# taz.de -- Fortschritte der Reproduktionsmedizin: Wie weit wollen wir gehen?
       
       > Uterustransplantationen und Embryos mit zwei Vätern – klingt nach
       > Science-Fiction, ist aber möglich. Was bald in der Reproduktionsmedizin
       > kommt.
       
 (IMG) Bild: Neugeborenes
       
       Die Geburt des ersten In-Vitro-Babys vor 45 Jahren war eine Revolution für
       die Reproduktionsmedizin. Am 25. Juli 1978, kam Louise Brown zur Welt, das
       erste in einer Petrischale gezeugte Kind. Seitdem ist die Forschung weit
       gekommen, drei Beispiele wie der Beginn des Lebens beeinflusst werden kann.
       
       ## 1. Eine Tochter aus der Gebärmutter der Schwester
       
       Lange stand fest: Menschen, die ohne Gebärmutter zur Welt kommen, werden
       niemals eigene Kinder austragen können. Das änderte sich 2014, als erstmals
       in Schweden ein Kind nach einer Uterustransplantation geboren wurde.
       Entwickelt wurde die Methode von dem Chirurgen Mats Brännström. Bis 2021
       wurden weltweit mindestens 80 solcher Transplantationen vorgenommen. Davon
       ausgehend schätzt Brännström, dass mindestens 40 Kinder nach der
       künstlichen Befruchtung zur Welt kamen.
       
       Global ist etwa eine von 500 Frauen im gebärfähigen Alter unfruchtbar. Weil
       sie ohne Uterus geboren wurden, dieser entfernt wurde oder seine Funktion
       nicht erfüllt.
       
       Dazu zählen auch Mädchen und Frauen mit dem
       Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom (MRKH-Syndrom), einer Fehlbildung
       der weiblichen Geschlechtsorgane. Sie bekommen ihre Periode, ihre ersten
       Versuche, penetrativen Sex zu haben, gestalten sich als unmöglich, denn sie
       sind ohne Uterus und Vagina zur Welt gekommen. In Deutschland sind davon
       rund 8.000 Mädchen und Frauen betroffen.
       
       Mit einem transplantierten Uterus könnten sie aber trotzdem ein Baby
       austragen. Seit 2016 führt Gynäkologin Sara Brucker diese Operation an der
       Uniklinik Tübingen durch. Bisher ist das der einzige Standort in
       Deutschland, an dem das Verfahren zugelassen ist.
       
       Meistens spenden Familienmitglieder wie die eigene Mutter oder Schwester
       ihre Gebärmutter an die Betroffenen. Voraussetzung für eine spätere
       Schwangerschaft sind intakte Eierstöcke. Neun Monate bis ein Jahr etwa
       nachdem der Uterus transplantiert wurde, können die Patientinnen versuchen,
       schwanger zu werden – was immer durch eine künstliche Befruchtung passiert.
       Die Kinder kommen später per Kaiserschnitt zur Welt.
       
       Da [1][eine Organtransplantation] grundsätzlich eine extreme Last für den
       Körper darstellt, wird das Transplantat spätestens nach zwei Geburten
       wieder entfernt. So müssen die Betroffenen nicht ihr Leben lang
       Immunsupressiva nehmen, die in ihrer Funktion eine Abstoßung des Organs
       verhindern.
       
       Das funktioniert überwiegend gut. Drei Viertel der transplantierten
       Gebärmütter wurden erfolgreich angenommen und in 83 Prozent der Fälle wuchs
       in ihnen erfolgreich ein Kind heran. Bislang fehlen allerdings
       Langzeitstudien zu der Methode, die noch als experimentell gilt. In
       Tübingen bekamen alle vier der bisher transplantierten Frauen ein Kind.
       
       Aber nicht alle sind von der Uterustransplantation begeistert. Claudia
       Bozzaro, Medizinethikerin an der Universität Kiel, hat zahlreiche ethische
       Fragen: Wer bezahlt für einen so aufwendigen Eingriff? Wie kann
       längerfristig eine Kommerzialisierung dieser Praxis verhindert werden, bei
       der vulnerable Frauen ausgebeutet werden könnten?
       
       Am wichtigsten findet Bozzaro aber: „Die Uterustransplantation geht mit
       einer Vielzahl sehr invasiver und risikobehafteter Eingriffe sowohl für die
       Spenderin als auch für die Empfängerin einher. Die Maßnahme hat erhebliches
       Schadenpotenzial.“ Ihr leuchte nicht ein, warum eine „Extrempraxis“ wie die
       Uterustransplantation in Deutschland erlaubt ist, eine Alternative wie eine
       [2][Leihmutterschaft], nicht einmal eine altruistische, aber nicht.
       
       Für die Gynäkologin Sara Brucker steht im Vordergrund, den MRKH-Betroffenen
       in ihrem Leid zu helfen. „Wenn sie bei uns ihre Diagnose erhalten, sagen
       wir ihnen: Sie sind eine ganz normale Frau“, sagt Brucker. Dennoch fühle
       sich das nicht für alle so an. Einige leiden sehr darunter, niemals eigene
       Kinder bekommen zu können. Weitet man den Blick auf Trans*Frauen oder
       intergeschlechtliche Personen aus, stellt sich die Frage, ob sie jemals mit
       einem transplantierten Uterus eigene Kinder gebären können werden. Brucker
       glaubt: Nein, auch weil die hormonelle Steuerung schwierig sein könnte.
       
       ## 2. Ein Baby mit zwei biologischen Vätern
       
       Für [3][gleichgeschlechtliche Paare] ist es biologisch eigentlich
       unmöglich, miteinander Kinder zu bekommen, da sie die gleichen
       Geschlechtszellen haben. Um ein Kind zu zeugen, muss ein Spermium in eine
       Eizelle eindringen, erst daraus kann sich ein Embryo bilden, der sich zu
       einem Baby entwickelt.
       
       Eigentlich. Aber was wäre, wenn zwei Väter keine weibliche Eizelle
       bräuchten, um ein Baby zu bekommen?
       
       An Mäusen gibt es erste Versuche, künstliche Embryonen aus
       gleichgeschlechtlichen Zellen zu zeugen – mit Erfolg. Bereits 2018 gelang
       es Forschenden, junge Mäuse mit zwei Müttern zu züchten. Die Mäuse haben
       sich normal entwickelt und wurden im Erwachsenenalter fruchtbar. Mäuse, die
       sich aus zwei männlichen Zellen entwickelten, waren damals noch nicht
       lebensfähig. Erst im März dieses Jahres gelang der Durchbruch. Ein
       [4][japanisches Forschungsteam um den Biologen Katsuhiko Hayashi] schaffte
       es, gesunde und vor allem nachwuchsfähige Mäusebabys mit zwei biologischen
       Vätern zu züchten.
       
       Für ihr Forschungsprojekt kultivierte das japanische Team Hautzellen, aus
       denen sie Stammzellen erzeugten. Diese Zellen haben das Potenzial, jede
       Zellform eines Körpers anzunehmen. Sie entfernten das geschlechtsprägende
       Y-Chromosom und verdoppelten das X-Chromosom.
       
       Aus dieser transformierten Stammzelle konnte sich dann eine Eizelle bilden,
       die sich durch künstliche Befruchtung mit einem Spermium zum Embryo
       entwickelte und in einer Leihmutterschaft ausgetragen wurde. Die
       Überlebensrate ist für beide Methoden, die Zwei-Mütter- und die
       Zwei-Väter-Methode, bisher gering. In der japanischen Studie haben sich aus
       630 Embryonen nur 7 lebende Mäusebabys entwickelt.
       
       Noch ist die Technik also weit davon entfernt, angewendet zu werden. Gerade
       beim Menschen ist sie noch zu unsicher. Außerdem erfordert eine solche
       Anwendung einen breiteren gesellschaftlichen Diskurs über die ethischen
       Aspekte.
       
       Bevor sie den Menschen erreicht, könnte die Technik aber im Tierreich
       helfen und beispielsweise [5][das Nördliche Breitmaulnashorn retten]. Die
       Art ist vom Aussterben bedroht. Es leben nur noch zwei Tiere. Beide sind
       weiblich.
       
       ## 3. Ein Leben ohne die Erbkrankheiten der Eltern
       
       Spricht man über Reproduktionsmedizin, landet man schnell bei der
       Gentechnik und prompt steht der populistische Zuruf [6][von Designerbabys]
       im Raum. Sich das Geschlecht, Aussehen oder bestimmte Eigenschaften
       aussuchen zu können, ist ethisch verwerflich, darüber ist sich der Großteil
       der Weltgemeinschaft einig. Was ist aber mit Technologien, die ein
       künftiges Kind vor schweren Krankheiten bewahren können?
       
       Ein Weg der Prävention ist die Präimplantationsdiagnostik. Diese
       entwickelte sich bereits in den 1990er Jahren. Mit ihr können durch
       In-vitro-Befruchtung gezeugte Embryonen auf ihren gesundheitlichen Zustand
       und auf schwere Erbkrankheiten untersucht werden, bevor sie implantiert
       werden. In einer Ausnahmeregelung darf die Diagnostik in Deutschland bei
       Verdacht auf schwerwiegende vererbbare Krankheiten angewendet werden,
       sofern eine Ethikkommission zustimmt. So kann ein Embryo ohne Erbkrankheit
       ausgewählt werden.
       
       Mit besseren Analysen könnten sich Paare auch aktiv entscheiden, ihr Genom
       auf Anomalien untersuchen zu lassen, um so vor einer Schwangerschaft
       festzustellen, ob eine Genkrankheit vererbt werden könnte. Bei einem
       positiven Befund könnten sie sich trotz Fruchtbarkeit für eine künstliche
       Befruchtung entscheiden.
       
       Was, wenn der genetische Status nicht nur analysiert wird, sondern er
       verändert wird? Möglich ist es. Im Jahr 2018 gab es einen Aufschrei, als
       der [7][chinesische Forscher He Jiankui] die ersten genetisch veränderten
       Babys erzeugte. Sie entstanden über künstliche Befruchtung in der
       Petrischale, wo er die Genschere Crispr/Cas anwandte, um ein Gen zu
       verändern.
       
       Die Kinder sollten niemals in Angst leben müssen, Träger*innen des
       HI-Virus zu werden, der die Krankheit Aids auslöst. Der Eingriff vor der
       Geburt sollte sie immunisieren. He Jiankuis Arbeit war aus vielen Gründen
       verwerflich: Seine Forschung war schlecht gemacht, die Anwendung der
       Genschere noch nicht sicher genug und die Folgen der Anwendung im Leben der
       Kinder nicht ausreichend erforscht. Für seine illegale Praxis wurde er in
       China zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt.
       
       Die Wissenschaftscommunity einigte sich in der Folge endgültig darauf, die
       Nutzung von Gentechnik im Embryonalstadium bei Erbkrankheiten zu
       unterbinden. Wenn die Technik aber sicherer wird, wäre eine Anwendung dann
       möglich? Der Stammzellbiologe Robin Lovell-Badge glaubt: Ja. Auf dem
       Dritten I[8][nternationalen Gipfel zur Humangenomeditierung] in diesem
       Frühjahr sagte er, die Forschung könne sich beschleunigen und die Nachfrage
       steigen.
       
       Würde man in die Genetik im Embryonalstadium eingreifen, hieße das, in die
       Evolution des Menschen einzugreifen. Nur weil die Möglichkeit besteht, muss
       sie nicht genutzt werden. Vielleicht ist es an der Zeit, das breiter zu
       diskutieren, damit die Forschung der Ethik nicht davongaloppiert.
       
       23 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Entscheidung-ueber-Organspende/!5944641
 (DIR) [2] /Leihmutterschaft-in-Spanien/!5925453
 (DIR) [3] /CSD-im-Wendland/!5944654
 (DIR) [4] https://www.nature.com/articles/s41586-023-05834-x
 (DIR) [5] /Kuenstliche-Befruchtung-soll-Art-retten/!5606115
 (DIR) [6] /Debatte-zur-Praenataldiagnostik/!5584901
 (DIR) [7] /Gen-manipulierte-Babys/!5916566
 (DIR) [8] https://royalsociety.org/science-events-and-lectures/2023/03/2023-human-genome-editing-summit/
       
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