# taz.de -- Neuer Roman von T.C. Boyle: Pool, SUV, Mehlwurmburger
       
       > Was sollen die Menschen auch tun? In T.C. Boyles Gesellschaftssatire
       > „Blue Skies“ ist der Ausnahmezustand zum neuen Normal geworden.
       
 (IMG) Bild: Die Natur schlägt zurück. Überschwemmungen in Fort Lauderdale
       
       Falls es wirklich kein richtiges Leben im falschen geben sollte, so haben
       die ProtagonistInnen von T.C. Boyles neuem Roman davon jedenfalls noch
       nichts gehört. Und so ziemlich alles ist in ihrer Welt inzwischen falsch:
       In Florida, wo ein Teil des Romans spielt, regnet es fast ununterbrochen,
       und das unberechenbar gewordene Meer ist dabei, sich Teile der Küste zu
       holen, an der nun völlig wertlose Strandhäuser stehen, die vormals ein
       Vermögen gekostet haben.
       
       In Kalifornien dagegen, dem anderen Romanschauplatz, herrscht eine Dürre
       biblischen Ausmaßes und fast das ganze Jahr über lebensbedrohliche Hitze.
       Dann tritt auf dem ganzen Kontinent auch noch ein großes Insektensterben
       ein, von dem sich nur die blutsaugenden Arten erholen, während nützliche
       Insekten wie die Honigbiene durch bionische Drohnen ersetzt werden müssen.
       
       Aber was sollen die Menschen denn tun? Keine Flugreisen mehr machen? Ihre
       Klimaanlagen, Autos und Swimmingpools abschaffen? Wie soll das denn gehen,
       gerade bei der Hitze?
       
       Sie sind nicht anders als du und ich und alle, die wir kennen, die
       Mitglieder der Familie Cullen, die T.C. Boyle der Welt als eine Art Spiegel
       vorhält. Nur sind sie schon ein Stück weiter als wir. Sie wissen
       prinzipiell um den Ernst der Situation und gehen sehr unterschiedlich damit
       um, haben sie aber letztlich alle schon als Realität akzeptiert.
       
       „Blue Skies“ [1][handelt von der Klimakatastrophe,] auf die auch wir schon
       zusteuern, ist aber kein Katastrophen-, sondern ein geringfügig in die
       Zukunft verschobener Gesellschaftsroman. Drei Personen und ihre
       unterschiedlichen Perspektiven tragen die Handlung: Ottilie, eine
       70-jährige kalifornische Arztgattin, sowie ihre erwachsenen Kinder Cat und
       Cooper.
       
       ## Der Sohn mag Insekten
       
       Letzterer ist Insektenforscher, arbeitet an seiner Dissertation und hat als
       Wissenschaftler den klarsten Blick von allen auf die menschengemachte
       Naturkatastrophe. Ganz anders seine Schwester Cat, die in Florida in einem
       coolen Strandhaus lebt, gern Influencerin wäre und sich als
       Lifestyle-Requisit einen Tigerpython zulegt.
       
       Mutter Ottilie wiederum möchte immer alles richtig machen, hat ihren Garten
       auf Anraten des Sohnes insektenfreundlich gestaltet und versucht sogar,
       [2][Grillen für den Verzehr zu züchten].
       
       Alles richtig zu machen, ist aber sehr schwer. Die Grillenzucht misslingt,
       die Mehlwurmzucht ebenso, aber immerhin gibt es inzwischen Laborfleisch zu
       kaufen, das fast so schmeckt wie Hühnchen. Im Gegensatz zu ihrer Freundin
       Sylvie duscht Ottilie nur noch sehr selten, um Wasser zu sparen, schwimmt
       aber täglich in ihrem Pool, in den sie haufenweise Chlor kippen muss, um
       bei der Hitze das viele Wasser keimfrei zu halten.
       
       Und natürlich muss sie sich ins Flugzeug setzen, um zu Cat nach Florida zu
       gelangen, als diese mitten in einem Hurrikan mit Zwillingen niederkommt,
       ihr Mann nicht da ist und das Haus abzusaufen droht. Es geht ja nicht
       anders. Im Großen Ganzen ist es leicht, sich mit Ottilie zu identifizieren.
       Sie ist tatkräftig, experimentierfreudig und unerschrocken, und von den
       Hauptfiguren ist sie diejenige mit den am wenigsten satirischen Zügen.
       
       ## Würgeschlange als Haustier
       
       Anders verhält es sich mit ihrer Tochter. Im echten Leben würde man kaum
       glauben wollen, dass eine Gestalt wie Cat Tochter dieser patenten Mutter
       sein soll. Cat denkt ausschließlich in Lifestyle-Kategorien und hat sich
       darauf eingerichtet, ein sorgloses Leben als gutgekleidete Ehefrau eines
       gutverdienenden Mannes zu führen. Dass eine Würgeschlange ein eher
       unpassendes Haustier für einen Säuglingshaushalt ist, scheint ihr keinen
       Augenblick in den Sinn zu kommen.
       
       Aber meist vernebelt ihr ohnehin der Alkohol das klare Denken. Den Hang zu
       sehr regelmäßigem Alkoholkonsum allerdings teilt sie mit allen
       Romanfiguren, einschließlich ihrer Mutter. Das Leben in der schleichenden
       Apokalypse scheint sich nur berauscht ertragen zu lassen.
       
       Aber eben dass es sich bereits um die Apokalypse handelt, das Ende der
       Welt, wie sie sie kannten, das wäre zu viel, als dass die Romanfiguren es
       sich in aller Klarheit eingestehen könnten – den Biologen Cooper
       ausgenommen, dem die Natur auch noch übel mitspielt. Doch Coopers düstere
       Prophezeiungen wirken im Kontext des Familien-Esstischs wie ein zur Rolle
       des ewigen aufmüpfigen Teenagers gehörendes Geplänkel.
       
       Und die lebensbedrohlichen Dramen, die der Autor im Laufe des Romans seinen
       Charakteren zuteilt, sind sozusagen Katastrophen auf Raten – Teilzahlungen
       dafür, dass der Mensch sich der restlichen Natur gegenüber immer zu viel
       herausgenommen hat und nun eine Quittung nach der anderen dafür bekommt.
       Cats Strandhaus ist das ultimative Symbol dieser Beziehung – zu Beginn
       super-instagrammable und begehrenswert, am Ende eine termitenzerfressene
       Ruine auf überflutetem Land.
       
       ## Man schwitzt und betrinkt sich
       
       Man lebt halt so lange wie möglich weiter, wie man es gewohnt ist. Na ja,
       man schwitzt, man dreht die Klimaanlage auf, man betrinkt sich gepflegt,
       dann geht es schon irgendwie. Der Mensch an sich ist ja sehr
       anpassungsfähig.
       
       Und auch der Autor ist im Grunde gar nicht so anders als seine Figuren:
       Auch er macht weiter wie immer, tut das, was er eben kann, und haut einen
       neuen dezent satirischen Gesellschaftsroman in die Tasten, schwungvoll, gut
       gebaut und hoch unterhaltsam, nur eben angepasst an die Gegebenheiten. Wer
       Gegenwartssatire betreiben will, ist heutzutage mit einem leichten
       Katastrophenmodus gut beraten.
       
       Das spricht absolut nicht gegen, sondern unbedingt für diesen Roman. Denn
       der andere, reale Katastrophenmodus, derjenige der täglichen Nachrichten,
       wird auf Dauer langweilig, stumpft uns durch Wiederholung ab und berührt
       unser tägliches Leben kaum. Aber hier, in diesem ziemlich perfekten Stück
       gehobener Unterhaltungsliteratur, sehen wir auf einmal, wie Menschen wie
       wir sich an ihrer prekären Normalität festhalten, wo es gar nichts mehr zum
       Festhalten gibt.
       
       Da heben wir die Augenbrauen, erkennen uns vielleicht einen Moment lang
       selbst; und kurz fliegt uns der Gedanke an, ob wir dieses Stadium wohl auch
       bald erreicht haben werden. Und dann leben wir weiter wie zuvor.
       
       24 Jun 2023
       
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