# taz.de -- Beratungen in Luxemburg: Harte Kritik an EU-Asyl-Plänen
       
       > Am Donnerstag beraten die EU-Innenminister*innen über eine Verschärfung
       > der Asylpolitik. Deutsche und Internationale Aktivist*innen schlagen
       > Alarm.
       
 (IMG) Bild: Griechenland, 16. 1. 2022: Geflüchtete im neu eingerichteten Reception and Identification Center
       
       BERLIN taz | Vor dem [1][Gipfeltreffen der EU-Innenminister*innen] am
       Donnerstag haben europäische Menschenrechtsorganisationen die Kritik noch
       einmal verstärkt, die sie schon seit Wochen an der geplanten
       Asylrechtsverschärfung üben. Auch Wissenschaftler*innen sowie
       Linken-Politiker*innen und einige Abgeordnete von SPD und Grünen
       sprachen sich erneut gegen die Pläne aus. Die deutsche Bundesregierung
       trägt die Pläne dagegen mit, das gilt auch für die grünen
       Bundesminister*innen.
       
       Kern dessen, was in Luxemburg am Donnerstag verhandelt wird, ist der
       Vorschlag, Prüfverfahren für bestimmte Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen
       durchzuführen, wohl unter haftähnlichen Bedingungen. Außerdem steht zur
       Debatte, Flüchtlinge während der Prüfung ihres Asylgesuchs in sogenannte
       Drittstaaten zu bringen. Ein verbindlicher Mechanismus für die Verteilung
       von Geflüchteten auf die EU-Mitgliedsstaaten ist dagegen weiter nicht
       vorgesehen.
       
       Die deutsche [2][Organisation ProAsyl] warnt, durch die Pläne drohe eine
       „Aushebelung des Asylrechts in der EU“. Die rechtspolitische Sprecherin der
       Organisation, Wiebke Judith, sagte: „Die Bundesregierung muss bei ihren
       menschenrechtlichen Vorgaben des Koalitionsvertrags bleiben.“ Julia
       Duchrow, die Vize-Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, sprach von
       einem „menschenrechtlichen Tabubruch, der die Allgemeingültigkeit von
       Menschenrechten und rechtsstaatliche Grundsätze infrage stellt“.
       
       Auch die Expert*innen des deutschen Rats für Migration sprachen sich
       gegen die Pläne aus. Sie teilten mit, der Entwurf bestärke „die Forderungen
       rechtspopulistischer und -extremer Parteien und Regierungen nach einer
       faktischen Abschaffung des Flüchtlingsschutzes weiter“. In einem offenen
       Brief hatten sich zudem schon am Dienstag zahlreiche
       Kinderrechtsorganisationen gegen die Pläne ausgesprochen. Das Vorhaben
       würde Kinderrechte massiv einschränken. [3][Kinder und Jugendliche] dürften
       nicht den Grenzverfahren unterworfen oder in vermeintlich sichere
       Drittstaaten gebracht werden.
       
       ## Drohende Retraumatisierung
       
       Kritik gibt es ebenfalls von internationalen Organisationen. Das
       International Rescue Committee teilte mit, Erfahrungen in Ländern wie
       Griechenland zeigten, dass die Unterbringung der Menschen Auswirkungen auf
       Integration und psychische Gesundheit hätten. Sie seien teils „in
       abgelegenen Einrichtungen, unter ständiger Überwachung und hinter
       Stacheldrahtzäunen“ untergebracht. Angesichts der Traumata, die viele
       Geflüchtete auf dem Weg nach Europa erlebt hätten, sei es an der Zeit, den
       „Schwerpunkt von Mauern auf die Aufnahme zu verlagern“.
       
       Die auf den griechischen Inseln tätige NGO Refugee Support Aegean (RSA)
       nannte die vom EU-Rat vorgeschlagenen Grenzverfahren „beunruhigend“. Ihre
       Folge sei Freiheitsentzug, der auch im Binnenland für bis zu vier Monate
       angewandt werden könnte, falls die Lager direkt an den Außengrenzen voll
       sind. „Der Rat beschränkt den Zugang zum Asylrecht“, so RSA weiter.
       
       Im Angesicht solch scharfer Kritik rumort es in den Ampelfraktionen weiter.
       Schon am Dienstag hatten sich über [4][700 Grünen-Mitglieder in einem
       offenen Brief] an ihre Parteispitze gewandt und diese aufgefordert, sich
       gegen die geplanten Verschärfungen des EU-Rechts zu stellen.
       
       Die Kritik in der SPD ist weniger laut, auch weil man die eigene
       Innenministerin in den durchaus schwierigen Verhandlungen mit den
       Kollegen*innen in der EU nicht schwächen will. „Wir wollen Nancy Faeser
       in dieser schwierigen Situation den Rücken stärken, gleichzeitig gibt es
       auch in der SPD breite Kritik am Vorschlag der Kommission“, so der
       sächsische Bundestagsabgeordnete Carlos Kasper.
       
       Er gehört zu jener Handvoll SPD-Abgeordneter, die einen
       fraktionsübergreifenden Brief unterzeichneten, der sich kritisch mit dem
       Vorschlag der Kommission auseinandersetzt. Etwa den geplanten
       Schnellverfahren vor den Toren der EU. „Dass Familien mit minderjährigen
       Kindern davon ausgenommen werden, wäre für mich eine Bedingung. Wir können
       es nicht zulassen, dass die EU für Geflüchtete Lager mit haftähnlichen
       Zuständen in Drittstaaten einrichtet“, so Kasper.
       
       ## Auch die Linke macht Druck
       
       Ebenfalls unterzeichnet hat ihn der Berliner [5][SPD-Bundestagsabgeordnete
       Hakan Demir]. Er kritisiert vor allem die geplante Ausweitung der sicheren
       Drittstaaten. „Die Ausweitung könnte im Extremfall bedeuten, dass Staaten
       wie Tunesien und die Türkei zu sicheren Drittstaaten erklärt werden und
       niemand, der über diesem Weg nach Europa flüchtet, hier Asyl bekommt.“ Er
       hält es für besser, wenn der Vorschlag der Kommissionen samt allen
       Verschärfungen nicht beschlossen wird und man zunächst weiter verhandelt.
       
       Die Opposition im Bundestag kritisiert das Vorhaben ebenfalls. Die
       asylpolitischen Sprecher*innen der Linken aus Bundestag und diversen
       Länderparlamenten veröffentlichten am Mittwoch ein Statement, in dem sie
       sich gegen die Pläne aussprachen. Darin heißt es etwa: „Ja – die
       europäische Asylpolitik muss grundlegend neu ausgerichtet werden.“ Dabei
       müssten aber die Menschenrechte der Schutzsuchenden im Mittelpunkt stehen.
       
       Die [6][CDU fordert derweil,] die deutsche Seite solle sich in der EU für
       noch härtere neue Regeln einsetzen als jetzt schon geplant. Ausnahmen bei
       den Prüfverfahren an den Grenzen solle es für Familien mit Kindern nicht
       geben.
       
       ## Internierungslager auch in benachbarten Staaten
       
       Die Diskussion um die Verfahrenslager an den EU-Grenzen wird seit Langem
       begleitet von der Forderung, auch in benachbarten Transitstaaten weitere
       Internierungslager zu bauen, in die abgelehnte Schutzsuchende gebracht
       werden können. Solche Lager gibt es bereits, etwa in der Türkei.
       
       Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Bauarbeiten eines neuen Lagers in
       Bosnien gestoppt wurden und der vom Wiener Thinktank ICMPD konzipierte und
       von der EU finanzierte Gefängnistrakt im bosnischen Flüchtlingscamp Lipa
       nicht in Betrieb gehen wird. Grund sei, dass die Rechtsgrundlage dafür
       fehle und „auch nicht geschaffen werden wird“. Das sagte der bosnische
       Menschenrechtsminister Sevlid Hurtić gegenüber lokalen Medien.
       
       Und während Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag in Rom die
       [7][Ministerpräsidentin Giorgia Meloni] besuchte, rettete die italienische
       Küstenwache bei mehreren Einsätzen mehr als 1.400 Migrant*innen. Sie waren
       auf überfüllten Schiffen unterwegs, wie die italienische Küstenwache
       mitteilte. In den Wochen zuvor hatten auch private Rettungsschiffe Hunderte
       Migrant*innen an Land gebracht.
       
       8 Jun 2023
       
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