# taz.de -- Antisemitismus im Kulturbetrieb: Permanente Grenzüberschreitung
       
       > In Kunst und Kultur wird Terror gegen Israel gefeiert. Der Kongress
       > „Reclaim Kunstfreiheit“ stellt sich in Berlin die Frage: Wie kann man dem
       > begegnen?
       
 (IMG) Bild: Das verhüllte Großbanner „People's Justice“ auf der documenta in Kassel
       
       Nichts ist mehr, wie es war. [1][Seit Samstag in Israel], wo mittlerweile
       über 1.200 Zivilist:innen brutal von den Terroristen der Hamas getötet,
       gefoltert und vergewaltigt wurden, bis zu hundert Menschen noch immer
       [2][verschleppt in Gaza] sind.
       
       Alles ist auch anders für Jüdinnen und Juden in der Diaspora, die nicht nur
       um Freund:innen und Familie in Israel bangen, sondern den Hass auf Juden
       gleichzeitig auch auf den Straßen und in sozialen Medien zu spüren
       bekommen.
       
       Wie spricht man in diesen Tagen, in denen das wohl größte Pogrom gegen
       Juden seit der Shoa passiert, über Antisemitismus in Deutschland? Konkret
       im Kunst- und Kulturbetrieb? Ist das überhaupt möglich? Angebracht? Das ist
       die Herausforderung, vor der das Institut für Neue Soziale Plastik seit
       Dienstag in Berlin steht.
       
       Das 2015 von antisemitismuskritischen und jüdischen Künstler:innen
       gegründete Institut, das sich der Antisemitismusprävention verschrieben
       hat, startete seinen Kongress „Reclaim Kunstfreiheit. Antisemitismuskritik,
       Kunst und Kultur“, der einst als Reaktion auf die Documenta fifteen
       konzipiert wurde. Zahlreiche antisemitische Werke waren damals auf der
       Documenta ausgestellt worden.
       
       ## Typische Muster
       
       Die Reaktionen der Verantwortlichen folgten einer bekannten Routine, die
       nach antisemitischen Vorfällen zu beobachten sind. Es wurde sich
       entschuldigt, Unwissenheit vorgeschoben und von verletzten Gefühlen
       gesprochen. So hatte zum Beispiel das indonesische Kollektiv Taring Padi
       reagiert, auf dessen Agitprop-Bild auch antisemitische Bildstereotype in
       Stürmer-Tradition zu sehen waren.
       
       Stella Leder, Mitbegründerin des Instituts für Neue Soziale Plastik, sagt
       nun der taz. „Wir erleben diesen Kongress als Team anders, weil das Gefühl
       von Freude nicht herstellbar ist. Menschen sagen uns für den Kongress ab,
       weil sie betroffen sind oder ihre Familien in Israel.“
       
       So wird der Kongress zu einem, der stattfindet „trotz“ der Ereignisse in
       Israel. Und dieses „trotz“, das der Mitbegründer Benno Plassmann in seiner
       Eröffnungsrede im Roten Salon der Volksbühne Berlin betont, hat im Kontext
       des Kongressthemas einen widerständigen Charakter. Denn es sind nicht
       zuletzt Menschen aus dem Kunst- und Kulturbetrieb, die aktuell die Morde an
       jüdischen Zivilist:innen als „Freiheitskampf“ oder legitimen
       „Widerstand“ feiern.
       
       Dass in Berlin-Neukölln Demonstranten die Terrorakte der Hamas bejubelten,
       „Viva, viva, Palästina!“ gerufen wurde, gefiel Reza Afisina und Iswanto
       Hartono, Ruangrupa-Mitglieder und ehemalige Documenta-Kuratoren. Jedenfalls
       hinterließen sie bei einem Video dieser Kundgebung, das auf dem
       Instagram-Account „Real documenta“ hochgeladen wurde, ihre Likes. Der
       Account ist keine offizielle Vertretung der Documenta. Wer dahintersteht,
       ist unklar.
       
       Eigenartig, denn im Oktober 2022, als es Proteste gegen ihre
       Gastprofessuren an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg (HFBK)
       gab, betonten Afisina und Hartono noch, keine Antisemiten zu sein. Die
       Jüdische Allgemeine hat die Künstler um Stellungnahme gebeten. Dieses steht
       noch aus.
       
       Gegenüber der Hessisch/Niedersächsisch Allgemeinen (HNA) erklärten sie
       jedoch, die Likes seien ein Fehler gewesen. Sie hätten gedacht, auf ein
       Video einer Demo Ende September reagiert zu haben. Inwiefern dies weniger
       problematisch sein soll, bleibt offen. Ihre Likes haben sie mittlerweile
       entfernt. Documenta-Geschäftsführer Andreas Hoffmann hatte sich am Montag
       mit deutlichen Worten von Afisina und Hartono distanziert. In einer
       Pressemitteilung erklärte er, dass die Likes der Mitglieder des
       Kuratorenkollektivs Ruangrupa „unerträglich und inakzeptabel“ seien.
       
       ## Antisemitische Posts
       
       Propalästinensische Demonstranten, die den Terror bejubeln – dieser Post,
       der mit „Berlin up for Palestine tonight“ betitelt ist, gefällt (Stand
       Donnerstag) weiterhin 87 Menschen auf Instagram. Darunter sind noch immer
       namenhafte Künstler:innen wie der Fotokünstler Adam Broomberg, für den
       Israel ein „Apartheidsstaat“ ist und der von 2015 an ebenfalls an der HFBK
       lehrte. 2021 beendete die Hochschule wegen seiner Apartheid-Aussage die
       Zusammenarbeit mit ihm. Aktuell ist er Dozent an der Hochschule für
       Gestaltung in Karlsruhe (HfG).
       
       Broomberg likt auch weitere Videos des Instagramaccounts „Real documenta“,
       unter anderem eines, das eine propalästinensische und antisemitische
       Demonstration vor der israelischen Botschaft in London feiert. Auf dieser
       Demonstration wurden Parolen wie „Juden ins Gas“ skandiert sowie Zionismus
       mit Rassismus gleichgesetzt.
       
       Zudem teilt Broomberg auf seinem privaten Instagram-Account Beiträge, die
       unter anderem die Verschwörungserzählung beinhalten, Israel hätte die
       Ermordung und Enthauptung von Babys inszeniert. In einem anderen Post wird
       ein Vergleich zwischen Israel und Nazipropaganda hergestellt. Auf Anfrage
       der taz sagt die Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, Broomberg vertrete
       als Gastdozent nicht die Positionen der HfG. Die Posts seien der Hochschule
       bislang nicht bekannt gewesen. Man gehe den Vorwürfen nach, brauche dafür
       erst einmal Zeit. „Die HfG verurteilt den terroristischen Überfall der
       Hamas auf jüdische Zivilisten in Israel aufs Schärfste. Auch Antisemitismus
       in Deutschland wird von der HfG nicht akzeptiert“, heißt es außerdem.
       
       Auch Künstler Jota Mombaça, der derzeit eine Ausstellung im Center for
       Contemporary Arts (CCA) in Berlin hat, likt das Video der feiernden
       propalästinensischen Demonstranten in Berlin. Erst Ende September fand im
       CCA, einem Ort, der von sich selbst behauptet, „kritisches Wissen über
       Kunst und Kultur“ zu fördern und zu kultivieren, ein Gespräch zwischen
       Mombaça und Edwin Nasr statt, Kurator:in der Ausstellung.
       
       Nasr hat ebenfalls mit Instagram-Posts Freude über den Terror in Israel
       ausgedrückt. Wie die Welt zuerst berichtete, teilte Nasr unter anderem am
       8. Oktober eine Bildcollage, auf der fliehende Partybesucher des
       Wüstenraves zu sehen sind, die von der Hamas gejagt werden. Darüber prangt
       in roter Schrift „Poetic Justice“, poetische Gerechtigkeit. Der Screenshot
       liegt der taz vor. Mittlerweile ist bekannt, dass [3][mindestens 260 der
       Festivalteilnehmer:innen von den Terroristen der Hamas kaltblütig
       ermordet wurden].
       
       Nasr selbst gibt gegenüber der taz zu, die Collage verbreitet zu haben –
       Urheber:in sei Nasr jedoch nicht. Zum Zeitpunkt der Verbreitung habe es
       laut Nasr keinerlei Informationen über ein Massaker an den
       Festivalbesuchern gegeben. „Wir dachten nur, dass ihre Party von
       Gleitschirmfliegern gestört wurde. Ich kann immer noch nicht begreifen,
       warum die Leute vor einem Freiluftgefängnis tanzen und feiern, in dem die
       Bewohner des Gazastreifens kaum Zugang zu medizinischer Versorgung und
       Lebensmitteln haben“, sagt Nasr. Nasr habe das Foto entfernt, nachdem Nasr
       erfahren habe, was tatsächlich passiert war.
       
       Auf seiner Website weist das CCA in einer Antidiskriminierungsklausel
       daraufhin hin, keine „diskriminierende Handlungen und Äußerungen aufgrund
       rassistischer und antisemitischer Zuschreibungen, ethnischer Herkunft,
       Staatsangehörigkeit“ zu akzeptieren. Für die Positionen ihres Kurators und
       eines ausstellenden Künstlers scheint es Ausnahmen zu geben. Zu den
       Vorwürfen äußerte sich das CCA auf Anfrage der taz bis Redaktionsschluss
       nicht.
       
       ## Kritik an Israel gehört zum guten Ton
       
       Menschen wie die eben aufgezählten werden in Deutschland gefeiert; sie
       werden mit Preisen und Förderungen ausgezeichnet, erhalten Lehraufträge.
       Das überrascht nicht. Antisemitische Kritik an Israel gehört in der Szene
       zum guten Ton. „Wir bekommen aktuell mit, wie sich Kurator:innen,
       Künstler:innen und andere Menschen aus dem Kunst- und Kulturbereich
       kritisch zu Israel äußern, wie sie Gewalt verharmlosen. Wenn ein Pogrom
       gegen Juden stattfindet, scheint das für viele akzeptabel zu sein“, sagt
       Stella Leder.
       
       Dass es sich längst nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein
       strukturelles Problem, darauf weist auch das Institut für Neue Soziale
       Plastik immer wieder hin. Leder beklagt, dass es seit der Documenta fifteen
       weder auf Bundesebene noch auf Ebene der Länder kulturpolitische
       Konsequenzen gegeben hat. „Für mich stellt sich bis heute die Frage, wie
       das Kuratierungsteam der Documenta zustande kommen konnte, warum die
       Findungskommission nicht anders gehandelt hat, warum die zuständigen
       Verwaltungen diese so besetzt haben.“
       
       Es gibt auch positive Entwicklungen. So konnte das Institut für Neue
       Soziale Plastik ein Netzwerk mit antisemitismuskritischen und jüdischen
       Künstler:innen initiieren, sagt Leder. Das Institut bekomme zudem mehr
       Anfragen von Kulturinstitutionen, die sich Rat holten. „Darunter sind auch
       Institutionen, die sagen, sie hätten BDS unterschätzt.“
       
       Mittlerweile solidarisierte sich der Deutsche Bühnenverein in einem
       [4][Statement am Dienstag mit Israel]. „Der Angriff der Terrororganisation
       Hamas auf Israel erschüttert uns zutiefst. Wir sind in Gedanken bei den
       Opfern der feigen Gewalttaten, bei ihren Angehörigen und bei allen, die
       derzeit um ihre Zukunft bangen. Die Sicherheit Israels ist zu Recht Teil
       der deutschen Staatsräson“, heißt es darin. Das Schauspielhaus in Hamburg
       hat sich diesem Statement angeschlossen. Auch die Kammerspiele München
       verurteilen die Angriffe auf israelische Zivilist:innen in einer kurzen
       Meldung.
       
       Leder findet diese Solidarisierung gut, „vor allem, weil
       Kulturinstitutionen und Künstler*innen sich in den letzten Jahren eher
       israelfeindlich geäußert haben – oder gar nicht“. Sie weist aber auch
       darauf hin, dass es schön wäre, „wenn es nun eine breite Solidarisierung
       geben würde, um den israelfeindlichen Aussagen, die wir in den letzten
       Tagen gehört haben, etwas entgegenzusetzen“.
       
       Klar ist auch: Wer diese Statements ernst meint, muss sich zukünftig daran
       messen lassen. Das heißt konkret: Antisemitismus darf im deutschen Kunst-
       und Kulturbetrieb keinen Platz finden.
       
       Das Institut für Neue Soziale Plastik führt seinen [5][Kongress bis
       kommenden Montag fort]. Ein für Freitag geplantes Theaterstück wurde
       jedoch abgesagt, da es auf den ersten Schabbat nach den Angriffen auf
       Israel fällt.
       
       13 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Hamas-Angriff-auf-Israel/!5966013
 (DIR) [2] /Islamismus-und-sexualisierte-Gewalt/!5962609
 (DIR) [3] /Angriff-auf-Israel/!5965719
 (DIR) [4] https://www.buehnenverein.de/de/presse/statements_3.html?det=680
 (DIR) [5] https://www.neue-soziale-plastik.de/reclaim-kunstfreiheit
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erica Zingher
       
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