# taz.de -- Antisemitismus in Frankreich: Französische Juden unter Schock
       
       > Judenfeindliche Drohungen haben in Frankreich nach dem 7. Oktober
       > sprunghaft zugenommen. Jüdische Schulen erhielten E-Mails mit
       > Bombendrohungen.
       
 (IMG) Bild: Mit aufgesprühtem blauem Davidstern markiertes Haus im 14. Pariser Arrondissement am Dienstag
       
       PARIS taz | Von einem doppelten oder gar dreifachen Schock spricht der
       Ex-Vorsitzende des Repräsentativen Rates der jüdischen Institutionen
       (CRIF), Samuel Pasquier. „Der Schock waren natürlich die abscheulichen
       Verbrechen (der Hamas in Israel am 7. Oktober), danach aber auch die
       Tatsache, dass ein Teil der französischen Bevölkerung sich davon offenbar
       sehr wenig betroffen fühlte und Israel und die Hamas auf die gleiche Stufe
       stellt“, bedauert der 78-jährige frühere Arzt.
       
       Hinzu komme eine für ihn erschreckende Gleichgültigkeit angesichts der
       Vervielfachung antisemitischer Äußerungen und Drohungen. Das war für ihn
       ein zusätzlicher, dritter Schock.
       
       „Wir fühlen uns sehr alleine“, sagt auch Michel Serfaty, der Rabbiner des
       Pariser Vororts Ris-Orangis, der Zeitung Le Parisien. Die jüdische Gemeinde
       fühle sich im Stich gelassen. „Wo bleiben die großen
       Solidaritätskundgebungen?“, fragt er.
       
       Seit dem 7. Oktober haben antisemitische Aggressionen und Bedrohungen in
       Frankreich, wo die größte jüdische Gemeinde Europas lebt, sprunghaft
       zugenommen. Innenminister Gérald Darmanin spricht von mehr als 800
       registrierten Vorfällen, nennt aber keinerlei Details. Laut Justizminister
       sind mehr als 400 Personen festgenommen und mehrere bereits gerichtlich
       verurteilt worden.
       
       ## Mordaufrufe und Davidsterne
       
       Die Internet-Aufsichtsstelle Pharos hatte schon bis Ende Oktober 5.300
       Hinweise auf antisemitische Beschimpfungen und Drohungen erhalten. Es geht
       um eine Häufung sehr beängstigender konkreter Vorfälle: Mehrere jüdische
       Schulen in der Hauptstadtregion erhielten E-Mails mit ernstzunehmenden
       Bombendrohungen, die mit „Al-Qaïda bomb“ und „Allahu Akbar“ unterzeichnet
       waren. Drei Schulen mussten deswegen vorübergehend evakuiert werden.
       
       Auf eine Mauer des Sportstadions von Carcassonne in Südfrankreich wurde
       direkt nach dem 7. Oktober geschmiert: „Tuer les Juifs est un devoir“
       (Juden töten ist Pflicht), auch Fassaden jüdischer Geschäfte wurden von
       antisemitischen Sprayern beschmiert.
       
       In den letzten Tagen sind nicht nur in nördlichen Vorstädten, sondern auch
       im 14. Pariser Arrondissement Davidsterne an Häusern mit jüdischen
       Bewohnern aufgetaucht. Es wurde dazu offenbar eine identische Schablone und
       die gleiche blaue Farbe verwendet. Soll das wie schon im Frankreich der
       30er Jahre oder in Nazi-Deutschland Opfer markieren?
       
       Justizminister Éric Dupond-Moretti möchte die Verantwortung einem Teil der
       politischen Linken zuschieben, weil diese für „Konfusion“ sorge: „Ich habe
       etwas Mühe zu verstehen, warum (die Partei) [1][La France insoumise] es
       nicht schafft, die Hamas als terroristische Bewegung zu bezeichnen. Es
       gilt, Klarheit zu schaffen. Es sind nicht die Muslime, die auf die Juden
       spucken, sondern die Islamisten. Man kann für die palästinensische Sache
       und einen palästinensischen Staat eintreten, aber man kann nicht hinnehmen,
       dass der wachsende Kommunitarismus (die Abschottung in Gemeinschaften; Anm.
       d. Red.) in unserem Land diesen Antisemitismus fördert. Laizität bedeutet,
       dass jeder seine Religion frei ausüben kann, ohne deswegen angegriffen oder
       beschimpft zu werden“, erklärte der Minister in der Tribune du Dimanche.
       
       Er versprach, als abschreckende Präventionsmaßnahme die Öffentlichkeit über
       Verurteilungen antisemitischer Straftaten zu informieren.
       
       ## „Antisemitismus im Alltag“
       
       Als „Antisemitismus im Alltag“ bezeichnet Samuel Lejoyeux, der Vorsitzende
       der Union des étudiants juifs de France (UEJF), eine Vielzahl ihm
       gemeldeter Vorfälle, über die er im Kurznachrichtendienst X berichtet.
       
       In der Pariser Universität Tolbiac etwa wurde auf eine Toilettentür „Mort
       aux Juifs“ (Tod den Juden) geschmiert. Bei einem betagten jüdischen Ehepaar
       in Paris wurde die Wohnungstür in Brand gesteckt. Und Lejoyeux selbst sei
       nach einer kurzen Diskussion über den Nahostkonflikt von einem Taxifahrer
       kurzerhand aus dem Auto geworfen worden.
       
       Das alles schaffe für ihn ein Gefühl, „nirgends mehr ungefährdet zu sein“.
       In einem Interview sagte er, der Antisemitismus sei in der gesamten
       französischen Gesellschaft und keineswegs nur in der muslimischen
       Bevölkerung verbreitet. Scharf kritisiert er Politiker, namentlich den
       Gründer von La France insoumise (LFI), Jean-Luc Mélenchon, oder auch den
       [2][Rechtsaußen Eric Zemmour], die den Konflikt „instrumentalisieren“ und
       „Juden und Muslime gegeneinander hochschaukeln“ wollten. Das Zusammenleben
       stehe dabei auf dem Spiel.
       
       Wegen der wachsenden Spannung zwischen Bevölkerungsteilen, die den
       Nahost-Konflikt importieren, sorgt sich auch die Rabbinerin und Autorin
       Delphine Horvilleur um die Menschlichkeit, oder was davon noch bleibt.
       
       2 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
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