# taz.de -- Kulturarbeit für Saudi-Arabien: Von der Wüste geblendet
       
       > Aufträge und Aufmerksamkeit verspricht die Kulturpolitik Saudi-Arabiens.
       > Dabei fehlt oft der Blick auf die Menschenrechte im autoritären Regime.
       
 (IMG) Bild: Verspiegelte Halle in der saudi-arabischen Ruinenstadt Al-’Ula: hier lief die Show von Andy Warhol
       
       Shame on the Sacklers – Schande über die Sacklers“: Der Slogan, unter dem
       es der Kampagne der [1][Fotografin Nan Goldin gelang, die Pharmadynastie
       Sackler als Sponsoren aus US-Museen] zu vertreiben, gilt als epochaler
       Erfolg bei dem Ringen um einen ethisch verantwortlichen Kunstbetrieb. Es
       schmälert den Erfolg, wenn diese erkämpften Standards nur selektiv gelten.
       Nehmen wir den Fall von Ute Meta Bauer.
       
       Die deutsche Kunstwissenschaftlerin ist ein big shot des internationalen
       Kunstbetriebs. Bauer arbeitete 2002 für [2][Okwui Enwezor]s documenta 11,
       2004 kuratierte sie die 3. Berlin Biennale. Bauer war Professorin in Wien
       und am renommierten Massachusetts Institute for Technology (MIT) nahe
       Boston. Seit 2013 leitet sie das Center for Contemporary Art in Singapur.
       Sie gehörte auch [3][zur Findungskommission der documenta fifteen], die das
       umstrittene indonesische Kurator:innen-Kollektiv ruangrupa für Kassel
       vorschlug.
       
       Wie kann es sein, dass sich diese Frau nun in Saudi-Arabien verdingt?
       Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit war sie im März zur Kuratorin
       der zweiten Diriyah Biennale berufen worden, die kommenden Februar in Riad
       eröffnen soll.
       
       Die vor drei Jahren gegründete Kunstbiennale, benannt nach dem historischen
       Vorort Riads, in dem sie stattfindet, war auf Geheiß von Kronprinz Mohammed
       bin Salman gegründet worden, dem De-facto-Herrscher seines Königreichs.
       Neben Autorennen und Popkonzerten von Alicia Keys über David Guetta bis
       Mariah Carey [4][spielt bildende Kunst eine zentrale Rolle in der „Vision
       2030“, mit der der 39-jährige Monarch bin Salman sein Land reformieren
       will.]
       
       Die erste Ausgabe der Diriyah Biennale hatte im Januar 2022 mit Philip
       Tinari, der diktaturerprobte US-Direktor des UCCA Center in Peking, unter
       dem Titel „Feeling the Stones“ kuratiert. Der Titel spielte auf die „Reform
       und Öffnung“ genannte Transformationsperiode in Deng Xiaopings China nach
       dem Tod Mao Zedongs 1976 an. Die Diriyah Foundation organisiert zudem eine
       Biennale für Islamische Kunst, die in diesem Frühjahr Premiere hatte. In
       Riad wurde mit „Noor Riyad“ das größte Lichtkunstfestival der Welt ins
       Leben gerufen und das Kunstzentrum Fenaa Alawwal eröffnet.
       
       ## Im Sold des Kronprinz Mohammed bin Salman
       
       Im vergangenen Jahr gelang Ute Meta Bauer das Kunststück, [5][in Istanbul
       eine Biennale zu kuratieren], die internationale und türkische
       (Kunst-)Initiativen gegen autoritäre Herrschaft vernetzen sollte. Und nur
       bald darauf stand sie im Solde von Kronprinz Mohammed bin Salman. Des
       Mannes, der kurzen Prozess mit seinen zivilgesellschaftlichen
       Gegner:innen macht, in dessen Reich auf Homosexualität die Todesstrafe
       steht und dem der Auftrag zu dem [6][Mord an dem Blogger Jamal Khashogg]i
       2018 im saudischen Generalkonsulat in Istanbul zur Last gelegt wird.
       
       Das „blood money“, wie es US-Aktivist:innen bei den Sacklers beschrien, es
       klebt auch an der Diriyah Biennale. Man reibt sich die Augen, wer alles
       davon etwas abbekommen will: Das Pariser Centre Pompidou will den Saudis in
       der Wüste beim Bau eines Museums behilflich sein. Das Haus für
       zeitgenössische Kunst soll in der Oase Al-’Ula, 400 Kilometer nordwestlich
       von Medina entstehen, dem Kreuzungspunkt der legendären Weihrauchstraße –
       ein atemberaubender Standort archäologischer Funde aus der vorislamischen
       Zeit.
       
       Die Federführung bei dem Aufbau der Pompidou-Sammlung übernimmt mit
       [7][Iwona Blazwick] die ehemalige Direktorin der Londoner Whitechapel
       Gallery. 2002 war die Britin an die Spitze der 2017 gegründeten
       „Königlichen Kommission für Al-’Ula“ gewechselt.
       
       Die Institution unter dem Schirm der „Vision 2030“ und der Obhut des
       Kulturministeriums zeigt dort alljährlich eine gigantische
       Open-Air-Skulpturenschau. 2022 stellte hier die mit ihren raumgreifenden
       Installationen vom Kunstbetrieb [8][gefeierte deutsche Bildhauerin Alicja
       Kwade] aus, nicht weit entfernt arbeitet der auch in vielen europäischen
       Museen zu sehende US-Lichtkünstler James Turrell an einem Werk für das neue
       „Tal der Kunst“.
       
       Schon im Februar 2022 hatte ausgerechnet die britische Politikerin Nadine
       Dorries, damals Tory-Kulturministerin, am Rand der [9][ersten Diriyah
       Biennale] ein „Memorandum of Understanding“ mit ihrem saudischen
       Amtskollegen, Prinz Farhan al-Saud, unterzeichnet. „Kultur hat die Macht,
       Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zu vereinen, und dieses neue
       Abkommen wird unsere Verbindungen in den Bereichen Film, Museen und
       Kulturerbe stärken“, twitterte damals beseelt die britische Politikerin.
       Die Menschenrechte erwähnte sie nicht.
       
       ## Keine sexuellen Anspielungen
       
       Das Andy Warhol Museum in Pittsburgh zeigte in diesem Februar eine auf jede
       sexuelle Anspielung verzichtende Schau des schwulen Pop-Künstlers in der
       Kunsthalle Maraya mitten in der Wüste bei Al-’Ula. „How not to artwash
       Saudi Arabia’s gruesome Human Rights Record“, kritisierte Sarah
       Lea-Wilson, die Chefin der von Jamal Khashoggi gegründeten NGO Democracy
       for the Arab World Now (Dawn) die von Museumsdirektor Philip Moore
       kuratierte Warhol-Schau scharf.
       
       In den Schatten stellt aber alle diese Projekte die Kunststadt „Neom“. Das
       Siedlungsprojekt auf 26.500 Quadratkilometern im Nordwesten Saudi-Arabiens
       an der Küste des Roten Meeres umfasst unter anderem die 170 Kilometer
       lange, 200 Meter breite und 500 Meter hohe Bandstadt „The Line“. „Hier
       entsteht ein Platz für die Träumer einer neuen Welt“, beschied Kronprinz
       bin Salman die Kritiker:innen dieser „vertikalen Stadt“. Sie soll 500
       Milliarden US-Dollar kosten, fast so groß wie Belgien werden, 9 Millionen
       Menschen beherbergen, im Jahr 2030 öffnen und bis 2045 angeblich
       klimaneutral sein.
       
       Einheimische Kritiker dieser von Kronprinz bin Salman euphorisch
       „Revolution der Zivilisation“ genannten Einheit wurden allerdings rabiat
       vom Feld geräumt. Einer von rund 20.000 Beduin:innen, deren Unterkünfte
       zwangsgeräumt wurden, wurde von Regierungskräften getötet. 2022 wurden drei
       protestierende Bewohner zum Tode und weitere zu langjährigen Haftstrafen
       von bis zu 50 Jahren verurteilt. Trotz des rigiden Vorgehens der saudischen
       Behörden beteiligt sich die internationale Architekten-Community
       bereitwillig an dem Bauvorhaben.
       
       Dazu gehören Büros wie das des tansanischen Stararchitekten David Adjaye,
       der kürzlich auch wegen Missbrauchsvorwürfen in die Kritik geraten war.
       Aber auch die östereichischen Dekonstruktivismus-Avantgardisten um Coop
       Himmelb(l)au und das US-Büro Morphosis sind dabei. Schon 2018 hatte sich
       dagegen Sir Norman Foster, Architekt der Berliner Reichstagkuppel, unter
       Hinweis auf den Khashoggi-Mord aus dem Beratungsgremium des gigantischen
       Projekts zurückgezogen.
       
       Gemessen an dem „Sackler-Standard“ der moralisch einwandfreien
       Kollaboration hätte Ute Meta Bauer überhaupt nie in Riad anheuern dürfen.
       Alle, die schon mal in Saudi-Arabien waren, können zwar die Argumente von
       der „Gesellschaft im Umbruch“ und dem „Saudi im Wandel“ nachvollziehen, zu
       denen Bauer beitragen will, wie sie nach langem Schweigen nun in Interviews
       erklärt. Junge Künstler:innen haben in Saudi-Arabien einen größeren
       Spielraum als noch vor wenigen Jahren.
       
       ## Enge Grenzen der Diskurse
       
       Doch wenn Bauer Reportern gegenüber zugibt: „Man darf keine anderen
       Religionen promoten oder keine sexuellen Inhalte zeigen“, wird
       offensichtlich, welch enge Grenzen ihrem Versuch gesetzt sind, „kritische
       Diskurse zu entwickeln“. Und der gewandelte soziokulturelle Kontext ändert
       nichts an der Tatsache, dass die Biennale unter der direkten Kontrolle des
       kompromittierten Kronprinzen steht und von ihm bezahlt wird. Gemessen an
       dem Blutzoll, den die Reformen bin Salmans bei allen neuen Freiheiten das
       Land auch gekostet haben, wäre der Monarch der saudische Sackler.
       
       Lässt sich in einem solchen Kontext die Freiheit von Kunst wahren? Oder
       unterstützt diese ästhetische Kollaboration das Artwashing von Diktaturen?
       Und jetzt, wo in Nahost ein Krieg ausgebrochen ist, kann Bauer in
       Saudi-Arabien dann noch eine Biennale kuratieren, während der Kronprinz als
       Zeichen der Solidarität mit den Palästinensern offenbar die Normalisierung
       der Beziehungen mit Israel auf Eis legt?
       
       Danach zu fragen, hat nichts mit Gesinnungsschnüffelei zu tun. Es geht auch
       nicht darum, die zarten Pflänzchen für Demokratisierung und Kulturaustausch
       auszutreten, als die Museen und Biennalen gerade in autoritären Staaten
       wirken können. Doch wenn die Frage nach der Ethik der Kollaboration ernst
       gemeint ist, sollten sie nicht nur bei den Sacklers gestellt werden. Oder
       wenn die italienische Regierung einen Rechtspopulisten als neuen
       Präsidenten der Venedig-Biennale durchdrückt.
       
       Schon jetzt verpflichten diverse UN-Prinzipien Unternehmen wie Museen bei
       ihren Aktivitäten in sensiblen Regionen, die Lage der Menschenrechte zu
       bedenken. Auch in Riad muss die Frage nach der moralischen Verantwortung
       von Kunst und Kurator:innen gestellt und beantwortet werden. Wenn der
       Kunstbetrieb als moralische Avantgarde ernst genommen werden will, darf er
       nicht mit zweierlei Maß messen.
       
       5 Nov 2023
       
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