# taz.de -- Flucht übers Mittelmeer: Die paar Leichen am Strand
       
       > In Deutschland demonstrieren Hunderttausende gegen rechtsextreme
       > Deportationsfantasien. Zeitgleich stranden Leichen vor Luxushotels in der
       > Türkei.
       
 (IMG) Bild: Das ägäische Meer brandet an die türkische Küste
       
       Die Meldungen häufen sich dieser Tage in den türkischen Medien: Zuerst
       waren es drei Leichen an Strandabschnitten von Luxushotels in Antalya. Dann
       kamen weitere im benachbarten Manavgat und Side dazu. Am Montag wurden auch
       noch zerstückelte Leichen weiter westlich im Bezirk Muğla gefunden. [1][In
       sechs Tagen sind es nun neun Leichen.]
       
       Nach erstem Rätselraten über die Herkunft der Toten haben türkische
       Forensiker jetzt anhand der Kleidung festgestellt: Bei den Toten handelt es
       sich wohl – mit einer Ausnahme – um Frauen und Männer, die ursprünglich aus
       Syrien gekommen sind. Vermutlich Geflüchtete. Und dann äußerte sich auch
       endlich der libanesische Botschafter in Ankara und sagte den türkischen
       Zeitungen, dass am 11. Dezember an der libanesischen Küste ein
       Flüchtlingsboot mit rund 90 Leuten abgelegt habe, zu dem wenig später der
       Kontakt abgerissen sei. Wind und Strömung der vergangenen Woche sprächen
       dafür, dass nun, einen Monat später, die Überreste der ertrunkenen
       Flüchtlinge an die türkische Küste gespült werden. Es können also noch mehr
       werden.
       
       Bisher war es vor allem Plastik und anderer Wohlstandsmüll, der die Strände
       der Luxushotels verunreinigte. Jetzt werden menschliche Überreste
       angespült. Flüchtlinge aus Syrien, im Jahr 2015 in Deutschland noch
       willkommen geheißen. Grund dafür ist auch die europäische
       Flüchtlingspolitik. Das sei ja wohl übertrieben, wird es nun in Europa
       heißen, das will doch niemand.
       
       Im Gegenteil, der Sinn der europäischen Flüchtlingspolitik sei es doch, den
       Schleusern das Handwerk zu legen. [2][Bei der Premiere des „Caren
       Miosga“-Sonntagabend-Talks] erwähnte Oppositionsführer Friedrich Merz in
       einem Nebensatz, dass Dänemark mit seiner vorbildlichen Abschottungspolitik
       auch SyrerInnen wieder abschieben würde. Und auch die AfD betont, der Krieg
       sei ja vorbei.
       
       ## Hoffen vor der Urlaubssaison
       
       Dass in Syrien nach wie vor bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschen und
       das zerstörte Land seine Bewohner längst nicht mehr ernähren kann,
       interessiert kaum noch jemanden. Muss man die Leichen vom Strand eben
       wegschaffen und darauf hoffen, dass, wenn die Urlaubssaison wieder beginnt,
       keine neuen Leichen angeschwemmt werden.
       
       Welche Konsequenzen der technokratisch-kalte Diskurs über die effiziente
       Begrenzung der „illegalen Migration“ hat, berührt kaum noch jemanden in
       Europa.
       
       [3][Seit zwei Wochen wird in Deutschland nun glücklicherweise massenhaft
       gegen die AfD und die allgemeine Rechtsentwicklung demonstriert]. Von so
       vielen Menschen, dass die Demos abgebrochen werden. Der Grund dafür ist
       eine Veröffentlichung über ein Treffen verschiedener Rechtsradikaler in
       Potsdam, wo im Stile der Wannseekonferenz über die Deportation von
       Millionen Menschen, die den arischen Weißen nicht passen, verhandelt wurde.
       
       Das ist gut und unendlich wichtig. Viele Menschen sind aufgerüttelt und
       endlich stehen sie auf gegen die rechtsradikalen Abschiebefantasien einer
       gefährlichen Minderheit. Hoffentlich entsteht daraus eine echte
       zivilgesellschaftliche Bewegung, die dem Höhenflug der AfD bei den
       bevorstehenden Wahlen ein Ende bereitet.
       
       Ganz toll wäre es, wenn diese zivilgesellschaftliche demokratische Bewegung
       sich auch noch daran erinnert, dass es außer den von Rechtsradikalen
       bedrohten Menschen in Europa auch außerhalb Europas, von den Kriegsgebieten
       im Nahen Osten bis nach Afghanistan, nach wie vor viele Menschen gibt, die
       unbedingt unsere Hilfe brauchen, um nicht als Leichen an den Stränden von
       Luxushotels zu landen.
       
       23 Jan 2024
       
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