# taz.de -- Konservative Medien zu Massenprotesten: Wenn Alarmisten beschwichtigen
       
       > Für die rechtskonservative Presse sind die Proteste aus der Mitte der
       > Gesellschaft einfach nur naiv. Ihr Framing hat aber einen ironischen
       > Twist.
       
 (IMG) Bild: Tausende ziehen bei einer Demo gegen rechts am 2. März in Duisburg durch die Stadt
       
       Konservativen gefällt die Erzählung von der „schweigenden Mehrheit“. Sie
       bemühen sie gern, wenn es um die Zurückweisung progressiver politischer
       Forderungen geht. Sei es die Ablehnung des Genderns, die Skepsis gegenüber
       Transgender-Themen oder die Opposition gegen „Wokeness“: Stets vermuten
       Autor*innen rechts der Mitte den Großteil der Bevölkerung auf ihrer
       Seite. Sie zeichnen das Bild eines bodenständigen Volkes, das noch weiß,
       was normal ist – ganz im Gegensatz zu einer abgehobenen linken Elite, deren
       „woke“ Ideologie im Widerspruch zu den (konservativen) Werten der Mehrheit
       steht.
       
       Nun sind seit Mitte Jänner – nach den Enthüllungen des Recherchenetzwerks
       Correctiv über ein rechtsextremistisches Geheimtreffen mit AfD-Beteiligung
       – mehr als zwei Millionen auf die Straße gegangen, um „gegen rechts“ zu
       demonstrieren. Die [1][aktuellen Demonstrationen zählen zu den größten, die
       Deutschland je gesehen hat], und passen rechtskonservativen
       Journalist*innen nicht ins Konzept. Ein Protest gegen rechts aus der
       Mitte der Bevölkerung und in dieser Dimension ist nicht so leicht
       kleinzureden.
       
       Wie es Welt, NZZ und Cicero trotzdem versuchen, soll im Folgenden
       analysiert werden.
       
       Das Ausmaß der Demos wird in aller Regel nicht relativiert, zu
       beeindruckend ist die Zahl der Teilnehmer*innen. Allein Marc Felix Serrao
       von der NZZ hält tapfer dagegen und scheitert spektakulär: „Aber die
       allermeisten der 83 Millionen Deutschen sind zu Hause geblieben.“ Wir
       lernen: Solange nicht zumindest die Hälfte der Bevölkerung auf der Straße
       protestiert, ist Herr Serrao nicht überzeugt. „Deutschland fühlt sich
       super. Also zumindest der Teil, der am Wochenende zu Hunderttausenden auf
       die Straße ging, um gegen rechts oder rechtsextrem aufzustehen.“
       
       ## Eigenartige Fokussierung
       
       Es fällt auf, wie häufig betont wird, dass sich die Demonstrant*innen
       angeblich für etwas Besseres halten. Von „moralischer Überheblichkeit“ wird
       geschrieben und in Anlehnung an den altbekannten „Gutmenschen“ vom
       „Gutbürger“ berichtet. Die Demos seien „ein Hochamt der
       Selbstgerechtigkeit“, auf dem sich die „guten Deutschen […] für ihre
       gerechte Empörung über die andern, die bösen Deutschen, gefeiert“ haben.
       Unter ihnen scheint zu gelten: „Nur der linke Demokrat ist ein guter
       Demokrat.“
       
       Diese Fokussierung auf ein unterstelltes Überlegenheitsgefühl der
       Demonstrant*innen ist eigenartig, da sie nichts zur Sache tut: Sollten
       sie sich tatsächlich besser fühlen – würde das ihre Standpunkte in
       irgendeiner Weise schwächen? Ich möchte das bestreiten. Ein Anliegen ist
       nicht weniger berechtigt, nur weil dessen Vertreter möglicherweise mit
       einem erhobenen Zeigefinger nervt.
       
       Der Moralismusvorwurf ist in rechten Diskursen zumeist mit der Behauptung
       verknüpft, dass die Linke von einer gewissen Unbedarftheit gekennzeichnet
       sei. Die aktuellen Kommentare bilden hier keine Ausnahme: Für die
       Demokratie auf die Straße zu gehen sei „einerseits begrüßenswert,
       andererseits aber mutet es naiv an“. Denn: „die Demonstranten [scheinen]
       ernstlich zu glauben, ein ‚Zeichen gegen rechts‘ würde die Zustimmung zur
       AfD schrumpfen lassen“. Doch „Gesinnungen verschwinden nicht, nur weil man
       sie ächtet“. „Wer glaubt, dass eine Demo gegen ‚rechts‘ die AfD bekämpft,
       scheitert.“
       
       Im Unterschied zu klarsichtigen Beobachtern wie Ulf Poschardt (Welt) und
       [2][Eric Gujer (NZZ)] seien die „Gutbürger“ demnach von „magischem Denken“
       beeinträchtigt.
       
       Die Demonstrant*innen, die aktuell auf die Straße gehen, werden zwar als
       naiv dargestellt, ein bisschen fürchten soll sich die Leserschaft aber
       trotzdem: Es wird mehrfach von „linken bis linksextremen Demos“ berichtet
       und ein „brachialer Anti-AfD-Furor“ konstatiert.
       
       Folgt man den Kommentaren in Welt, NZZ oder Cicero, wird die Gefahr von
       rechts schwer überschätzt. Es sei „abwegig“, sich davor zu fürchten, dass
       [3][die AfD die Demokratie gefährde]. Bei den aktuellen Demos herrsche
       [4][eine „teutonische Überhitzung“], die Demonstrant*innen seien von
       „Angstlust“ getrieben.
       
       Um die Protestierenden möglichst hysterisch erscheinen zu lassen, werden
       diesen maximal dramatisierende Standpunkte angedichtet: Das Duell laute
       angeblich „Freie Welt gegen Viertes Reich“.
       
       Die Ironie an den Beschwichtigungen von Welt, NZZ, Cicero & Co.: Jahrein,
       jahraus schrillen dort die Alarmglocken, weil Political Correctness,
       Wokeness und Ähnliches vermeintlich unsere Freiheit bedrohten. Jetzt
       hingegen verkündet [5][Welt-Chefreporterin Anna Schneider]: „Die Demokratie
       ist kein so schwaches Pflänzchen.“
       
       ## Augenfällig viel Verve bei der Kritik
       
       Alles in allem zielen die Kommentare zu den Anti-AfD-Demos in diesen Medien
       darauf ab, das starke Zeichen, welches die bürgerliche Mitte hier setzt, zu
       schwächen, indem sie die Teilnehmer*innen der Demos aufs Korn nehmen:
       Diese sollen überheblich, moralisierend, naiv und hysterisch erscheinen.
       Als könnten Menschen, die gegen einen Rechtsruck der Gesellschaft auf die
       Straße gehen, nicht ernst genommen werden.
       
       Der Auslöser der Demos – das Treffen in Potsdam mit AfD-Beteiligung, bei
       dem die Deportation von Millionen Menschen diskutiert wurde – soll
       folgerichtig ein wenig von seinem Schrecken verlieren. Für die
       rechtskonservative Presse ist es ein Ding der Unmöglichkeit, den
       eindrucksvollen, friedlichen Protest aus der Mitte der Gesellschaft einfach
       nur anzuerkennen. Also macht sie, was sie immer macht, wenn sie keine
       Argumente hat: Sie bastelt einen Strohmann und attackiert ihn – so etwa
       nach dem Motto: Die AfD wiederum ist ein bisschen auch ein Opfer,
       schließlich wird sie „dämonisiert“.
       
       Welt, NZZ und Cicero kritisieren die Demonstrationen mit so viel Verve,
       dass ich etwas erstaunt den Schluss ziehen muss: die Proteste gegen rechts
       irritieren sie mehr als die „angeblichen Deportationspläne“.
       
       4 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] /Acht-Tipps-zum-Umgang-mit-der-AfD/!5284653
 (DIR) [4] https://www.nzz.ch/der-andere-blick/demos-gegen-rechts-man-kann-die-afd-kritisieren-ohne-sie-zu-daemonisieren-ld.1775862
 (DIR) [5] https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus249678568/Anna-Schneider-zu-Anti-AfD-Demos-Schoene-neue-moralische-Beseeltheit.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Rusch
       
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