# taz.de -- Kirchen in Deutschland: Im freien Fall
       
       > 2022 erklärten mehr Protestant*innen ihren Austritt als je zuvor. Der
       > Kirche droht der rapide Schwund in die Irrelevanz. Woran liegt es?
       
 (IMG) Bild: Kirchentagsbesucher*innen beim eröffnenden Kerzenmeer: Hier ist die Kirchen-Welt noch heile
       
       NÜRNBERG taz | Rund 380.000 Protestant*innen haben im Jahr 2022 ihren
       Austritt erklärt. Erstmals in der deutschen Geschichte stellten die
       Mitglieder der Evangelischen und Katholischen Kirche 2022 [1][nicht mehr
       die Mehrheit der Bevölkerung]. Den Kirchen droht ein rapides Abrutschen in
       die Irrelevanz.
       
       Die [2][Austrittsgründe? Verschieden]. Oft ist der Austritt kein akuter
       Bruch, sondern eine schleichende Entfremdung von der Kirche. Doch jeden Tag
       entscheiden sich mehr Menschen, schlussendlich aus den Kirchen auszutreten.
       
       Natürlich ist das Verhältnis der Mitglieder zu den Kirchen und ihrem
       Glauben zutiefst persönlich. Trotzdem versuchen die Kirchen händeringend,
       herauszufinden, was die Menschen aus den Gotteshäusern und Gemeinden
       treibt. Dabei stoßen sie in Studien immer wieder auf ungemütliche
       Antworten.
       
       So spielten [3][Missbrauchsskandale] zuletzt eine wachsende Rolle. Im Jahr
       2021 traten deswegen deutlich mehr Katholik*innen aus als
       Protestantinnen und Protestanten. Aber auch hier machte sich die Debatte um
       Gelegenheitsstrukturen bemerkbar: um kirchliche Strukturen, die
       sexualisierte Gewalt begünstigen können. Noch nie gab es so viele Austritte
       aus der Evangelischen Kirche in Deutschland wie heute. Ein Hieb in die
       Kerbe, denn absolut und relativ gesehen verlassen seit Jahren mehr
       Protestant*innen als Katholik*innen die Kirche. Hinzu kommt, dass
       2021 etwa doppelt so viele Gläubige starben wie durch die Taufe hinzukamen.
       
       ## Kirchensteuer ist ein Austrittsgrund
       
       Die große Masse der Kirchenmitglieder hat wenig direkten Bezug zur Kirche.
       Mehr als der Hälfte der Ausgetretenen scheint keinen konkreten Anlass für
       den Austritt zu haben. Einerseits geht die Entfremdung schleichend voran,
       trotzdem ist sie rasant: Seit 2005 verlieren beide Kirchen ihre Mitglieder
       immer schneller.
       
       Viele, das stellte das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD 2019 in
       einer großangelegten Austritts-Studie fest, finden es einfach nicht mehr
       angemessen, hohe Kirchensteuern zu zahlen. Ob das nur der Anlass oder ein
       echter Grund ist, können die Forscher*innen aber nicht beantworten.
       
       Nur ein kleiner Teil der Ausgetretenen ist mit dem Engagement der Kirche
       für Geflüchtete nicht zufrieden oder ärgert sich ausschlaggebend über deren
       politische Ausrichtung. Ob links oder rechts, progressiv oder konservativ:
       Ganze 53 Prozent finden trotzdem, dass die Werte der Kirche ihren eigenen
       nicht mehr wirklich entsprechen.
       
       Viel bedeutsamer scheint schlicht die zunehmende Irrelevanz in einer
       säkularen Gesellschaft zu sein. Ausgetretene begründen ihre Entscheidung
       mit Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche, mit allgemeiner
       Unglaubwürdigkeit, oder damit, dass sie ihren Glauben auch ohne die Kirche
       leben können.
       
       Aber auch die verbleibenden Mitglieder lassen sich kaum noch im
       Gottesdienst sehen. Nur ein Bruchteil geht regelmäßig zu Gottesdiensten
       oder engagiert sich aktiv in der Gemeinde. Aber zu großen Festen, bei
       Hochzeiten, an Weihnachten, zu Beerdigungen, da ist Kirche für sie wichtig.
       
       Bis 2060 prognostizieren Wissenschaftler*innen, dass die Kirchen noch
       einmal rund die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren werden. Die Kirche werde
       zunehmend „kleiner und demütiger“, kommentierte auch zuletzt Georg Bätzing,
       der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Vielleicht
       nähert sie sich damit ja ihrem Ideal an. Immerhin ist Demut eine
       christliche Kernkompetenz.
       
       8 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Mitgliederschwund-bei-den-Kirchen/!5846144
 (DIR) [2] /Mitgliedschaft-in-der-Evangelischen-Kirche/!5936119
 (DIR) [3] /Psychologe-ueber-Missbrauch-in-der-Kirche/!5934472
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Raoul Spada
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kirchentag 2023
 (DIR) Katholische Kirche
 (DIR) Evangelische Kirche
 (DIR) Kirche
 (DIR) Machtmissbrauch
 (DIR) Religionsfreiheit
 (DIR) Kirchentag 2023
 (DIR) Kirchentag 2023
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Missbrauch in der evangelischen Kirche: Verstecken geht nicht mehr
       
       Lange stand sexualisierte Gewalt in der EKD im Schatten der katholischen
       Kirche. Nun ist es offiziell: Auch die EKD hat ein Missbrauchsproblem.
       
 (DIR) Evangelischer Kirchentag in Nürnberg: Im Namen der Heiligen Geistkraft
       
       Das Feministische Andachtskollektiv vermittelt beim Kirchentag ein
       geschlechtergerechtes Sprechen über G*tt. Nicht alle Gläubigen sind
       begeistert.
       
 (DIR) Klavierkabarettist über Kirchentag: „Ist die Bibel noch zeitgemäß?“
       
       Auch beim Kirchentag in Nürnberg wird Bodo Wartke auftreten – und mit
       Kritik an der Kirche nicht sparen. Ein zweites Gespräch über Gott und die
       Welt.
       
 (DIR) Evangelischer Kirchentag in Nürnberg: Krise, Krieg und Gottvertrauen
       
       Zehntausende Menschen sind zum Evangelischen Kirchentag gereist. Zentrale
       Themen: Der Krieg in der Ukraine, Waffenlieferungen und Klimakrise.