# taz.de -- 78. Jahrestag des Kriegsendes in Asien: Gespaltene Erinnerung
       
       > In Taiwan kämpfen Opfer der Kolonialherrschaft gegen das Vergessen. Doch
       > die Regierung ist Japan gegenüber sehr vorsichtig.
       
 (IMG) Bild: Taiwaner*innen gedenken den Zwangsprostituierten der japanischen Armee, Taipeh 15. August 2016
       
       TAIPEH taz | Japans Kapitulation im Zweiten Weltkrieg bedeutete eine Zäsur
       in der Geschichte der ehemaligen japanischen Kolonie Taiwan. Doch während
       der [1][15. August 1945] in den meisten Ländern Ost- und Südostasiens als
       Tag der Befreiung gilt, ist die Erinnerung an das Ende von Krieg und
       Kolonialherrschaft in Taiwan in dieser Woche kaum präsent.
       
       Die Schlagzeilen dominiert der USA-Besuch des Vizepräsidenten und künftigen
       Präsidentschaftskandidaten Lai Ching-te. Japan taucht dagegen in den
       Nachrichten vor allem im Zusammenhang der jüngsten Taifunwarnungen auf.
       
       Eine kritische Aufarbeitung des japanischen Kolonialerbes findet in der
       taiwanischen Gesellschaft heute nur vereinzelt statt. Dies zeigte sich auch
       zu Monatsbeginn im Zuge der Diskussionen über ein neues Denkmal im Süden
       Taiwans. Damit geehrt werden taiwanische Freiwillige, die Japan in der
       Endphase des Zweiten Weltkriegs unterstützten – insbesondere beim Bau von
       Flugzeugen, die Japans Militär als Kamikazebomber nutzte.
       
       „So wie Großbritannien oder die USA für ihre Ideologie eintraten, kämpften
       auch Japan und Taiwan für ihre nationale Ideologie“, erklärte Chu
       Chia-huang von der örtlichen Veteranenvereinigung anlässlich der Einweihung
       des Denkmals.
       
       ## 200.000 Taiwaner*innen kämpften für Japan
       
       Mehr als 200.000 Taiwaner*innen dienten in den japanischen
       Streitkräften – darunter knapp die Hälfte von ihnen an der Front in Tokios
       imperialistischem Pazifikkrieg.
       
       Taiwan befand sich nach Japans Kapitulation vor 78 Jahren zunächst im
       politischen Schwebezustand. Denn das chinesische Kaiserreich, das Taiwan
       vor der zwangsweisen Abtretung an Japan 1895 für gut zwei Jahrhunderte
       beherrscht hatte, existierte nicht mehr.
       
       Die spätere „Rückgabe“ Taiwans an die Republik China unter der
       nationalistischen Regierung der Kuomintang (KMT) bedeutete für viele
       Taiwaner*innen eher neuerliche Unterdrückung als Befreiung. Die KMT
       errichtete unter Chiang Kai-shek eine Einparteiendiktatur, bis sich Taiwan
       ab Ende der 1980er Jahre schrittweise demokratisierte.
       
       Das Trauma der KMT-Diktatur trug nach Aussage von Expert*innen auch
       teilweise zu einer Verklärung der vorigen japanischen Kolonialherrschaft
       bei.
       
       ## Verklärung der Kolonialzeit
       
       „Viele Menschen verbinden mit der Kolonialzeit vor allem wirtschaftliche
       Entwicklung und den Ausbau der Schulbildung. Die Schattenseiten der
       japanischen Herrschaft sind in Taiwan bis heute eher wenig bekannt. Viele
       der Opfer stammten aus armen und gesellschaftlich benachteiligten
       Verhältnissen, etwa Frauen und Indigene. Und ihr Leid wurde lange
       tabuisiert“, sagt Du Ing-chiu von der Taipei Women’s Rescue Foundation.
       
       Die Organisation will mit ihrer Arbeit unter anderem die Erinnerung an die
       sogenannten Trostfrauen bewahren. Während des Zweiten Weltkrieges [2][zwang
       das japanische Militär geschätzt bis zu 200.000 Frauen aus Korea, China,
       den Philippinen und weiteren Ländern im Pazifikraum in die Prostitution],
       um die Moral seiner Truppen zu unterstützen. Auch etwa 2.000 taiwanische
       Frauen wurden als Zwangsprostituierte missbraucht.
       
       Taiwan fordert bis heute vergeblich eine umfängliche Anerkennung und
       Entschuldigung Japans für dieses Verbrechen. Doch die Regierung hält sich
       zugleich mit öffentlichen Äußerungen zurück – auch jüngst anlässlich des
       internationalen Gedenktags für die Opfer der japanischen Zwangsprostitution
       am 14. August.
       
       Ein Sprecher des Außenministeriums versicherte auf Anfrage der taz, „die
       taiwanische Regierung verfolgt das Anliegen der Trostfrauen weiterhin“,
       machte aber deutlich, dass Taiwan heute auch um die „politische Stabilität
       des indo-pazifischen Raums“ bemüht sei.
       
       ## Taiwan braucht Japan heute als Verbündeten
       
       Die Regierung der chinakritischen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP)
       unter Präsidentin Tsai Ing-wen bemüht sich um Japan als Verbündeten
       gegenüber China. Und regelmäßig besuchen Delegationen japanischer
       Politiker*innen ihrerseits Taiwan, um die Freundschaft beider Ländern
       zu beschwören. Laut Du Ing-chiu tritt die taiwanische Regierung Japan
       gegenüber sehr vorsichtig auf.
       
       Vor allem aber mangele es schon in Taiwans Schulbildung an Aufklärung über
       das Schicksal der Zwangsprostituierten. Sie fordert für sie zudem die
       Errichtung einer nationalen Gedenkstätte. Denn die Erinnerung an die
       Kolonialzeit rückt in immer weitere Ferne. Im Mai dieses Jahres ist die
       letzte in Taiwan bekannte Betroffene japanischer Zwangsprostitution
       verstorben.
       
       15 Aug 2023
       
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