# taz.de -- Gedenkkonkurrenz in Lübeck: Das kannst du besser!
       
       > Vor 30 Jahren brannte es in Lübecks Synagoge, Anfang 1996 fielen zehn
       > Menschen einem Anschlag zum Opfer. Beides zu würdigen, gelang jetzt nur
       > so lala.
       
 (IMG) Bild: 30 Jahre später: Demonstration zum Gedenken an den Synagogen-Brandanschlag in Lübeck
       
       Sie meinen es alle nur gut, das setzen wir selbstverständlich voraus:
       Diejenigen, die am späten Montagnachmittag in Lübeck eines 30 Jahre
       zurückliegenden Brandanschlags gedenken wollten. Aber auch jene, die in der
       kleinen Spielstätte des [1][Lübecker Theaters] vorab Einblick anboten in
       ein demnächst dort zur Premiere kommendes Stück Dokumentartheater – über
       einen anderen weit über die Stadtgrenzen hinaus zur Kenntnis genommenen
       Anschlag.
       
       Exakt 30 Jahre war es am Montag her, dass die Hansestadt zum Schauplatz
       wurde für ein höchst unwillkommenes erstes Mal: Was dort in der Nacht zum
       25. März 1994 passierte, war nicht weniger als der erste Brandanschlag auf
       eine Synagoge in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Um kurz
       nach zwei Uhr morgens warfen die Täter [2][mehrere Brandsätze durch ein
       Seitenfenster in das Gebäude], Wand- und Deckenverkleidung fingen Feuer,
       der Vorraum der Synagoge wurde zerstört. Menschen kommen wie durch ein
       Wunder nicht zu Schaden.
       
       Es kam zu einer beeindruckenden Solidarisierung durch die
       Stadtgesellschaft. Mit Hochdruck, [3][heißt es gerne], sei damals nach den
       Tätern gefahndet worden, die Bundesanwaltschaft hatte das Verfahren
       übernommen – immerhin ging es um den guten Ruf einer erklärten
       Exportnation, die zudem ein halbes Jahrzehnt lang, seit der
       Wiedervereinigung, ganz schön viele schlechte Nachrichten produziert hatte.
       
       Dringend tatverdächtig waren bald vier junge Männer; Stephan W., Boris
       H.-M., Nico T. und Dirk B., alle zwischen 19 und 24 Jahre alt, erhielten im
       April 1995 Freiheitsstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren.
       Nicht viel später, Anfang Mai, kam es zu einem neuerlichen Anschlag auf die
       Synagoge, der aber längst nicht dieselben Wellen schlug.
       
       ## Zehn Todesopfer, keine Verurteilung
       
       Denn die richtige Delle zog sich Lübecks Ruf in der großen weiten Welt noch
       etwas später zu: Anfang 1996, in der Nacht zum 18. Januar, brannte in der
       Hafenstraße ein Haus für Asylbewerber:innen, drei Erwachsene sowie sieben
       Kinder und Jugendliche kamen zu Tode. Von der Tat, aber mehr noch davon,
       wie anders gelagert hier gefahndet wurde, wer verdächtigt und wer partout
       nicht; welche Indizien zur Kenntnis genommen wurden und welche beinahe
       aggressiv ignoriert: Davon handelt demnächst am Theater Lübeck das
       Dokumentarstück „Hafenstraße“, Regie: Malte Schmidt, Premiere ist am 5.
       April.
       
       Feiertagsbedingt eine Woche früher boten die Macher:innen, ebenfalls am
       Montag, nun eine Art öffentlicher Probe an; „Kostprobe“ heißt das
       niedrigschwellige, nämlich kostenlos zu besuchende Format. Eine gute halbe
       Stunde lang konnten Interessierte einen Auszug aus dem Stück sehen,
       erkennbar noch in progress. Zudem beantworteten Regisseur Schmidt und
       Dramaturg Oliver Held Fragen des reichlich erschienenen Publikums.
       
       Von der klaffenden Wunde in der Stadt war die Rede und einem anhaltenden
       Interesse. Und davon, dass Lübeck heute längst kein so berüchtigter Name
       ist wie Rostock-Lichtenhagen oder Mölln. Dabei sind die Zutaten reichlich
       skandalös: Zehn Menschen kamen ums Leben, verurteilt wurde niemand. Mit
       Safwan E. stand lange ein Bewohner der Unterkunft im Zentrum der
       Ermittlungen, belastet von einem einzigen Zeugen, der selbst Verbindungen
       ins Nazi-Milieu gehabt haben soll – nicht erst nach der [4][Aufdeckung der
       NSU-Morde] stellen sich da doch reichlich Fragen. [5][Eine Online-Petition]
       an den Kieler Landtag mit der Forderung, in der Sache einen
       Untersuchungsausschuss einzusetzen, läuft derzeit.
       
       Vor dem Holstentor und später vor der Synagoge sprachen am Montag unter
       anderem Vertreter:innen der Stadt und der Lübecker jüdischen Gemeinde.
       Anzunehmen, dass manche:n der da Zuhörenden und Blumen Niederlegenden auch
       die „Kostprobe“ interessiert hätte – und viele im Theatersaal das
       Synagogen-Gedenken.
       
       Über die unterbliebene Abstimmung der Termine mit den mutmaßlich so sehr
       sich überschneidenden Zielgrupppen zu murren, mag als Luxusproblem
       erscheinen, angesichts echten Terrors und realer rassistischer Übergriffe.
       Ärgerlich war sie trotzdem.
       
       Lübeck, das kannst du doch besser!
       
       27 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.theaterluebeck.de/start/index.html
 (DIR) [2] /Luebecker-Synagoge-wiedereroeffnet/!5793210
 (DIR) [3] https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Vor-30-Jahren-Anschlag-auf-die-Luebecker-Synagoge,luebecksynagoge101.html
 (DIR) [4] /Nationalsozialistischer-Untergrund-NSU/!t5020499
 (DIR) [5] https://weact.campact.de/petitions/hafenstrassenmordunvergessen-10-facher-rassistischer-mord-tat-und-ermittlungen-endlich-aufklaren-1
       
       ## AUTOREN
       
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