# taz.de -- Kritik am deutschen Verfassungsschutz: Die Politik der Inlandsspione
       
       > Der Journalist Ronen Steinke nimmt in seinem Buch den Verfassungsschutz
       > ins Visier – vor allem dessen große Macht, im Inland Personen
       > auszuspionieren.
       
 (IMG) Bild: Hauptsitz des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln
       
       Im Vergleich zu anderen liberalen Demokratien ist der deutsche
       Verfassungsschutz ein Unikum. Trotz ähnlicher Bedrohungen, wie sie etwa in
       den USA, Frankreich oder in Österreich vor allem von Rechtsextremen
       ausgehen. Das FBI, der Inlandsgeheimdienst DGSI oder die Direktion
       Staatsschutz und Nachrichtendienst sind anders konzipiert.
       
       Ronen Steinke hat nun ein neues Buch veröffentlicht, das sich mit den
       Aufgaben und der Funktionsweise der hiesigen Verfassungsschutzämter
       beschäftigt. Man könnte auch von einem pointierten Profil sprechen, das der
       Jurist, Journalist und Buchautor angelegt hat: Auf knapp 200 Seiten geht
       Steinke mit den gewachsenen Strukturen, dem Selbstverständnis und dem
       konkreten Agieren der Verfassungsschutzämter ins Gericht – und das mitunter
       sehr hart.
       
       Steinke schildert anschaulich, wie folgenreich etwa eine Nennung in den
       Verfassungsschutzberichten für Organisationen und ihnen angehörende
       Einzelpersonen ist. Ein bekanntes [1][Beispiel aus den letzten Jahren ist
       der VVN-BdA] (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der
       Antifaschistinnen und Antifaschisten), dem durch eine später wieder
       rückgängig gemachte Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit
       existenzgefährdende Steuernachzahlungen drohten.
       
       Oder Klimaaktivist:innen, die von manchen Ämtern gar nicht wegen ihrer
       Protestmethoden, sondern schon wegen politisch relativ gemäßigter
       Forderungen als „Verfassungsfeinde“ gelten.
       
       ## An den Grundrechten rütteln
       
       Die Argumentationen, die zu solchen Einschätzungen seitens der Behörden
       führen, sind häufig alles andere als stichhaltig. Bei genauerem Hinsehen
       würden die als Beweis für eine Verfassungsfeindlichkeit angeführten
       Aussagen häufig sogar solide auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Denn
       wirtschaftspolitisch ist das Grundgesetz eigentlich „ziemlich offen“,
       schreibt Steinke. Zentral sei vielmehr die politische Diskreditierung von
       unliebsamen politischen Akteuren.
       
       Steinke geht es nicht unbedingt darum, politisch Partei zu ergreifen für
       die von den Behörden ins Visier genommenen Gruppen. Als Verteidiger eines
       liberalen Rechtsstaates stört er sich vor allem daran, wie stark mitunter
       an Grundrechten wie Meinungsfreiheit und Pressefreiheit gerüttelt wird
       sowie linke und rechte Gruppierungen mit Doppelstandards beurteilt werden.
       Steinke kritisiert die deutschen Verfassungsschutzämter als
       „Politik-Beobachtungs-Geheimdienst“.
       
       Aspekte wie [2][behördliche NS-Kontinuitäten], die Zeit des
       „Radikalenerlasses“ oder die Mordserie des NSU behandelt Steinke relativ
       knapp. Besonders spannend sind die Kapitel zur digitalen
       Quellen-Überwachung und der Präsenz der Ämter in den sozialen Medien.
       Hierfür hat sich Steinke auch mit Agenten und ehemaligen Mitarbeitern
       getroffen. An diesen Stellen liest sich das Buch teils wie eine Reportage.
       
       Zu den Unterschieden zwischen den immerhin 16 verschiedenen
       Landesverfassungsschutzämtern erfährt man im Buch leider relativ wenig. Es
       drängt sich jedoch die Frage auf, wie sich etwa linksliberale
       Regierungskoalitionen auf das Selbstverständnis der Behörden, den konkreten
       Umgang mit Rechtsextremismus und Islamismus sowie die Art der
       parlamentarischen Kontrolle auswirken.
       
       ## Den Verfassungsschutz abschaffen
       
       Steinkes Buch richtet sich an ein breites Publikum. Genauso wie seine
       früheren Publikationen zielt es darauf ab, Themen im politischen und
       gesellschaftlichen Diskurs zu platzieren und voranzutreiben. In seinem
       Fazit plädiert er dafür, den Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form
       abzuschaffen. Leider bleibt unklar, was genau daraus folgen soll. Dass
       diese Diskussion bei den Grünen oder in der Linkspartei mit verschiedenen
       konkreten politischen Forderungen geführt wird, ist eine Leerstelle des
       Buches.
       
       1 Jul 2023
       
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