# taz.de -- Wiederholungswahl zum Bundestag: 54 Tage im Winter
       
       > Sosehr sich Berlins Landeswahlleiter mühte: Viel Aufmerksamkeit hat die
       > Wiederholungswahl am Sonntag nicht gefunden. Das lag auch an den
       > Parteien.
       
 (IMG) Bild: Wer hier warb – ab Montag eh wieder wurscht
       
       BERLIN Eigentlich ging es in Berlin gerade um ganz andere Dinge: Das
       Abgeordnetenhaus hatte soeben einen stark umstrittenen Haushalt
       beschlossen, zwei Wochen später sollte der Regierungschef bekannt geben,
       dass die Bildungssenatorin seine Freundin ist. In Karlsruhe aber
       [1][entschied am 19. Dezember das Bundesverfassungsgericht], dass die
       Bundestagswahl 2021 in Berlin zumindest teilweise zu wiederholen sei. Es
       folgte der kurios-kürzeste und unauffälligste Wahlkampf der jüngeren
       Berliner Geschichte.
       
       Sollte der später einmal seinen Niederschlag als Buch oder Film finden,
       könnte nach [2][„3 Tage in Quiberon“] und [3][„5 Tage im Juni“] nun „54
       Tage im Winter“ ein passender Titel sein, auch wenn es weder so traurig
       noch so dramatisch zuging. Laut Gesetz musste Landeswahlleiter Stephan
       Bröchler für die Wiederholung einen Termin maximal 60 Tage nach dem Urteil
       suchen – in einem Zeitraum, in den auch die Weihnachts- und die
       Winterferien fallen. Er entschied sich für den letztmöglichen Sonntag, 54
       Tage nach Karlsruhe.
       
       Nach Neujahr durften Plakate hängen, [4][die erste größere
       Wahlauftaktveranstaltung fand erst am 11. Januar statt]. Da versuchte die
       SPD-Bundesspitze, ihre Berliner Kandidaten und Mitgliedschaft wider den
       desaströsen Trend zu motivieren. Lagen die Sozialdemokraten bei der in
       Berlin so vermurksten Wahl im September 2021 noch knapp vor der CDU, sind
       die Christdemokraten aktuell in den meisten Umfragen doppelt so stark wie
       sie. Passenderweise begleitete schlimmstes Glatteis die Teilnehmer auf dem
       Weg ins Kreuzberger Willy-Brandt-Haus. Die selten um eine positive
       Interpretation verlegene Landeschefin Franziska Giffey kommentierte:
       Einmal bei der SPD angekommen, sei man „auf sicherem Boden“.
       
       Außerhalb der Parteizentrale aber ist die Lage für die SPD eher schwieriger
       geworden. Plakatmäßig machte sie es der Wählerschaft in den folgenden
       Wochen auch nicht einfach: Während CDU – „Zeig der Ampel das Stopp-Zeichen“
       – oder AfD – „Jetzt“ – eingängigst formulieren, setzt die SPD auf gleich
       drei inhaltsschwere Aussagen pro Plakat.
       
       ## Sorge um die Wahlbeteiligung
       
       Wahlleiter Bröchler sorgt sich derweil um die Beteiligung: Die lag 2021 in
       Berlin bei 75 Prozent, knapp unterm Bundesdurchschnitt. Nun wären viele
       schon froh, wenn bis Sonntagabend 60 Prozent jener rund 550.000 Berliner
       abstimmen, die diesmal wählen dürfen. Bröchler drängt darauf, ein Zeichen
       für die Demokratie zu setzen, unterstützt das mit Wahlaufrufen von
       Prominenten wie Tim Bendzko [5][und Katrin Sass] – und veröffentlichte vier
       Tage vor dem Wahltag [6][noch ein eigenes Video].
       
       Großveranstaltungen waren in den 54 Tagen dagegen rar, die sonst üblichen
       Spitzenkandidatenrunden gibt es gar nicht. Die Grünen luden in dieser Woche
       mit ihrer Bundesprominenz ins Kultkino Colosseum, die SPD rundet am Freitag
       ihren Wahlkampf ab – wieder im Willy-Brandt-Haus. Und die Spitze der CDU
       wirbt Stunden vorher noch mal am Wittenbergplatz um Stimmen.
       
       Auf den Straßen hält sich die Wahllust in diesen Wintertagen in engen
       Grenzen. „Wenn jetzt Bundestagswahlen wären, wüsste ich nicht, was ich
       wählen sollte“, sagt der taz eine Frau, die vor einem Jahr der niedrigeren
       Miete wegen vom Bötzwoviertel nach Hohenschönhausen umgezogen ist. Nur die
       AfD komme für sie nicht in Frage. Auf Nachfrage stellt sich heraus: Sie hat
       gar nicht mitbekommen, dass und wer wieder zu wählen ist.
       
       Ihr Fall zeigt eine Besonderheit der Wahl, die ja eigentlich eine möglichst
       genaue Wiederholung jener von 2021 sein soll: Im Bötzowkiez wird am Sonntag
       gewählt, wegen des Umzugs ist die Frau dort aber nicht mehr stimmberechtigt
       – und am Wahlverlauf in ihrem neuen Kiez hatte das Verfassungsgericht
       nichts zu bemängeln. Solche Ungerechtigkeiten ließen sich nicht vermeiden,
       sagt Wahlleiter Bröchler.
       
       ## „ Ändert ja doch nichts“
       
       Wahlberechtigt ist eine andere Frau, die die taz in Prenzlauer Berg vor
       zwei einsamen Wahlplakaten von Grünen und Linken befragt. Ob sie ihr
       Stimmrecht nutzt, lässt sie offen – sie zweifelt am Sinn: „Wie ich es
       verstanden habe, könnten die Wahlkreise, die wiederholen müssen, am
       Ergebnis der damaligen Wahl nichts ändern.“
       
       Ein Mann, der seinen Namen mit Wolfgang angibt, will auf jeden Fall wählen
       gehen – die zehn Minuten Fußweg zum Wahllokal nehme er gerne in Kauf. Auch
       an wen seine Stimme geht, sagt er offen: „Ich wähle immer Grün.“ Daran
       ändere für ihn nichts, dass seit 2021 die Zustimmung für die Ampel
       kontinuierlich gesunken ist. „Ich wähle nicht nach Moden und Stimmungen und
       auch nicht nach Menschen“, er entscheide nach dem politischen Programm.
       
       Ein paar Schritte weiter äußert sich ein anderer Mann dann wohl ganz nach
       dem Geschmack von Wahlleiter Stephan Bröchler. „Die ganze Sache ist
       schlecht gelaufen, aber das war’s jetzt auch“, sagt er. „Jetzt geh ich
       wieder wählen und fertig. Keine große Aufregung.“
       
       9 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-119.html;jsessionid=2D747E499421464B5BFD3135DCE16581.internet002
 (DIR) [2] /Berlinale-Biopic-ueber-Romy-Schneider/!5482872
 (DIR) [3] /Stefan-Heym-Keine-DDR-mehr/!1775840/
 (DIR) [4] /Teilwiederholung-der-Bundestagswahl/!5985154
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=OgblElecPgI
 (DIR) [6] https://www.youtube.com/watch?v=aA0RXZ-pBnQ
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Alberti
 (DIR) Clara Suchy
       
       ## TAGS
       
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