# taz.de -- Recherche-Theater in Lübeck: Ermittlungen zur Hafenstraße
       
       > Das Lübecker Theater bringt eine Recherche zum Brandanschlag auf eine
       > Asylbewerber:innen-Unterkunft 1996 auf die Bühne.
       
 (IMG) Bild: Was ist in der Lübecker Hafenstraße im Januar 1996 wirklich passiert?
       
       Es ist so ein Fall, der empören kann. Einer, der neu in die Stadt Kommende
       sich fragen lässt: Wo bin ich denn hier gelandet? Zehn Todesopfer forderte
       [1][im Januar 1996 das Feuer in einer Unterkunft für
       Asylbewerber:innen in der Lübecker Hafenstraße], darunter sieben
       Kinder und Jugendliche. Dass der Brand gelegt worden war, war rasch
       Konsens. Umso umstrittener ist bis heute, wer das tat. Verurteilt wurde nie
       jemand, wirklich ermittelt nur gegen einen Bewohner des Hauses, den
       Libanesen Safwan E. Der aber wurde auch zwei Mal freigesprochen.
       
       „Diese Leute sind immer noch auf freiem Fuß“, sagt nun Esperanca Bunga,
       eine der Hinterbliebenen, im Dokumentarstück „Hafenstraße“. „Diese Leute“,
       das waren vier noch in der Brandnacht festgenommene mecklenburgische
       Neonazis, bei denen angeblich keine hinreichenden Anhaltspunkte vorlagen –
       trotz frischer Spuren und eines Geständnisses.
       
       So wie Bunga kommen in Helge Schmidts theatraler Recherche weitere damals
       Beteiligte als Videoeinspielung zu Wort: Safwan E.s Verteidigerin etwa,
       die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke, die davon spricht, wie einäugig
       seinerzeit ermittelt worden sei. Lübecks damaliger Bürgermeister Michael
       Bouteiller, dessen Tränen vor laufender Kamera um die Welt gingen. Oder
       Jana Schneider von [2][„Hafenstraße ’9]6“, der örtlichen Initiative, die
       alljährlich das Gedenken organisiert, aber auch eine echte Aufklärung
       fordert.
       
       Projizieren lässt Schmidt diese Sequenzen auf sieben rechteckige Jalousien,
       die von oben in den schwarzen Bühnenraum hängen; bei der Premiere war die
       kleinere Lübecker Spielstätte nun nicht ganz ausverkauft. Darunter hat das
       mit Bühne und Kostüm betraute Atelier Lanika ein nierenförmiges, flaches
       Wasserbecken platziert, rundherum ein paar Mikrofone auf Stativen. Vor der
       Bühne steht quer ein großer Schreibtisch, auf dem Jan Byl, Sonja Cariaso,
       Lilly Gropper, Sven Simon und Vincenz Türpe allerlei Materialien
       arrangieren, was wiederum eine Kamera einfängt.
       
       Aus zeitgenössischer Berichterstattung, aktivistischen Flugblättern und
       behördlichen Schriftsätzen lesen sie etwa vor. Wir sehen aber auch das
       schriftliche Nein der Staatsanwaltschaft zum Auskunftsersuchen von
       Dramaturg Oliver Heldt – bezeichnenderweise nennt die Behörde darin gleich
       zwei Mal das falsche Datum der Brandlegung.
       
       Die Initiative zum Stück kam vom Ensemble selbst. In jeder Spielzeit kommt
       eine Produktion auf diese Weise auf den Spielplan, das hat der 2022/23 nach
       Lübeck gekommene Schauspieldirektor Malte C. Lachmann eingeführt. Dieser
       Abend erhebt Anklage gegen die damals (nicht) Anklagenden; er macht die
       Perspektive von Opfern und Angehörigen stark und ihre Zweifel am für einzig
       wahr erklärten Tathergang; er fordert, die Sache neu aufzurollen,
       juristisch, aber auch politisch: So weisen die Darsteller:innen auch
       auf eine [3][laufende Onlinepetition] hin, die einen parlamentarischen
       Untersuchungsausschuss fordert.
       
       Dass so etwas Gefahr läuft, einzig Gleichgesinnte in ihrer
       Rechtschaffenheit zu bestätigen, problematisiert er klugerweise selbst:
       Dass [4][weder auf der Bühne noch in den Sitzreihen] die echte
       gesellschaftliche Vielfalt abgebildet sei, sprechen die Spielenden an. Und
       stellen es am Ende frei, ob Applaus nun die angemessene Reaktion ist. Da
       könne man doch nicht Beifall klatschen, haben wir da schon Esperanca Bunga
       sagen sehen.
       
       9 Apr 2024
       
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