# taz.de -- Russische Propaganda in Europa: Hütchenspieler für Russia Today
       
       > Eine Luxemburger Firma hilft Russia Today dabei, in Europa zu senden. Die
       > Regierung hat bisher wenig dagegen getan.
       
 (IMG) Bild: Putin bei Russia Today
       
       Peter Sodermans hatte einen guten Abend. Er und sein Chef waren zum
       Barbecue mit dem Luxemburger Premierminister Xavier Bettel eingeladen. „A
       Summer Night to remember“, schreibt Sodermans im Juni bei Linkedin und
       postet ein Foto: Umringt von Männern der Luxemburger Techszene, schauen
       Sodermans und sein Chef zufrieden in die Kamera. Harmlos, eigentlich.
       
       Doch die Bilder können einen Hinweis darauf geben, wieso man sich in der EU
       so schwertut, die Sanktionen gegen Russland durchzusetzen. Genauer: gegen
       [1][russische Propagandakanäle wie Russia Today (RT)].
       
       Bettel und sein Staatsministerium sind zuständig für die Kontrolle von
       Firmen. Firmen wie das Luxemburger Digitalunternehmen G-Core Labs S.A.
       Sodermans wiederum ist der Cheflobbyist von G-Core. Und über das Netz von
       G-Core wird RT, der Auslandssender des Kreml in die Welt geschickt. Doch
       russische Propaganda ist seit dem Überfall auf die Ukraine strafbar. Die EU
       hat das Verbreiten diverser russischer Sender im März 2022 sanktioniert.
       
       G-Core bietet Clouddienste an, also Server, Datenspeicher und ein
       Content-Delivery-Network. Solche CDNs helfen, dass Infos schnell durch das
       Internet fließen: große Dateien, Videos, Computerspiele, aber eben auch
       zweifelhafte oder verbotene Inhalte. Dazu gehören Inhalte von RT, sofern
       sie in der EU verbreitet werden oder sich an EU-Bürger:innen richten.
       
       ## Oberflächliche Verschleierungen
       
       [2][Die taz und Correctiv hatten im Februar 2023 aufgedeckt], dass RT noch
       bis Anfang 2023 über G-Core lief, über deren Server in Frankfurt am Main.
       G-Core half also noch fast ein Jahr nach der Sanktionierung, den
       Propagandasender zu verbreiten. Nach unserer Veröffentlichung beteuerten
       die Luxemburger Behörden, man sei erfolgreich dagegen vorgegangen. G-Core
       würde RT nun nicht mehr verbreiten.
       
       Aber das stimmt so nicht. Uns liegen neue Belege vor, dass G-Core sich Zeit
       gelassen hat, um die von uns aufgedeckten Sanktionsverstöße zu beheben. Der
       Verdacht: Wie bereits zuvor hat G-Core seine Hilfe für RT nur oberflächlich
       verschleiert. Belegen können wir das bis Ende April 2023. Bis dahin gibt es
       Verbindungen der Firma zu jenen Servern, von denen RT-Videos auch nach
       Deutschland verbreitet werden.
       
       Außerdem deutet vieles darauf hin, dass G-Core es RT bis heute ermöglicht,
       sein Liveprogramm weltweit zu verbreiten. Wer außerhalb der EU auf den
       englischen Videostream von RT zugreift oder auf das deutsche, französische
       und spanische Online-TV-Programm, kann es dank G-Core sehen.
       
       Herausgefunden haben wir das unter anderem durch technische Abfragen an die
       Server. Dazu muss man wissen: Eine Datei startet auf einem Server und
       landet über Zwischenstationen auf unserem Bildschirm. Ein Teil unserer
       Recherche bestand darin, den Weg einer Videodatei nachzuvollziehen. In
       unserem Fall: Videos von RT, die von Servern kommen, die auf G-Core
       hindeuten.
       
       Dabei ist G-Core nicht irgendeine Firma. In Luxemburg vertraut man dem
       Unternehmen bei sensibelsten Gesundheitsdaten. Sie haben bei der
       staatlichen Medizin-Plattform „eSanté“ mitgewirkt, bei der Ärzt:innen und
       Patient:innen Befunde austauschen oder Sprechstunden abhalten können.
       
       Die Verbindungen zwischen G-Core und der Luxemburger Politik sind auch
       persönlich einigermaßen eng. Sodermans nennt Bettel auf seinem Linkedin
       Profil „unseren geliebten Premierminister“. Zwölf Jahre hat Sodermans für
       die Luxemburger Regierung gearbeitet, bis 2020 hat er sie in Digitalfragen
       beraten. Dann wechselte er die Seiten: Seit April 2022 arbeitet er für
       G-Core. Er reist für die Firma durch die Welt und schüttelt die Hände von
       Diplomaten und Politikern.
       
       G-Core bestreitet alle Vorwürfe. Auf Anfrage schreibt das PR-Team, G-Core
       verurteile die „nicht zu rechtfertigende russische Invasion in die
       Ukraine“. G-Core halte sich an alle Sanktionen. Weder stelle G-Core die
       Streamingplattform für RT zur Verfügung, noch pflege die Firma eine
       geschäftliche Beziehung mit RT.
       
       RT berichtet weiter tagesaktuell von Moskau aus auch auf Deutsch,
       Französisch und Englisch. Dagegen, dass RT die Inhalte produziert, kann die
       EU nicht vorgehen, wohl aber gegen die Verbreitung dieser Inhalte auf ihrem
       Gebiet.
       
       ## Die Internet-Passkontrolle
       
       Die Luxemburger Behörden gaben sich nach unserer ersten Recherche zunächst
       alarmiert. Die Staatsanwaltschaft beschäftigte sich mit G-Core, das
       Staatsministerium kontaktierte das Unternehmen. Die größte
       Oppositionspartei Luxemburgs, die Christlich-Soziale Volkspartei, machte
       die taz-Recherche zum Thema im Parlament und stellte eine Anfrage an den
       Premierminister Bettel, der der liberalen Demokratischen Partei angehört.
       Der antwortete im März, sein Ministerium habe mit G-Core gesprochen. G-Core
       habe die verbotenen Inhalte „prompt gelöscht“.
       
       Allerdings stimmte das nicht. Noch zwei Monate nach unserer
       Veröffentlichung und einen Monat nach der Stellungnahme des
       Premierministers sah es zwar oberflächlich so aus, als habe G-Core die
       Verbindungen gekappt. Doch G-Core und RT blieben weiter verbunden.
       
       Belegen ließ sich das über ein sogenanntes SSL-Zertifikat. Diese sorgen für
       eine sichere Verbindung und sollen die Identität des Eigentümers einer
       Webseite bestätigen. Eine Art Internet-Passkontrolle. In jedem Browser kann
       man für Webseiten in der Adresszeile nachschauen, ob solch ein gültiges
       Zertifikat vorliegt und auf wen es ausgestellt wurde. Noch Ende April war
       das SSL-Zertifikat des russischen Servers, von dem RT-Videos nach
       Deutschland geliefert wurden, auf G-Core in Luxemburg ausgestellt.
       
       Pikantes Detail: Der russische Server mit dem G-Core-Zertifikat ist auf die
       Firma Megafon registriert, einen der größten russischen Mobilfunkanbieter.
       Dahinter steht der Oligarch Alischer Usmanow. Megafon ist seit Februar 2022
       von der EU sanktioniert, ebenso wie Usmanow persönlich. Laut EU ist er „ein
       kremlfreundlicher Oligarch, der besonders enge Verbindungen zum russischen
       Präsidenten Wladimir Putin unterhält“. Megafon und G-Core sind 2019 eine
       Partnerschaft eingegangen.
       
       G-Core bestreitet, SSL-Zertifikate für RT zur Verfügung zu stellen. Das
       PR-Team antwortet stets freundlich. Man wolle „Missverständnisse“
       ausräumen, man freue sich „über die Zusammenarbeit“ mit uns
       Journalist:innen. Erst streiten sie die Vorwürfe ab, bitten dann um
       genauere Informationen. Wir schicken Belege und bitten um ein Gespräch.
       Doch das bekommen wir nicht: Stattdessen bittet G-Core um weitere Belege.
       Als wir auch die liefern, weicht G-Core aus. Das SSL-Zertifikat sei im Mai
       2023 von den Servern gelöscht worden. „Es war kein Bestandteil der von
       G-Core für RT erbrachten Dienstleistungen.“ Man habe es nur so lange
       verwendet, bis man sich von seinem Russlandgeschäft getrennt habe.
       
       Die taz und Correctiv haben mit mehreren IT-Experten über die technischen
       Details gesprochen. Für alle ist klar: Entweder es stimmt, was G-Core sagt,
       und das Unternehmen hat die Verbindung zu dem RT-Server sehr nachlässig
       getrennt und das wichtige Zertifikat auf einem Server „vergessen“, der nun
       auf eine sanktionierte Firma eines Putin-treuen Oligarchen verweist. Sollte
       das stimmen, wäre es nicht nur sehr unprofessionell für eine Digitalfirma.
       Es wäre auch ein eklatantes Sicherheitsproblem für G-Core-Kund:innen.
       Was wahrscheinlicher ist: G-Core war bis mindestens Ende April weiterhin
       für die Server verantwortlich, über die Videos von RT zu empfangen sind.
       
       ## Kriegsspiele und Krieg
       
       Hinter G-Core stehen zwei Milliardäre aus Belarus mit zyprischem Pass:
       Victor Kislyi und Nikolai Katselapov sind mit einem Kriegsspiel reich
       geworden. Ihre Firma heißt Wargaming und hat eines der erfolgreichsten
       Onlinespiele der Welt entwickelt: „World of Tanks“. Für solche Spiele
       braucht es schnelles Internet. Das bietet G-Core. Wargaming gab 2015 die
       Anschubfinanzierung für G-Core. Einer der Wargaming-Gründer, Nikolai
       Katselapov, sitzt auch heute im Management von G-Core.
       
       Wargaming hat sich gegen die russische Invasion gestellt: Hat seine Büros
       in Moskau und Minsk geschlossen, hat Geld für die Ukraine gespendet. Der
       belarussische Geheimdienst führt den G-Core-Manager Katselapov angeblich
       als Terroristen. Ob er wirklich ein belarussischer Staatsfeind ist, bleibt
       auch nach unserer Recherche unklar. Spricht man mit Oppositionellen, sagen
       sie, Katselapov sei als Oppositioneller nicht in Erscheinung getreten. Er
       trete generell nirgends auf.
       
       Bleibt die Frage, warum die Luxemburger Behörden bei G-Core nicht genauer
       hinschauen: Bei einer Firma, die in ein sensibles Gesundheitsportal
       involviert ist? Bettels Staatsministerium schreibt, [3][man nehme die
       Sanktionen sehr ernst]. Offenlegen, wie genau das Ministerium den
       Sanktionsbruch von G-Core überprüft hat, will man aber nicht. Die
       Staatsanwaltschaft Luxemburg hat die Ermittlungen gegen G-Core eingestellt.
       Aus ihrer Sicht liege keine Straftat vor, schreibt ein Sprecher.
       
       Hinweis 
       
       Im Zuge einer rechtlichen Auseinandersetzung hatte die taz den Text
       zeitweise offline gestellt. Nach einem Urteil des Hanseatisches
       Oberlandesgericht in Hamburg hat die taz den Text am 8. Mai 2024 wieder
       online gestellt. Ein Absatz, der sich auf eine ehemalige Tochterfirma von
       G-Core bezog, wurde aus rechtlichen Gründen gestrichen.
       
       14 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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