# taz.de -- Abfallwirtschaft in Deutschland: Der heiße Scheiß
       
       > In menschlichem Kot und Urin steckt viel Phosphor, der zu wertvoll zum
       > Wegwerfen ist. Aber wie macht man Kacke zu Gold?
       
 (IMG) Bild: Nach der Behandlung in der Kläranlage sieht das Endprodukt so aus
       
       ## Was ist an Fäkalien wertvoll?
       
       Kot und vor allem Urin enthalten viel Phosphor. Der Stoff ist auch ein
       zentraler Bestandteil jedes Universaldüngers und damit ein wichtiger
       Rohstoff. Aktuell läuft der Countdown für ein neues, überaus lukratives
       Geschäftsfeld. Bis Ende des Jahres müssen die meisten Betreiber von
       Kläranlagen ihre Pläne vorlegen, wie sie künftig Phosphor aus dem Abwasser
       zurückgewinnen wollen. Die EU hat Phosphor 2014 auf die Liste der
       kritischen Rohstoffe gesetzt. Diese verzeichnet Materialien, die für die
       Wirtschaft essenziell sind und bei denen Versorgungsengpässe drohen.
       
       ## Warum wird Phosphor knapp?
       
       Phosphor wird bergbaulich gewonnen, vor allem in der von Marokko besetzten
       Westsahara, China und in den USA. In der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008
       und nach Ausbruch des Angriffskriegs gegen die Ukraine schnellten die
       Preise in die Höhe. Recycling soll nun die Versorgungssicherheit erhöhen.
       Derzeit werden die Fäkalien unter hohem Energieaufwand und mithilfe von
       Metallsalzen in den Klärschlamm eingebracht, der das Endprodukt der
       Abwasserreinigung ist. Die Kläranlagen müssen dafür anschließend Abnehmer
       finden.
       
       ## Wie ist die Gesetzeslage in Deutschland?
       
       Die Klärschlammverordnung schreibt vor, dass große Abwasserbetriebe den
       zuständigen Behörden bis Ende 2023 Pläne vorlegen müssen, wie sie ihrer ab
       2029 geltenden Pflicht zur Phosphorrückgewinnung nachkommen wollen.
       Mittelgroße Abwasserreinigungsanlagen haben bis 2032 Zeit. Kleinklärwerke
       dürfen den Schlamm weiter auf landwirtschaftlichen Flächen ausbringen. Das
       ist ansonsten zunehmend verboten, weil damit auch Mikroplastik und
       Medikamentenreste auf die Felder kommen.
       
       ## Wie soll der Phosphor recycelt werden?
       
       Als der „heiße Scheiß“ gelten Monoverbrennungsanlagen. Das sind Öfen, in
       denen ausschließlich Klärschlamm verbrannt wird. Der Konzern Remondis hat
       in Hamburg mit staatlicher Unterstützung eine erste Anlage errichtet und
       plant weitere. Aus der Asche kann in einem mehrstufigen Prozess Phosphor
       zurückgewonnen werden. Der Recyclingstoff ist teurer als Importware, sodass
       hohe Kosten für Steuer- und Abwassergebührzahlende zu erwarten sind.
       
       Laut einer Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes wird es allerdings
       selbst im optimistischsten Szenario für fast die Hälfte der
       Klärschlamm-Aschen Ende des Jahrzehnts keine Verarbeitungskapazitäten
       geben. Gesetzlich erlaubt ist auch eine Zwischenlagerung der Aschen, die
       dann mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann deponiert werden. Der
       Phosphor geht damit verloren – so wie heute, wo ein Großteil des
       Klärschlamms in Kraft- oder Zementwerken mitverbrannt wird.
       
       ## Gibt es Alternativen?
       
       Ja. Die Europäische Phosphatplattform hat einen Katalog mit 53 Verfahren
       veröffentlicht. Das Feld ist unübersichtlich und einiges steckt noch im
       Experimentierstadium. Am umweltfreundlichsten wäre es, Urin und Kot gar
       nicht erst in der Kanalisation mit anderen Stoffen zu vermischen, sondern
       getrennt zu sammeln, zu hygienisieren und dann als Dünger einzusetzen.
       Damit ließe sich bereits der immense Energieaufwand bei der
       Abwasserreinigung sparen. In skalierbaren Forschungs- und Modellprojekten
       funktioniert das bereits. Vorreiter sitzen in Eberswalde, Zürich und Genf.
       
       Doch auch im Rahmen der bestehenden Infrastruktur gibt es bessere Lösungen
       als die energieintensive und teure Monoverbrennung, für die sich
       voraussichtlich viele Kommunen und Kläranlagenbetreiber entscheiden werden.
       Sie fühlen sich durch den Zeitdruck überfordert und trauen sich nicht zu,
       die Phosphorrückgewinnung selbst zu organisieren. Schließen sie einen
       Vertrag mit einer Monoverbrennungsanlage ab, geht die Verantwortung für die
       Phosphorrückgewinnung auf Remondis oder andere Anlagenbetreiber über.
       
       ## Wie lässt sich Klärschlamm sinnvoll nutzen?
       
       Eine gute Alternative zur Monoverbrennung sind Pyrolyseanlagen auf dem
       Gelände der Kläranlagen, so wie sie im sächsischen Niederfrohna oder im
       rheinland-pfälzischen Ingelheim seit einigen Jahren zuverlässig laufen. In
       einer Pyrolyseanlage wird der Klärschlamm unter Ausschluss von Sauerstoff
       erhitzt. Der Prozess benötigt viel weniger Energie als der in
       Verbrennungsöfen. Weil die Anlage neben dem Klärwerk steht, muss der
       Schlamm nicht per Lkw quer durchs Land transportiert werden. Am Ende
       entsteht ein Karbonisat, das neben Kohlenstoff bis zu 15 Prozent Phosphor
       enthält und frei von Pharmarückständen, Dioxin und Mikroplastik ist.
       
       ## Warum gibt es in Deutschland dann so wenig Pyrolyseanlagen?
       
       Das Bundeslandwirtschaftsministerium verweist darauf, dass das Karbonisat
       aus der Pyrolyseanlage eine schlechtere Phosphor-Wirksamkeit habe als
       Klärschlamm. Der Vergleich hinkt aber: Das Ministerium stellt dem
       Pyrolyse-Karbonisat aus Klärschlamm das Ausgangsmaterial gegenüber und
       nicht das Produkt aus einer Monoverbrennungsanlage. Anders als Asche aus
       den Monoverbrennungsanlagen kann das Karbonisat aus der Pyrolyse außerdem
       direkt auf die Felder ausgebracht werden. In Schweden ist es als Dünger
       zugelassen, auch in Tschechien und Dänemark kommt es auf die Äcker. Weil es
       hierzulande jedoch unter das Abfallrecht fällt, darf es weder ausgebracht
       noch exportiert werden.
       
       ## Welche Auswirkungen hätte das Verfahren aufs Klima?
       
       Das Umweltbundesamt hat bereits 2016 darauf hingewiesen, dass Pyrolysate
       als Bodenverbesserer geeignet sind, weil sie beim Humusaufbau helfen. Diese
       Wirkung ist besonders groß, wenn der Ausgangsstoff Pflanzenreste sind, es
       funktioniert aber auch mit Klärschlamm. Darüber hinaus hat das
       Umweltbundesamt vor einigen Jahren bestätigt, dass Klärschlammkarbonisate
       im Gegensatz zu Dünger aus der Chemiefabrik eine klimapositive Wirkung
       haben. Wie Biokohle aus Pflanzenresten kann auch Klärschlamm-Karbonisat
       Kohlenstoff dauerhaft unter die Erde bringen.
       
       Die Berliner Professorin Karin Heinrich hat ausgerechnet: Würde der gesamte
       deutsche Klärschlamm pyrolysiert und in den Boden eingearbeitet, könnte das
       der Atmosphäre so viel CO₂ entziehen, wie 8,3 Prozent des deutschen
       Waldbestands binden. Dagegen trägt die Monoverbrennung massiv zur
       Erderhitzung bei, weil pro Tonne 231 Kilogramm CO₂entstehen. Hinzu kommen
       laut Studie weitere 12 Kilogramm CO₂ für den Transport.
       
       ## Warum entscheiden sich die großen Betreiber dann trotzdem für die
       umweltschädlichste Variante?
       
       Die Verunsicherung vieler Kläranlagenbetreiber spielt den Großen in die
       Hände: Wer sich für Monoverbrennung entscheidet, ist die Verantwortung für
       die Phosphorrückgewinnung los. Bei der aktuellen Gesetzeslage könnten
       Betreiber von Pyrolyse-Öfen für Klärschlamm sogar gezwungen sein, das
       Karbonisat mangels Verwertungsmöglichkeit ebenfalls zu verbrennen.
       
       Die Recherche wurde gefördert von der Riff freie Medien gGmbH. Im November
       erscheint von der Autorin bei Orange Press das Buch „Holy Shit – Der Wert
       unserer Hinterlassenschaften“ parallel zum gleichnamigen Film.
       
       20 Oct 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annette Jensen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kläranlage
 (DIR) Phosphor
 (DIR) Abfallwirtschaft
 (DIR) Bürokratie
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Zukunft
 (DIR) IG
 (DIR) Podcast „Vorgelesen“
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) EU-Kommission
 (DIR) Ostsee
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ausstellung „Working With Waste“: Befreiender Ausfluss
       
       Die Künstlerin Lucy Beech beschäftigt sich mit Körperflüssigkeiten und
       Geschlechterzugehörigkeit. Das Oldenburger Edith-Russ-Haus zeigt ihre
       Filme.
       
 (DIR) Verpackungsverordnung der Kommission: EU setzt auf Mehrweg
       
       Europa hat ein Problem mit Verpackungsmüll und es wird immer größer. Die
       EU-Kommission will diesen Trend stoppen, aber die Pläne sind umstritten.
       
 (DIR) Nach Kläranlagen-Unfall in Lettland: Schwefel in Ostsee gespült
       
       Der Boden vor Liepaja gilt als instabil. Trotzdem wurde dort eine
       Kläranlage gebaut. Nun ist eine Haltemauer eingestürzt und Schlamm
       ausgeströmt.