# taz.de -- Michel Houellebecq und die Porno-Affäre: „Ich kann nichts dafür“
       
       > Michel Houellebecq hat seiner Leserschaft schon einiges zugemutet. Nun
       > also im neuen Buch eine Selbstentschuldigung angesichts seiner
       > Porno-Affäre.
       
 (IMG) Bild: Sieht sich von Pseudokünstlern herzlos ausgenutzt: Michel Houellebecq
       
       Er habe „sein schlechtestes“, „sein traurigstes“ Buch geschrieben – die
       französischsprachigen Houellebecq-Expert:innen der Frankfurter
       Allgemeine Sonntagszeitung und der Süddeutschen Zeitung sparten nach
       Erscheinen von „Quelques mois dans ma vie“ (Deutsch: „Einige Monate in
       meinem Leben“) Ende Mai nicht mit Superlativen.
       
       Fest steht, dass Michel Houellebecqs jüngstes Büchlein [1][aus seinem
       bisherigen Werk] herausfällt; es handelt sich, wie Titel und Datumsangabe
       „Oktober 2022 bis März 2023“ andeuten, ausdrücklich um einen
       autobiografischen Text oder, mit den Worten des Autors: um einen
       „Exorzismus“.
       
       Der irrwitzige Stoff, den der Schriftsteller darin auf Anregung der Freunde
       Gérard Dépardieu und Bernard-Henri Lévy, nun ja, bearbeitet, hätte sogar
       das Zeug zum Roman gehabt. Denn Michel Houellebecq ist dem niederländischen
       Künstlerkollektiv Kirac (Keeping it Real Art Critics) aufgesessen, das sich
       in guter alter Provotradition als Sand im Kunstbetriebsgetriebe verstanden
       wissen möchte.
       
       Dessen Mitbegründer Stefan Ruitenbeek nahm unter einem Vorwand Kontakt zu
       Houellebecq auf und machte ihn samt Ehefrau Lysis bei einem Treffen in
       Paris mit einem angeblichen Fan, der Studentin Jini van Rooijen, bekannt,
       die behauptete, nichts lieber zu wollen, als mit dem Schriftsteller ins
       Bett zu gehen, und die der Starautor zunächst für eine „rechtschaffene
       Exhibitionistin“ hielt.
       
       Ein Irrtum. Denn es stellte sich heraus, dass van Rooijnen, die das
       einvernehmlich von Ruitenbeek gefilmte Video vom Sex zu dritt auf ihrer
       Onlyfans-Seite veröffentlichte, ihren Account kommerziell betreibt. Trotz
       dieser Enttäuschung machte Houellebecq sich wenig später auf den Weg nach
       Amsterdam, erneut verlockt von der Aussicht, mit weiblichen Fans seiner
       Romane zu verkehren.
       
       ## Tranquilizer und Wein
       
       Dort unterschrieb er nach dem Konsum von Tranquilizern und einer Flasche
       Wein – erstaunlich, dass das den zweifellos trainierten Autor
       beeinträchtigt haben soll! – die Abtretung seiner Persönlichkeitsrechte;
       der zweiseitige Vertrag ist im Buch abgedruckt. Bemerkenswert ist
       allerdings auch, dass Houellebecq sich bestenfalls oberflächlich über
       Ruitenbeeks Baby Kirac informiert hatte.
       
       Sonst hätte er vermutlich den bereits damals auf den Kanälen der Gruppe
       veröffentlichten Film „Honeypot“ gesehen, in dem Kirac den rechten
       Publizisten Sid Lukkassen ins Bett mit der „linken Studentin“ van Roojien
       lockt – mit der erklärten Absicht, so die Kluft zwischen rechts und links
       schließen zu wollen – und öffentlich vorführt.
       
       Doch es wurde erneut gedreht, das Ehepaar Houellebecq trug Masken, diesmal
       war die Studentin Isa Moleman beteiligt. Als Kirac etwas später einen
       Trailer des Houellebecq-Pornoporträts postete, dämmerte Houellebecq, worauf
       er sich eingelassen hatte. Von nun an übernahmen die Anwält:innen. Der
       Autor verlor den Prozess in den Niederlanden, ist allerdings bereits Ende
       März in Berufung gegangen; das Ergebnis steht aus.
       
       Die Pornoaffäre ist nicht das Einzige, was in dieser Zeit am Image der
       öffentlichen Figur Houellebecq kratzt; nach islamfeindlichen Behauptungen
       in einem Interview mit dem Publizisten Michel Onfray hatte im Dezember 2022
       der Rektor der Großen Pariser Moschee, Chems-Eddine Hafiz, angekündigt,
       Strafanzeige gegen ihn zu erstatten.
       
       ## Seine Würde öffentlich verlieren
       
       „Man kann seine Würde als Schriftsteller nur bewahren, wenn man sie radikal
       und öffentlich verliert“, stellt in der belgischen Zeitschrift Humo Arnon
       Grunberg in einem Brief an seinen französischen Kollegen fest. Doch auch
       das ist eine Kunst. Mit „Einige Monate in meinen Leben“ hätte sich
       Houellebecq auf die Spur seines Kollegen [2][Emmanuel Carrère] begeben
       können, der grundsätzlich an seiner Lebensrealität entlang schmerzhafte und
       bewegende Bücher schreibt, zu denen immer auch die Selbstentblößung gehört,
       das Eingeständnis von Eitelkeit, Egozentrik, seiner bipolaren Störung.
       
       Doch Michel Houellebecq fehlt der Drang, sich in dieser Tragikomödie über
       sich selbst klar zu werden. Gewiss, er räumt ein, „ein langsamer Denker“ zu
       sein, dass ihm der (angebliche) Wunsch der Frauen, mit ihm, dem großen
       Dichter, zu schlafen, geschmeichelt habe, sein Versäumnis, Verträge und
       Interviews nicht gründlich genug zu lesen, überhaupt den Amsterdamer
       Vertrag nicht seinem Agenten vorgelegt zu haben. Er präsentiert das als
       allzu menschliche Schwächen, die eine Bande raffgieriger Möchtegernkünstler
       herzlos ausgenutzt hat – anstatt als Fehler, für die er Verantwortung
       übernimmt.
       
       Zudem nutzt er jede Gelegenheit, um das Thema zu wechseln. „Ich schweife
       ab, ich weiß, aber ich kann nichts dafür, es ist das Leben, das
       abschweift.“ Seine Exkurse zur Amateurpornografie, die er der
       professionellen vorzieht, zu den französischen Medien, über die er sich
       ärgert und die er doch ständig füttert, zu seiner „nie einfachen“ Beziehung
       zum Liberalismus, den er für sich in Anspruch nimmt, und zur Euthanasie,
       die er ablehnt, unterstreichen aber vor allem, dass er mindestens halbblind
       für die eigenen Widersprüche ist.
       
       ## Enteignung des eigenen Körpers
       
       Auch als Abrechnung mit den Entlarvungsmethoden von Kirac taugt
       Houellebecqs Anklage nur bedingt. Dass er Ruitenbeek, seine Freundin Kate
       Sinha, van Rooijen und Moleman als Kakerlak, Viper, Sau und Pute
       bezeichnet, wirkt als Racheakt beinahe niedlich. Wenn er an van Rooijens
       Blow-Job-Kompetenzen herummäkelt oder sich über Ruitenbeeks schmierige Art
       ereifert, fragt man sich allerdings schon, wie er ihnen überhaupt auf den
       Leim gehen konnte.
       
       Houellebecq geht sogar so weit, sich mit Opfern von Vergewaltigungen zu
       vergleichen: „Zunächst ein schmerzhaftes Gefühl der Enteignung des eigenen
       Körpers, eine dumpfe Feindseligkeit ihm gegenüber, das Bedürfnis, ihn zu
       bestrafen. Ich konnte mich nicht mehr waschen, mein Alkohol- und
       Tabakkonsum war stark gestiegen, ich wies sogar einige Symptome von
       Bulimie auf – das war bei mir etwas Neues –, kurzum, ich tat mein Bestes,
       mich zu zerstören.“
       
       Umso schräger, dass Houellebecqs Hang zur Abschweifung ihn von hier über
       eine Anmerkung zu #MeToo („spurlos an mir vorbeigegangen“) und seinem
       Desinteresse an Gewalt auf nur anderthalb Seiten zur Schilderung einer
       (einvernehmlichen) Sexszene namens „reglose Unterwerfung“ (der Frau)
       führt, in der er selber „glänze“.
       
       Zu viele Sorgen braucht man sich um Michel Houellebecq vielleicht doch
       nicht zu machen. Denn die nächste Ab- oder Ausschweifung kommt bestimmt –
       wenn auch hoffentlich nicht noch mehr Bücher darüber.
       
       15 Jul 2023
       
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