# taz.de -- Aus für Tempo-30-Abschnitte: Bessere Luft mit Nebenwirkungen
       
       > Laut Senatsverkehrsverwaltung ist die Rückkehr zu Tempo 50 an
       > Hauptstraßen rechtlich geboten. Umwelt- und Mobilitätsverbände sehen das
       > anders.
       
 (IMG) Bild: Die Radspur kann bleiben, Tempo 30 nicht: der Tempelhofer Damm
       
       BERLIN taz | Die Ankündigung von Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU),
       auf 34 Abschnitten von Hauptverkehrsstraßen die geltende Beschränkung auf
       Tempo 30 aufzuheben, hat bei Umwelt- und Mobilitätsorganisationen für
       Aufruhr gesorgt. Aus der Verkehrsverwaltung heißt es dazu nun:
       [1][Rechtlich ist der Schritt unvermeidlich.] KritikerInnen sind dennoch
       der Ansicht, dass die Behörde ihre Ermessensspielräume stärker ausschöpfen
       könnte – nicht nur, um bessere Luft, sondern auch weniger Lärm und mehr
       Sicherheit zu garantieren.
       
       Auf vielen der betroffenen Straßenabschnitte wurde unter Schreiners
       Vorvorgängerin Regine Günther (Grüne) Tempo 30 angeordnet. Darunter sind
       etliche kürzere Strecken – wie die Neuköllner Erkstraße oder die
       Schöneberger Martin-Luther-Straße zwischen Lietzenburger und Motzstraße –,
       aber auch längere wie die Verbindung Leipziger Straße – Potsdamer Straße –
       Hauptstraße oder der mittlere Teil des Tempelhofer Damms. Mit dem
       Herunterbremsen soll nun Schluss sein.
       
       Bereits vor gut einem Monat war CDU-Fraktionschef Dirk Stettner in der
       Sache vorgeprescht. In einem [2][Papier für seine eigene Fraktion] hielt
       Stettner fest: „Ein flächendeckendes Tempolimit von 30 km/h mag die
       Fantasie einiger selbsternannter Verkehrserzieher beflügeln. Berlins
       Hauptstraßen sind aber nicht Fantasia, sondern haben eine wichtige
       Funktion.“ Verkehrssenatorin Schreiner zieht nun nach, wenn auch in einer
       komplett anderen Tonlage.
       
       So argumentiert Schreiner, dass Tempo 30 hier auf Grundlage des Berliner
       Luftreinhalteplans von 2019 angeordnet wurde. Ziel des Plans: die
       Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub, die von der
       EU-Luftqualitätsrichtlinie vorgegeben und in Deutschland durch die
       Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz rechtsgültig gemacht werden.
       Weil die Messwerte seit Jahren unter den Grenzwerten liegen, lasse sich
       Tempo 30 nicht mehr rechtssicher beibehalten.
       
       ## Dreckausstoß deutlich reduziert
       
       Die verbesserte Luftqualität ist dabei nicht nur ein Erfolg von Tempo 30,
       sondern auch der Tatsache geschuldet, dass Pkws, Lkws und Linienbusse
       mittlerweile deutlich weniger Dreck ausstoßen. Bei BVG-Bussen etwa erfüllte
       vor 10 Jahren noch die Hälfte lediglich die Euro-Abgasstandards 3 oder 4,
       heute sind all diese Fahrzeuge nicht mehr unterwegs, gleichzeitig wird die
       E-Bus-Flotte hochgefahren.
       
       Der BUND verweist darauf, dass die EU auf Empfehlung der
       Weltgesundheitsorganisation WHO strengere Feinstaub-Grenzwerte plant, die
       wieder schärfere Maßnahmen nötig machen werden. Ob das 2030, 2035 oder
       später der Fall sein wird, ist freilich unklar. Schreiners Verwaltung
       betont, „künftige Entwicklungen des EU-Rechts oder die Empfehlungen der
       WHO“ seien „rechtlich nicht anwendbar“. Tempo-30-Anordnungen, die sich auf
       „eigene Grenzwerte oder WHO-Empfehlungen stützen würden, wären
       rechtswidrig“.
       
       BUND, der Verein Changing Cities und der [3][Fußgängerverband FUSS e.V.]
       mahnen aber auch an, dass Tempo 30 weniger Lärm und weniger beziehungsweise
       weniger schwere Unfälle bedeutet. In Sachen Sicherheit könnte sich
       Schreiners Ankündigung, kein Tempo 50 auf Abschnitten anzuordnen, an denen
       Kitas oder Alteneinrichtungen liegen, zumindest in einigen Fällen dann auch
       auswirken. Das wird laut Verkehrsverwaltung gerade geprüft.
       
       Keine Rücksicht wird dagegen auf die Situation von Radfahrenden genommen,
       die sich die Straßen künftig wieder mit schnellerem Autoverkehr teilen
       müssen. Nur an fünf der betroffenen Abschnitte seien mittlerweile gemäß dem
       geltenden Radverkehrsplan Radwege erneuert oder geschaffen worden, so
       Changing Cities. Auf dem Rest erhöhten sich entsprechend wieder die
       Risiken. Das sei, so Sprecherin Ragnhild Sørensen, auch aus Sicht der
       Autofahrenden von Nachteil: „Wer will mit Tempo 50 neben einer*m
       10-Jährigen auf dem Fahrrad fahren? Das ist schlichtweg eine Zumutung.“
       
       Beim Thema Lärm gibt es noch eine Hoffnung: „Zur Lösung lärmbedingter
       Probleme dient der Lärmaktionsplan“, so Schreiners Sprecherin. „Dieser ist
       derzeit in Arbeit und kann durchaus zu anderen Ergebnissen kommen.“ Martin
       Schlegel vom BUND ist zwar der Ansicht, dass der Senat auch schon beim
       letzten Aktionsplan vor dem Problem „kapituliert“ habe. Er fordert die
       BerlinerInnen dazu auf, im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung für die
       aktuelle Fortschreibung des Lärmaktionsplans den Entwurf einzusehen, zu
       kommentieren und, wo nötig, Einwände zu erheben.
       
       5 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /CDU-Vorstoss-fuer-mehr-Tempo-50/!5982293
 (DIR) [3] /Auf-den-Strassen-Berlins/!5985155
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
       
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       30.