# taz.de -- Deutsche Bauteile in russischen Waffen: Der globalisierte Krieg
       
       > Trotz Sanktionen gegen Russland stecken in Waffen, die im Krieg gegen die
       > Ukraine eingesetzt werden, Teile aus aller Welt – oft auch aus
       > Deutschland.
       
       Als am 5. Oktober 2023 um 13.15 Uhr im Dorf Hrosa in der Region Charkiw die
       Rakete einschlägt, erlebt die [1][Ukraine den bis dahin opferreichsten
       Angriff des Jahres]. Getroffen werden ein Lebensmittelgeschäft und ein
       Café. Das Café ist voll, eine Trauerfeier für einen gefallenen Soldaten
       findet gerade darin statt. 59 Menschen sterben, darunter ein sechsjähriges
       Kind. Internationale Medien schreiben, der Angriff habe das Dorf quasi
       „ausradiert“.
       
       Die Rakete, die an diesem Tag über Hrosa niedergeht, gehört zu den
       modernsten des russischen Militärs: ein Marschflugkörper des Typs
       Iskander-K. Er ist knapp acht Meter lang, fliegt bis zu 500 Kilometer weit
       und kann mit bis zu 500 Kilo Munition beladen werden, mit konventionellen
       oder Atomgefechtsköpfen.
       
       Entwickelt wurde der Raketentyp vom staatlichen russischen Unternehmen KB
       Maschinostrojenija. Ausgestattet ist er mit einem Radarhöhenmesser und
       einem Satellitennavigationssystem – und mit jeder Menge Technik aus
       Schweden, Japan, der Schweiz, den USA und Deutschland. Komponenten von
       Toshiba finden sich darin, genauso wie von Texas Instruments oder der
       deutschen Firma Harting aus Nordrhein-Westfalen. So hat es der ukrainische
       Militärgeheimdienst HUR recherchiert.
       
       ## Bauteile aus 31 Ländern und von 29 deutschen Unternehmen
       
       Die ukrainischen Behörden entdecken immer wieder [2][Bauteile westlicher
       Firmen] in russischen Waffen, Panzerfahrzeugen und militärischer
       Ausrüstung. [3][Der Geheimdienst listet diese Teile auf einer Webseite
       öffentlich auf]: Sie stammen aus 31 Ländern, darunter auch Nato- und
       EU-Staaten. Aus Deutschland finden sich 29 Unternehmen auf der Liste.
       
       Deutsche Technik steckt demnach in russischen Aufklärungsdrohnen wie der
       Orion-10 und der Granat-4, in Angriffsdrohnen der Typen Lancet, Shahed und
       Lastochka-M, in einer ballistischen Rakete vom Typ KN-23/KN-24, in
       Grad-Raketen, in Kommunikationstechnik, in gepanzerten Fahrzeugen wie einem
       ZSA-T Linza und im Kampfhubschrauber Ka-52 Alligator.
       
       Seit der russischen Invasion in die Ukraine ist der Export von
       Rüstungsgütern und solchen, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt
       werden können – sogenannten Dual-Use-Gütern –, nach Russland sanktioniert.
       Warum finden sich trotzdem deutsche und westliche Bauteile in russischen
       Waffen auf dem ukrainischen Schlachtfeld?
       
       Die taz hat alle aufgelisteten deutschen Unternehmen um eine Stellungnahme
       gebeten. Die Antworten ähneln sich: Keines der Unternehmen will willentlich
       zum Krieg gegen die Ukraine beigetragen haben. Viele verweisen darauf, dass
       sie ihr Russlandgeschäft nach der Invasion im Februar 2022 eingestellt
       haben, dass es sich um ältere Bauteile handelt, um Massenware, die
       millionenfach in die Welt exportiert wird oder um Standardtechnik, die auch
       in Haushaltsgeräten wie Waschmaschinen verbaut ist.
       
       Die Firma Harting, deren Teile die Ukrainer unter anderem in dem
       Marschflugkörpersystem Iskander-K fanden, erklärte der taz: „Wir haben uns
       zu jeder Zeit an alle Sanktionsvorgaben gehalten und alles dafür getan,
       unseren Sorgfaltspflichten nachzukommen.“ Bei den
       Leiterplattensteckverbindern, die in einer Iskander-K gefunden wurden,
       handele es sich um „standardisierte, millionenfach hergestellte
       Commodity-Produkte“.
       
       Harting konnte die Produktionscodes der vom Militärgeheimdienst HUR
       gezeigten Komponenten zurückverfolgen: Sie stammten aus den Jahren 2007,
       2011 und 2012, also lange vor der russischen Invasion in die Ukraine und
       den westlichen Sanktionen gegenüber Russland. Allerdings enthält die
       Auflistung des ukrainischen Geheimdienstes auch Artikel anderer Firmen, die
       eindeutig nach dem Februar 2022 produziert und nach Russland gelangt sein
       müssen – und damit einen Sanktionsbruch darstellen können.
       
       Benjamin Hilgenstock ist Sanktionsexperte bei der Deutschen Gesellschaft
       für Auswärtige Politik und Ökonom an der Kyiv School of Economics. Für ihn
       beweisen die gefundenen Bauteile, dass Russland seinen Krieg auf Basis
       westlicher Komponenten führe. Er hat mit Kollegen zusammen Handelsströme
       nach Russland ausgewertet und dabei festgestellt, dass Russland heute noch
       [4][genauso viel Geld] für den Import kriegswichtiger Güter ausgibt wie vor
       dem Februar 2022.
       
       Allerdings zahle Russland für die einzelnen Güter mittlerweile erhebliche
       Aufschläge, sodass es de facto weniger dieser Teile importiert. Es brauche
       mittlerweile auch länger, Bauteile zu besorgen – und diese hätten teils
       auch eine schlechtere Qualität. Dennoch, sagt Benjamin Hilgenstock,
       gelangten immer noch viel zu viele dieser Bauteile nach Russland. „Wenn
       diese Bauteile nicht so leicht nach Russland kämen, wäre es für Russland
       schwieriger, diesen Krieg zu führen.“
       
       Einige westliche Firmen machten es sich zu leicht mit der Behauptung, sie
       könnten nicht kontrollieren, [5][dass ihre Ware nicht in Russland lande],
       sagt Hilgenstock. „Jede Lieferkette lässt sich kontrollieren, wenn man es
       nur will.“ Von der These, dass gefundene Komponenten in Russland aus
       Haushaltsgeräten ausgebaut werden könnten, hält er nicht viel. Die meisten
       Teile seien über Länder wie China oder Kasachstan noch einfach und direkt
       zu kaufen und die Hersteller wüssten das.
       
       Hilgenstock verweist auf die Finanzbranche: Genauso wie es den Banken
       mittlerweile gelingt, ihre Finanzströme nachzuvollziehen, müssten auch
       Unternehmen ihre Lieferketten überwachen. Dazu gehöre auch, dass die
       Unternehmen ihre Vertriebspartner und Zwischenhändler besser
       kontrollierten.
       
       Das ist es auch, was die Ukraine mit ihrer Auflistung erreichen will: Die
       Unternehmen sollen öffentlich unter Druck gesetzt werden, ihre Lieferketten
       zu untersuchen. Und die westlichen Staaten sollen ihre Exportkontrollen
       verbessern.
       
       1 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /-Nachrichten-im-Ukrainekrieg-/!5964810
 (DIR) [2] /EU-Sanktionen-gegen-Russland/!6004764
 (DIR) [3] https://war-sanctions.gur.gov.ua/en/components
 (DIR) [4] /Sanktionen-gegen-Russlands-Wirtschaft/!5945726
 (DIR) [5] /Umgehung-von-Russland-Sanktionen/!5917961
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jean-Philipp Baeck
 (DIR) Anne Fromm
       
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