# taz.de -- Agrarökonom über Proteste in Europa: „Die Bauern suchen einen Buhmann“
       
       > Die europaweiten Aufstände haben ein gemeinsames Motiv, sagt Agrarökonom
       > Sebastian Lakner: allgemeine Unzufriedenheit und fehlende Visionen.
       
 (IMG) Bild: Klar, wer hier der Schuldige ist: Protestierende Bauern bei einer Straßenblockade am 31. Januar südlich von Paris
       
       taz: Herr Lakner, [1][überall in Europa sind Landwirt:innen auf der
       Straße]. Haben sie ein gemeinsames Motiv? 
       
       Sebastian Lakner: Der Anlass war zumindest in Deutschland und Frankreich
       ein ähnlicher: Beide Male ging es um eine [2][geplante Abschaffung der
       Erstattung bei Agrardiesel]. Auch das große Motiv dahinter in beiden
       Ländern besteht in einer allgemeinen Unzufriedenheit. Und das speist sich –
       was ich in Teilen nachvollziehen kann – aus den ökonomischen
       Schwierigkeiten in Teilen der Landwirtschaft, Wettbewerbsverzerrungen
       innerhalb der EU und der Bürokratie. Kritischer finde ich die weitgehende
       [3][Ablehnung von Freihandelsabkommen] und des [4][Green Deals der
       EU-Kommission], die aber meines Erachtens vor allem aus Frankreich kommen.
       
       Das heißt, Landwirt:innen sind nicht grundsätzlich existenzgefährdet? 
       
       Nein, wir haben [5][viele Betriebe, die ökonomisch sehr gut klar kommen]
       und sich auf die Herausforderungen eingestellt haben. Die beteiligen sich
       teilweise auch gar nicht an den Protesten – das ist ja tatsächlich nur ein
       kleiner Teil. Wir haben aber auch viele Betriebe, die eigentlich schon
       lange nicht mehr wettbewerbsfähig sind und bislang nur durch Subventionen
       über Wasser gehalten wurden. Auch wenn es brutal klingt, aber das ist
       leider Teil des Marktprozesses.
       
       Dafür sind die Protestformen ganz schön radikal. Brennende Reifen,
       Blockaden mit riesigen Maschinen wirken ziemlich martialisch. Trotzdem
       scheint es, als gebe es eine große Solidarität mit den Landwirt:innen.
       Woher kommt die? 
       
       Das nehme ich gar nicht unbedingt so wahr. Vielleicht am ehesten noch in
       Frankreich, wo man eine andere Streikkultur hat. Aber gerade dort sind eine
       Reihe von Problemen hausgemacht:, Die französische Regierung setzt stärker
       auf [6][sogenannte gekoppelte Zahlungen, also Subventionen, die daran
       gekoppelt sind, wieviel produziert wird] und nicht, wie gut beispielsweise
       Naturschutzleistungen sind. Deshalb wird zu viel produziert und das drückt
       die Preise, was wenig wettbewerbsfähige Betriebe unter Druck setzt. Und
       diese Wut bricht sich jetzt Bahn. Insgesamt sehe ich aber überall gerade in
       Deutschland aber einen großen Respekt vor der harten Arbeit auf den Höfen
       und Äckern. Wenn die Demonstrant:innen Verständnis für ihre Lage
       gewinnen wollen, dann passt das nicht mit Blockaden und Galgen zusammen.
       Die Mehrzahl ist nicht martialisch, sondern kritisch gegenüber
       Demokratiefeindlichkeit und rechten Übernahmeversuchen, die es ja vielfach
       gibt.
       
       Aktuell richten sich die Proteste vor allem gegen Brüssel. Sitzen dort die
       richtigen Ansprechpartner? 
       
       Ich hab den Eindruck, man sucht eher einen Buhmann, gegen den man gemeinsam
       demonstrieren kann, um so noch mehr Schlagkraft zu entwickeln. Die
       Kommission selbst wird ja gar nicht mehr viel machen können, da wir dieses
       Jahr Europawahlen haben und Ihre Amtszeit endet.
       
       Es sieht doch so aus, als gebe es von dort Zugeständnisse: Getreideimporte
       aus der Ukraine sollen nicht mehr lange zollfrei, also verbilligt sein. Und
       Umweltauflagen wie die, dass bestimmte Flächen für den Artenschutz frei
       gehalten werden müssen, könnten verschoben werden. 
       
       Damit wird sich der Protest aber nicht abkochen lassen. Es ist, als ob die
       Titanic untergeht und die Kommission wirft zwei Rettungsringe hinterher.
       
       Das waren doch Forderungen der Protestierenden. 
       
       Aber es war von vornherein eine sehr grobschlächtige Argumentation. Die
       Getreideimporte aus der Ukraine sind gar nicht so ein Problem, weil die
       Marktpreise in der EU ganz gut sind. Der Verzicht auf die Brachflächen ist
       aus Sicht des Naturschutzes extrem ärgerlich und wird die Proteste nicht
       beenden. Die Proteste zeigen, dass die [7][Kommission mit ihrer
       Farm-to-fork-Strategie] bislang gescheitert ist.
       
       Was müsste denn eigentlich passieren? 
       
       Wir brauchen sowohl in der EU als auch in den Mitgliedsstaaten eine
       mehrheitsfähige Vision zur Zukunft der Landwirtschaft – und auch Wege, wie
       wir dorthin kommen. Ich glaube, dazu gehören weniger Ordnungsrecht und mehr
       Förderanreize. Es muss inhaltlich mehr Freiraum für betriebswirtschaftliche
       Entscheidungen geben – und die Politik muss Angebote machen für
       Klimaschutzleistungen, für [8][Tierwohl], für Artenschutz.
       
       2 Feb 2024
       
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