# taz.de -- Eröffnung der Ruhrtriennale: Ernsthaft wie Hamlet
       
       > Wollte die Ruhrtriennale nicht weg von traditionellen Theaterformaten?
       > Dies Jahr eröffnete das Festival dagegen klassisch mit dem
       > „Sommernachtstraum“.
       
 (IMG) Bild: Eher Autofriedhof als Zauberwelt: Bühne des „Sommernachttraums“. Rechts Oliver Nägele als Zettel
       
       Die Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord ist ein Raum von
       gewaltigen Ausmaßen, ein riesiger Schlauch, scheinbar endlos lang. Bevor es
       losgeht mit Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, fragt man sich, wo sich
       denn diesmal wohl die Spielfläche befinden wird, denn man blickt nur in die
       dunkle, unergründliche Tiefe des Raums. Dann öffnet sich ein Vorhang, und
       siehe da, der Raum ist noch viel länger.
       
       Endlich darf das Publikum die Tribünen erklettern, viel Politik- und
       Kulturprominenz aus Nordrhein-Westfalen ist dabei, schließlich ist die
       Ruhrtriennale das erklärte Leuchtturmfestival des größten Bundeslands der
       Republik. Und mit Shakespeares Komödie steht diesmal keine experimentelle,
       spartenübergreifende „Kreation“ auf dem Spielplan – ein Format, das
       seinerzeit Gründungsintendant Gerard Mortier erfand –, keine Uraufführung,
       kein sonstiges Wagnis, sondern ein Theaterstück, das jeder zu kennen
       glaubt.
       
       Tatsächlich zählt [1][der „Sommernachtstraum“] heute zu den eher seltener
       gespielten Werken Shakespeares, beliebter sind derzeit seine blutigen
       Dramen. Der märchenhaften Komödie scheint man heute nicht viel zuzutrauen.
       [2][Barbara Frey] jedoch hält sie für „das Stück der Stunde“ und das
       Mäandernde der Form und die logischen Zumutungen der Handlung zwischen
       Traum und Wirklichkeit für eine ideale Theatersituation, um grundlegende
       Fragen nach der Freiheit des menschlichen Willens zu stellen.
       
       Mit einer satten Viertelstunde Verspätung geht es dann endlich los, Martin
       Zehetgruber hat auf die ebenerdige Drehbühne einen Container gebaut, der an
       der Vorderseite verglast ist wie ein Bungalow. Durch die Dunkelheit zielt
       ein Spot auf eine schlafende Frau, aus dem Off tönen gläsern-leise
       Xylophontöne, dann geht kurz das Licht im Container an, eine Handvoll
       stummer, grau gekleideter Gestalten starren auf die Schlafende, die sich
       bald als in einen pinken Ballonrock gewandete Hermia (Meike Droste)
       herausstellt.
       
       ## Bodenlange Mozartzöpfe
       
       Neben Puck (Dorothee Hartinger) und Zettel (Oliver Nägele) ist Hermia in
       Freys Konzept die einzige Bühnenfigur, die ihrer Rolle treu bleibt, das
       restliche Personal spielt mehrere Rollen und wechselt munter die
       Geschlechtsidentitäten.
       
       Hinter dem Container bringt die Drehbühne statt Zauberwald eine Art
       Autofriedhof mit in die Erde eingesunkenen Wracks hervor, vier schüttere
       Bäumchen sorgen nur für karge Idylle. Esther Geremus steckt die Figuren
       teils in graue, zeitlos heutige Anzüge, manche in Monturen, die an
       Mao-Uniformen erinnern, die Elfen tragen Faltenröckchen und bodenlange
       Mozartzöpfchen und Titania (Markus Scheumann) ein fantastisches, hautenges
       Gewand in giftigem Gelb und einen turmhohen Haarhelm.
       
       In gemächlichem Tempo erzählt Frey nun die Geschichte, stets untermalt von
       live auf diversen Tasten- und Perkussionsinstrumenten gespielter Musik, die
       mal spieluhrzart, mal mit unerbittlichen Akkorden wie ein Uhrwerk die Zeit
       zählend, mal romantisch wie ein Chopin-Nocturne tönt.
       
       Zur Erinnerung: Verhandelt werden auf der Bühne nicht weniger als vier
       Handlungsstränge, es geht um eine Herrscherhochzeit, die vorbereitet wird,
       sechs Handwerker proben zur Feier ein Theaterstück, dann gibt es das
       miteinander zankende Elfenpaar Oberon und Titania, den Hofnarren Puck und
       zwei aristokratische Liebespaare, die zueinanderkommen wollen, zudem noch
       Feen und Elfen.
       
       Barbara Frey hat Shakespeares Text beherzt gekürzt, sodass ihr Zeit bleibt,
       das Tempo rauszunehmen aus der Komödie, gespielt wird durchweg bedächtig,
       fast wie in Zeitlupe, aus dem Witz wird Nachdenklichkeit und zarte Ironie.
       Frey zeichnet eine gebremste, beinahe apathische Gesellschaft, alle Figuren
       haben etwas sanft Lächerliches, Unbeholfenes, und endlich ist das Stück im
       Stück – die berühmte Handwerkerszene – einmal kein lauter Klamauk, sondern
       eine ernsthafte Reflexion über das Theater selbst.
       
       Und ganz beiläufig von frappierender Aktualität, denn wenn die
       Laiendarsteller bei Shakespeare darüber sinnieren, ob dem Publikum ein Löwe
       zuzumuten sei und man nicht doch besser vorher ansagen solle, dass nun
       gleich ein Löwe auftrete, dieser aber in Wahrheit ein Schauspieler sei,
       dann erledigt Shakespeare vor 400 Jahren die heutige Diskussion über
       Triggerwarnungen lässig mit links.
       
       ## Der Höhepunkt des Abends
       
       Oliver Nägele spielt und spricht diese Szene als Zettel mit der
       Ernsthaftigkeit eines Hamlet und sorgt so für den Höhepunkt des Abends.
       Nicht zuletzt auch deshalb, weil man ihn mit weitem Abstand am besten
       verstehen kann. In der riesigen Halle sind alle Stimmen verstärkt, klingen
       aber über weite Strecken schlecht ausgepegelt und – zumindest schon in
       Reihe 10 von 17 – undeutlich, verwaschen und sind schwer zu verstehen.
       
       So sieht man viele Köpfe zu den Seiten gedreht, wo englische Übertitel
       eingeblendet werden. Ein Problem, das den Abend beeinträchtigt und Distanz
       schafft. Und eine grundsätzliche Frage aufwirft: War die Ruhrtriennale
       nicht mal ein Festival, das wegwollte von traditionellen Formaten?
       
       „Der Sommernachtstraum“ ist eine Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater,
       wo er bereits im September in den Spielplan aufgenommen wird. Also hoch
       artifizielles Sprechtheater, konzipiert für eine traditionelle
       Theaterbühne.
       
       12 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
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