
       
       Empörung bei der AfD 
       
       Die nun Eingestuften reagierten trotzig auf den Vorstoß des
       Verfassungsschutz. Kubitschek antwortete als Erster auf taz-Anfrage: „Trotz
       dieses skandalösen Vorstoßes einer parteipolitisch instrumentalisierten
       Behörde sind wir uns in Anlehnung an eine relativ große deutsche
       Politikerin sicher: Wir halten durch, wir schaffen das!“
       
       Die Co-Vorsitzenden der AfD, Tino Chrupalla und Alice Weidel, nannten die
       „empörende Einstufung“ mit Blick auf ihr eigenes VS-Verfahren ein
       „prozesstaktisches Manöver“. Sie kündigten juristische Mittel an. Höcke
       forderte unterdessen die Auflösung des Verfassungsschutzes und nannte den
       Geheimdienst „Teil des praktizierten Regierungsextremismus“.
       
       Die Junge Alternative brauchte etwas länger für ihre Reaktion. Erst am
       späten Nachmittag hieß es in einer Mitteilung, dass es Aufgabe des
       Geheimdienstes sei, „die Opposition hierzulande zu unterdrücken“ –
       „Migrationskritiker, Coronamaßnahmenkritiker oder Friedensbefürworter“
       würden „systematisch stigmatisiert“. Die Radikalisierung stritt sie ab: Die
       JA habe sich in den letzten Jahren „programmatisch, ästhetisch, personell“
       professionalisiert und prüfe juristische Schritte.
       
       Mitglieder der eingestuften Organisationen dürften nun Probleme bekommen,
       falls sie im öffentlichen Dienst arbeiten. Auch könnten Waffenerlaubnisse
       eingezogen oder nicht genehmigt werden. Offen bleibt, wie der
       Verfassungsschutz weiter mit der AfD selbst umgeht. Schon 2019 hatte der
       Geheimdienst die Partei als Prüffall eingestuft, im Frühjahr 2022 dann als
       rechtsextremen Verdachtsfall. Präsident Haldenwang hatte zuletzt erklärt,
       die Partei entwickele sich immer „weiter nach rechtsaußen“.
       Rechtsextremisten wie Höcke bekämen immer stärkeren Einfluss, Gegenkräfte
       seien kaum noch wahrnehmbar.
       
       Die AfD hatte auch gegen ihre eigene Einstufung geklagt – [15][im März 2022
       aber vor dem Verwaltungsgericht Köln verloren]. Inzwischen läuft ein
       Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster. Eine
       Entscheidung wird erst zum Jahresende erwartet.
       
       26 Apr 2023
       
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