# taz.de -- Israelische Geschäfte in Berlin: Gemischte Gefühle mit Rückzugstendenz
       
       > Der zunehmende Antisemitismus führt zu Unsicherheit in israelischen
       > Läden. 85 Jahre nach den Novemberpogromen gibt es Angriffe, aber auch
       > Solidarität.
       
 (IMG) Bild: Eines der bekanntesten israelischen Restaurants Berlins: das Masel Topf
       
       BERLIN taz | Das „Doda’s Deli“ unweit der Warschauer Straße in
       Friedrichshain wirkt wie ein gemütliches Wohnzimmer, das gleichzeitig
       Delikatessengeschäft und Restaurant ist. Am Schaufenster steht ein großes
       Ledersofa, daneben finden sich Holzmöbel, viele Pflanzen und Regale voller
       israelischer Snacks und Spezialitäten. Am Mittwochvormittag kurz nach
       Ladenöffnung ist noch nicht viel los. Wer reinkommt, kann sich kurz erholen
       vom herbstgrauen Novemberwetter, etwa mit einer Riesenportion hausgemachter
       Falafel, frischem Salat, leckerem Humus und gebratenem Gemüse.
       
       „Dass jemand hungrig den Laden verlässt, ist unser größter Albtraum“, sagt
       Jenny R. Vor zwei Jahren hat sie gemeinsam mit ihrer Partnerin und heutigen
       Chefköchin Raz R. das Doda’s eröffnet, was auf Hebräisch Tante heißt. Alle
       sollten sich dort wie zu Hause bei der Lieblingstante fühlen, erzählen sie.
       Auf der Karte stehen traditionelle israelische Speisen, serviert wird
       alles, was es auf Tel Avivs Märkten gibt.
       
       Von draußen ist das nicht mehr auf den ersten Blick ersichtlich. Eines der
       Ladenschilder, auf dem „Tel Aviv Market Food“ stand, wurde direkt am Tag
       nach dem antisemitischen Pogrom in Israel vom 7. Oktober angezündet. Weil
       es bereits mehrfach beschmiert wurde, haben Raz und Jenny R. sich dagegen
       entschieden, es wieder aufzuhängen – um keine weiteren Angriffe zu
       provozieren, wie sie erzählen. Ihren Nachnamen will das Ehepaar aufgrund
       der Bedrohungslage nicht in der Zeitung lesen, nachdem Häuser von
       israelischen Bewohner*innen in Berlin mit Davidsternen markiert wurden.
       
       Den Anstieg antisemitischer Gewalt betrachten sie mit großer Sorge. Als es
       kurz nach dem Terrorangriff der Hamas [1][internationale antisemitische
       Gewaltaufrufe] gegen israelische und jüdische Einrichtungen gab, schlossen
       sie ihr Restaurant zwei Tage lang. Mittlerweile bewerten sie die Situation
       jeden Tag aufs Neue und verfolgen die Nachrichten sehr genau: „Wir haben
       eine Verantwortung unseren Angestellten und Gästen gegenüber“, sagt Jenny.
       Und auch für sich selbst: „Ich hätte niemals gedacht, dass es dazu kommt,
       aber wir überlegen, nach sieben Jahren in Berlin, nach Israel
       zurückzugehen“, sagt Raz. Dass die Bundesregierung die Bedrohungslage sehr
       ernst nehme, beruhige sie etwas, sagen die beiden Frauen. Zudem gebe es
       viel Unterstützung von Nachbar*innen und Gästen.
       
       ## Nahezu täglich Angriffe auf Gedenkstätten
       
       Wegen des weltweit zunehmenden Antisemitismus nach dem Hamas-Massaker vom
       7. Oktober zieht der 85. Jahrestag der Novemberpogrome am 9. November in
       diesem Jahr besonders viel Aufmerksamkeit auf sich. Am zentralen Gedenken
       nehmen auf Einladung des Zentralrats der Juden auch Bundespräsident
       Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Scholz (beide SPD) teil.
       Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, dass man Jüdinnen und Juden die
       absolute Gewissheit geben müsse, dass 2023 nicht 1938 sei. Es sei mehr als
       eine historische Verantwortung, sich dem Hass entgegenzustellen.
       
       Während der Novemberpogrome von 1938 hatten in der Nacht vom 9. auf den
       10. November die faschistische SA und SS gewalttätige Übergriffe auf die
       jüdische Bevölkerung organisiert. Im ganzen Land wurden 7.500 jüdische
       Geschäfte zerstört, über 1.200 Synagogen niedergebrannt, Wohnungen
       verwüstet und mehrere hundert Juden getötet.
       
       Vor rund einem Monat, am 7. Oktober, fand wiederum in Israel das größte
       Pogrom gegen Jüdinnen und Juden seit Ende des Zweiten Weltkrieges statt.
       Die Hamas tötete und folterte 1.400 Menschen und entfachte damit einen
       neuen Krieg in Nahost mit vielen zivilen Opfern auch im Gazastreifen und
       einem weltweiten [2][Anstieg antisemitischer Gewalt]. Nahezu täglich gebe
       es [3][Angriffe auf Gedenkstätten und Erinnerungsorte,] so der
       Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, bei der
       Vorstellung des Lagebilds Antisemitismus am Dienstag.
       
       Das hat auch Einfluss auf das diesjährige Gedenken in Berlin: Ein
       antifaschistisches Bündnis ruft zu einer Gedenkdemonstration um 18 Uhr in
       Moabit am Mahnmal Levetzowstraße auf. Laut Initiative wurden
       Aktivist*innen beim Plakatieren in der Kreuzberger Oranienstraße von
       mehreren Personen bedroht und die frisch geklebten Plakate abgerissen. Die
       Situation sei derart bedrohlich gewesen, dass die Plakatierungen
       abgebrochen werden mussten.
       
       ## „Überall keimt der Antisemitismus auf“
       
       Der Geschäftsführer des israelischen Restaurants Masel Topf in Prenzlauer
       Berg, Konstantin Pinski, hat indes weniger Angst vor akuter Bedrohung. Das
       liegt vor allem daran, dass sein Restaurant gegenüber einer polizeilich
       besonders geschützten Synagoge liegt. „Aber ich mache mir große Sorgen, was
       die Zukunft in den nächsten fünf Jahren bringt, überall keimt der
       Antisemitismus auf“, sagt Pinski der taz. Er kritisiert, dass
       Politiker*innen gerne Antisemitismus kritisieren, daraus aber nichts
       Konkretes folge.
       
       Pinski würde sich wünschen, dass Menschen, die sich auf Demos offen für ein
       Kalifat aussprächen, „Kindermörder Israel“, „Vertreibt die Juden ins Meer“
       riefen oder die Massaker der Hamas verherrlichten, rigoros bestraft werden.
       Er geht davon aus, dass der sich nun offen zeigende Antisemitismus nicht
       einfach so weggehen wird.
       
       Hilla Sasson Pintok, die zusammen mit ihrem Partner Erez Pintok die
       französische Patisserie mit israelischen Einflüssen „Madame Paloma
       Bakehouse“ in Friedrichshain betreibt, hat hingegen bislang vor allem
       positive Erfahrungen gemacht: „Es vergeht kein Tag, an dem unsere Kunden
       sich nicht nach unseren Familien und unserem Wohlergehen erkundigen“, sagt
       sie der taz. Viele Gäste seien Israelis, im Laden werde Hebräisch
       gesprochen und es laufe israelische Musik. „Natürlich sind wir trotzdem
       wachsam und checken jeden Morgen sorgfältig, ob irgendetwas passiert ist.“
       
       ## Antisemitische Angriffe auf linke Kneipen
       
       Antisemitische Angriffe gab es unterdessen auch auf nicht-israelische
       Läden: Vergangenen Freitagabend etwa gab es einen antisemitischen Vorfall
       in der Neuköllner Kneipe Bajszel. Nach Angaben der Betreiber soll eine Frau
       beim Verlassen des Ladens ein Poster eines von der Hamas verschleppten
       Opfers abgerissen und sich antisemitisch geäußert haben. Der Vorfall zeige
       „die Normalität des Alltagsantisemitismus, der absolut schamlos und
       selbstbewusst auftritt“, heißt es in einem Statement der Kneipe. Wo immer
       diese Poster aufgehängt würden, sei jemand zur Stelle, um sie wieder
       abzureißen.
       
       Auch am Neuköllner Café-Kollektiv K-fetisch gab es antisemitische
       Schmierereien. Die Kneipe reagierte darauf mit einem eher kruden Statement,
       in dem sie sich allgemein von Antisemitismus distanzierte und gleichzeitig
       die „systematische Ermordung der palästinensischen Bevölkerung durch den
       israelischen Staat“ kritisierte. Außerdem hätten die Täter*innen die
       falschen Lokalität getroffen: „Wir sind kein antideutscher Laden“, heißt
       es. Als antideutsch gelten linke Gruppen, die Antisemitismus und die
       Erinnerung an die Shoah als einen Hauptfokus antifaschistischer Arbeit
       verstehen und sich deswegen als israelsolidarisch verstehen.
       
       9 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nahost-Konflikt-in-Berlin/!5966173
 (DIR) [2] https://www.sueddeutsche.de/politik/antisemitismus-straftaten-deutschland-anstieg-1.6298824
 (DIR) [3] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-11/lagebild-antisemitismus-2023-felix-klein
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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