# taz.de -- Jahresbericht Flüchtlingswerk UNHCR: 110 Millionen auf der Flucht
       
       > Der Krieg in der Ukraine hat den schnellsten Anstieg der
       > Flüchtlingszahlen seit dem Zweiten Weltkrieg verursacht. Die Türkei hat
       > die meisten Flüchtlinge aufgenommen.
       
 (IMG) Bild: 5,7 Millionen Menschen haben die Ukraine seit Kriegsbeginn verlassen: Geflüchtete am Bahnhof von Przemysl, Polen 24.03.2022
       
       BERLIN taz | Den letzten Schub brachte im Mai [1][die Krise im Sudan]: Sie
       ließ die aktuelle Zahl der weltweit Vertriebenen auf schätzungsweise über
       110 Millionen Menschen ansteigen. Das gab das UN-Flüchtlingswerk UNHCR
       anlässlich der Veröffentlichung seines Jahresberichts am Mittwoch bekannt.
       Demnach mussten allein im Jahr 2022 rund 19 Millionen Menschen zusätzlich
       ihre Heimat verlassen. Sowohl die Gesamtzahl als auch der jährliche Anstieg
       markieren neue Rekorde.
       
       „Diese Zahlen zeigen uns, dass Konfliktparteien viel zu schnell einen
       Konflikt beginnen, ohne politischen Lösungen genügend Raum zu geben, und
       viel zu langsam sind, um Lösungen zu finden“, sagte der Hohe Kommissar der
       UN für Flüchtlinge, Filippo Grandi. „Die Folgen sind Verwüstung,
       Vertreibung und Leid für jeden einzelnen der Millionen Menschen, die
       gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben wurden.“
       
       Von den 108,4 Millionen bis Ende 2022 Vertriebenen sind 35,3 Millionen
       Flüchtlinge, also Menschen, die eine internationale Grenze überquert haben.
       Bei 62,5 Millionen Menschen handelte es sich im sogenannte
       Binnenflüchtlinge, die innerhalb ihrer Heimatländer Schutz suchten.
       
       ## 5,7 Millionen Flüchtlinge als Folge des Ukraine-Kriegs
       
       Der Krieg in der Ukraine machte im Jahr 2022 die stärkste Veränderung aus.
       Er ließ die Zahl der internationalen Flüchtlinge aus dem Land auf 5,7
       Millionen ansteigen. Es ist die schnellste Entwicklung einer
       Flüchtlingssituation seit dem Zweiten Weltkrieg. Zum Vergleich: Aus Syrien
       floh die gleiche Zahl an Menschen nach 2011 innerhalb von vier Jahren.
       
       Weiterhin finden die mit Abstand meisten Menschen Schutz in armen Ländern.
       Allein auf die 46 am wenigsten wirtschaftlich entwickelten Staaten der Erde
       entfallen weniger als 1,3 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, aber
       mehr als 20 Prozent der Flüchtlingsaufnahme. Internationale Hilfen für
       humanitäre Hilfe und Aufnahmeländer blieben derweil nach Angaben des UNHCR
       auch 2022 „weit hinter dem Notwendigen zurück“.
       
       Die Staaten mit der höchsten Flüchtlingsaufnahme weltweit waren die Türkei
       (3,6 Millionen), Iran, wohin rund 3,4 Millionen Afghan:innen geflohen
       sind, Kolumbien, das rund 2,5 Millionen Venezolaner:innen aufnahm,
       und auf Platz 4 Deutschland mit rund 2,1 Millionen Aufgenommenen. An der
       Spitze der Herkunftsländer lag Syrien mit 6,5 Millionen, gefolgt von der
       Ukraine und Afghanistan mit je 5,7 Millionen. Den höchsten absoluten
       Zuwachs an neuen Asylanträgen verzeichneten die USA mit rund 730.000
       Schutzgesuchen, gefolgt von Deutschland mit rund 218.000 Anträgen.
       
       „Menschen auf der ganzen Welt zeigen weiterhin eine außergewöhnliche
       Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen, indem sie ihnen Schutz und Hilfe
       gewähren“, sagte Grandi. „Aber wir brauchen viel mehr internationale
       Unterstützung und eine gerechtere Aufteilung der Verantwortung, gerade mit
       den Ländern, die die meisten Vertriebenen aufnehmen.“
       
       ## Fast 340.000 Flüchtlinge kehrten freiwillig heim
       
       Zu den positiven Entwicklungen zählt, dass viele Menschen das Exil wieder
       verlassen konnten. 2022 kehrten mehr als 339.000 Flüchtlinge freiwillig in
       38 Länder heim, etwa in den Südsudan, nach Syrien, Kamerun und Côte
       d’Ivoire. Gleichzeitig kehrten im vergangenen Jahr 5,7 Millionen
       Binnenvertriebene zurück in ihre Heimat, vor allem in Äthiopien, Myanmar,
       Syrien, Mosambik und in der Demokratischen Republik Kongo.
       
       Kein öffentliches Wort der Kritik kam vom UNHCR an den einschneidenden
       Verschärfungen des [2][Asylrechts in der EU]. Andere Organisation nahmen
       die neuen Flüchtlingszahlen hingegen dafür zum Anlass.
       
       So sagte David Miliband, der Präsident des International Rescue Committee,
       die Rekordzahl von Vertriebenen zeige, wie unzureichend die Reaktionen der
       internationalen Gemeinschaft auf die humanitären Auswirkungen von
       Konflikten und der Klimakrise sei.
       
       Gleichzeitig würden die globalen Mechanismen, die vor humanitärem Leid
       schützen sollen, immer weiter abgebaut. Die von der EU beabsichtigten und
       „von den EU-Innenminister*innen inklusive der [3][von Ministerin Faeser“
       kürzlich abgesegneten Grenzverfahren] hätten zur Folge, dass noch mehr
       Menschen, Kinder nicht ausgenommen, unter haftähnlichen Bedingungen an den
       Außengrenzen festgehalten werden, so Miliband. Es bestehe die Gefahr, dass
       „Verantwortliche für gewalttätige und illegale Pushbacks weiterhin nicht
       zur Rechenschaft gezogen werden“.
       
       Angesichts der größten Vertreibung seit dem Zweiten Weltkrieg sei es „sehr
       besorgniserregend, dass vor allem die Länder mit hohem Einkommen
       Geflüchtete und Asylsuchende nicht mit Menschlichkeit und Gerechtigkeit,
       sondern mit Unmenschlichkeit und Grausamkeit empfangen. Anstatt Sicherheit
       zu garantieren, verstärken diese grundlosen politischen Entscheidungen nur
       die unsicheren Bedingungen, vor denen asylsuchenden Menschen überhaupt erst
       fliehen.“
       
       14 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
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