# taz.de -- Performance im Selbstversuch: Wahrheit oder Pflicht?
       
       > Das Museumsquartier Osnabrück hat zu einer interaktiven Performance mit
       > Spielkarten geladen. Ein Selbstversuch in Sachen Mut und Ehrlichkeit.
       
 (IMG) Bild: Die Regeln sind leicht, dafür sind die Entscheidungen aber umso schwerer: Kartenspiel-Performance im Museumsquartiert Osnabrück
       
       Es gibt da ja dieses Bildungsbürgerwort: Finissage. Eine Ausstellung geht
       zu Ende, und ein paar besonders enthusiastische Kultur-Insider
       demonstrieren einander, wie gut sie sie verstanden haben. Fast immer gibt
       es dabei eine kleine Rede, oft auch Sekt, zuweilen sogar Häppchen.
       
       Als am 7. Januar [1][im Museumsquartier (MQ4) Osnabrück] die Ausstellung
       „#nicht müde werden. Felix Nussbaum und künstlerischer Widerstand heute“ zu
       Ende geht, ist das anders: [2][Das „Stadtensemble Generationen“] des
       Theaters Osnabrück fordert zu einer interaktiven Performance heraus. Wer
       die Herausforderung annimmt, braucht Mut zur Offenheit, muss Haltung
       zeigen.
       
       Abgeschirmt durch die modularen Bauobjekte einer labyrinthischen
       Rauminstallation von Andreas Angelidakis stehen im Forum des MQ4 fünf
       Tischchen. Am Eingang, einem abstrahierten Schaumstoffrundbogen, der
       aussieht wie prähistorisch, hängen fünf Fotos. Ich nehme mir eins. Suche
       den Darsteller, den es zeigt. Setze mich zu ihm.
       
       Zwischen uns liegt ein Kartenset. Museum und Theater haben es entwickelt,
       als einen „Impuls zum (Mit-)Fühlen, (Mit-)Denken, (Mit-)Handeln im Alltag“,
       anknüpfend an [3][die Themen der Ausstellung]. Zettel liegen bereit, ein
       schwarzer Blei- und ein roter Buntstift, ein Anspitzer. Okay, dann los.
       
       ## Die Regeln sind einfach
       
       Uli erklärt die Regeln. Abwechselnd werden Karten gezogen, auf denen Fragen
       oder Aufgaben stehen. Wer antwortet, verschweigt dabei die Frage. Wenn eine
       Frage nicht gefällt, passt man oder gibt sie dem Gegenüber. Wer einen Cut
       einbauen will, zieht eine „Störer“-Karte. Wer das Spiel beenden will, gibt
       Applaus. Uli fängt an. Zieht eine Karte, denkt kurz nach, schreibt
       „Freiheit“ auf einen Zettel und schiebt ihn mir rüber. Mir sollen drei
       Wörter zu Uli einfallen. Ich schreibe: „Offen. Nachdenklich. Achtsam.“
       
       Ohne Authentizität geht das nicht. Auch nicht ohne Spontaneität. Ich soll
       einen Song summen, der mich an Widerstand denken lässt. Ich entscheide mich
       für das antifaschistische Partisanenlied „Bella ciao“. Ich soll Antworten
       geben auf Fragen wie „Welche Regeln brauchen wir?“, „Wie zeigst du
       Ablehnung?“, „Wofür hast du dich das letzte Mal geschämt?“. Dann soll ich
       etwas Unerwartetes tun, mich selbst überraschen.
       
       Ich nehme den schwarzen Bleistift und steche mir in den Zeigefinger. Ist
       das symbolistisch genug? Das politisch Schwarz-Rechte, als Bedrohung? Ist
       es. Die Karten triggern bei Uli und mir ein Gespräch über Kultur und
       Politik, über Ängste und Hoffnungen. Momente großer Nähe entstehen.
       
       Alle Karten durchzuspielen geht leider nicht; es sind über hundert.
       Außerdem ist die Warteschlange am Eingang lang und die Performance nur drei
       Stunden kurz.
       
       Gern hätte ich auf „Was würdest du gern sabotieren?“ geantwortet. Schade,
       diese Karte geht an mir vorbei. Auch „Besetze den Raum!“ wäre spannend
       gewesen. Ich muss auch keine rote Linie zeichnen und erklären, für was sie
       steht, warum sie nicht überschritten werden darf.
       
       ## Hürden im Kopf
       
       Jede Reaktion kostet Überlegung, manche Überwindung. Nicht jeder wird
       preisgeben wollen, ob er schon mal verhaftet wurde und warum. Nicht jeder
       möchte laut rufen: „Ich bin dagegen!“ An den Tischchen entwickeln sich
       intensive Gespräche. Der Dagegen-Ruf ist zu hören, das Sammeln unterbleibt.
       
       Eine der schwersten Aufgaben: „Schließe die Augen. Stell dir vor, du bist
       an einem Ort deiner Wahl. Wie klingt der Ort? Versuche, es mit dem Material
       um dich herum nachzumachen.“ Ich weiß nicht, was Uli versucht hätte. Ich
       hätte Papier zerknüllt, als Meeresgischt.
       
       Auch „#nicht müde werden“ hat Fragen gestellt. Nach dem Widerstand in der
       Kunst, der Kunst des Widerstands, der Kunst als einem Mittel des
       Widerstands. Im Kartenset kulminiert das. Und das ist viel besser als Rede,
       Sekt und Häppchen.
       
       Zurück bleiben Tausende Zettelchen, beschrieben von Besuchern. Zur Frage
       „Wofür trittst du ein?“ haben viele für Freiheit und Frieden votiert,
       Toleranz und Liebe. Aber dort steht auch: „Für die AfD!“ Uli und ich sind
       uns einig, was wir davon halten.
       
       17 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.museumsquartier-osnabrueck.de/
 (DIR) [2] https://www.theater-osnabrueck.de/partizipation/stadtensembles/
 (DIR) [3] https://www.museumsquartier-osnabrueck.de/ausstellung/felix-nussbaum-und-kuenstlerischer-widerstand-heute/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Harff-Peter Schönherr
       
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