# taz.de -- Neues Musik-Album von PJ Harvey: Banane-Erdnussbutter-Sandwich
       
       > PJ Harvey kehrt mit „I Inside the Old Year Dying“ zurück zur
       > Selbstbespiegelung, schrammelt Gitarre und singt sperrige Lyrik. Warum
       > das Album funzt.
       
 (IMG) Bild: Altphilolog:Innen: hört die Signale: die mysteriöse Songwriterin PJ Harvey textet im Dorset-Englisch
       
       Einen Song zu komponieren, so erzählte die britische Musikerin PJ Harvey
       dem Comedian Frank Skinner in einem ihrer seltenen Interviews, falle ihr
       weitaus leichter, als ein Gedicht zu verfassen. Und doch hat sie mit
       „Orlam“ vergangenes Jahr einen ganzen, in Versform verfassten Roman
       veröffentlicht. Magisch aufgeladen und voll mit Abgründigem wird darin die
       Coming-Of-Age-Geschichte der neunjährigen Ira-Abel Ende der 1970er erzählt.
       
       Sechs Jahre hatte Harvey an ihrer Lyrik gearbeitet – was nicht zuletzt so
       lange dauerte, weil sie in Dialekt verfasst ist. Klangvollen Worten wie
       „clodgy“, „giltcup“, „drush“, „puxy“ oder auch „chammer“ war die Künstlerin
       zwar schon als Kind begegnet – wie ihre Protagonistin wuchs auch sie auf
       einer Farm in Dorset auf, im windumtosten Südwesten Englands. Trotzdem
       musste sie sich die aussterbende Mundart erst aneignen: „Es war wie das
       Lernen einer Fremdsprache“, erklärte sie Skinner.
       
       Nun sind aus einigen dieser Gedichte Songs entstanden, versammelt auf einem
       folkigen Album mit dem sperrigen Titel: „I Inside the Old Year Dying“. In
       der Musik gelingt ihr eine bemerkenswerte Balance von Wohligkeit und
       unterschwelliger Verstörung. Dem Vernehmen nach hatte Harvey lange Zweifel,
       ob sie jemals wieder ein Album machen würde.
       
       ## Doch wieder Liebe zur Musik
       
       Nach dem Vorgänger [1][„The Hope Six Demolition Project“ (2016)] fühlte sie
       sich, als habe sie die Liebe zur Musik verloren. Oder zumindest, als
       schaffe sie es nicht mehr, sich neu zu erfinden – was ja tatsächlich auch
       nicht so einfach ist, wenn man, wie die 53-Jährige, über drei Jahrzehnte
       mit jeder Veröffentlichung jeweils neues Terrain erschlossen hatte: Mal
       durch bluesigen Postpunk, dann wieder mit Kammerpop. Ob nun auf eine
       spill-your-guts-out-Weise expressiv („To Bring you my Love“,1995), poppig
       („Stories From the City, Stories From the Sea“, 2000) oder fragil („White
       Chalk“, 2007) – Harvey klang immer unverwechselbar.
       
       An „White Chalk“ erinnert diesmal zumindest ihr ätherischer, von der
       Kopfstimme dominierter Gesang. Geerdet wird er durch die archaisch
       anmutende Sprache: „Who’s inneath The Ooser-Rod?/Horny devil?/Goaty God?/
       What is God in ethly guise?/One or mampus giant eyes? („A Child’s Question,
       July“).
       
       Obwohl selbst Muttersprachler:innen nicht jedes Wort verstehen,
       transportieren die Lyrics eine bukolische Atmosphäre: Kein ungetrübtes
       Idyll, vielmehr eines, in dem immer der drohende Verlust der Unschuld
       mitschwingt. Eingestreut sind Alltagsbeobachtungen: „In her satchel, Pepsi
       fizz/ Peanut-and-banana sandwiches“ aus (aus „Lwonesome Tonight“, eine
       Referenz an Elvis, der durch die Träume des Mädchens geistert). Und eine
       weitaus profanere Außenwelt, die Ira Abels wundersamen Kosmos bedroht: “I
       ascend three steps to hell/The school bus heaves up the hill“ (aus „Autumn
       Term“). Die Magie der Natur fängt Harvey dabei ebenso ein wie das
       Abgründige, das im Alltag in der Provinz eben auch immer mitschwingt.
       Selbst die süßesten Melodien, wie etwa das naiv anmutende „A Child’s
       Question, August“ haben etwas von einem Fiebertraum.
       
       ## Subjektive Perspektive
       
       Bis heute lebt die Künstlerin, die neben Musik und Lyrik auch malt, in
       Dorset. Ihr Rückzug auf eine subjektive Perspektive wie in diesem Versroman
       und auf dem Album wirkt stimmig. In ihren letzten Werken hatte Harvey sich
       noch an den Untiefen der Welt abgearbeitet. Zuerst mit dem gefeierten „Let
       England Shake“ (2011), in dessen Musik sie angespannt auf die gewalttätige
       Geschichte ihrer Heimat blickte; zuletzt dann mit dem weniger gelungenen
       Album „The Hope Six Demolition Project“.
       
       Für das [2][reportageartige Werk] hatte Harvey sich auf Recherche begeben,
       unter anderem in den Kosovo, nach Afghanistan und in prekäre Ecken der
       US-Hauptstadt Washington – was ihr den Vorwurf einbrachte, Elendstourismus
       zu betreiben. Rückblickend lässt sich festhalten: Harvey widmet sich den
       inneren Kampfzonen vielleicht doch mit größerem Gewinn als denen der weiten
       Welt.
       
       Wie viel Autobiografisches in „Orlam“ und der Musik des neuen Albums
       steckt, das zu recherchieren, wird ihr Publikum erneut beschäftigen – wie
       eigentlich immer, wenn die enigmatische, Privates konsequent abschirmende
       Harvey etwas preiszugeben scheint. Auch diesmal wird die Künstlerin jedwede
       Deutungen an sich abprallen lassen und ihr Mysterium bewahren. So oder so:
       In diesen zwölf Songs, die schrammelige Gitarren und eingängige Refrains
       mit minimalistischer Instrumentierung verbinden, klingt Harvey so bei sich,
       wie seit Langem nicht mehr.
       
       13 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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