# taz.de -- Neues Stück am Deutschen Theater Berlin: Tote erzählen andere Geschichten
       
       > Am Deutschen Theater hat Jan-Christoph Gockel „Der Schimmelreiter / Hauke
       > Haiens Tod“ inszeniert. Zusammengearbeitet hat er mit dem RambaZamba
       > Theater.
       
 (IMG) Bild: Die tote Katze wird bald reden mit Trine (Almut Zilcher) und Wienke (Zora Schemm)
       
       Trines Katze ist tot. Trine (Almut Zilcher) streicht durch ihr struppiges
       Fell. Wir, das Publikum im Deutschen Theater, sehen das groß im Video.
       Neben der blond verstrubbelten Frau steht ein Mädchen, das seinen Vater
       sucht. Trine erzählt ihr von ihm, Hauke Haien, verflucht soll er sein, denn
       er schlug ihren Kater tot.
       
       Eine schreckliche Geschichte für das Kind, Wienke Haien. Schaurig ist die
       Stimmung da schon. Da schlägt der tote Kater ein Auge auf, groß und grün
       leuchtend. Hörbar erschrocken zieht das Publikum Luft und lacht. Bald
       spricht der Kater auch, er redet mit Trine über Geister.
       
       Ein Treffen mit Gespenstern, ein skurriler Tanz mit Toten, die dann doch
       noch sehr lebendig sind, ist die Inszenierung von „Der Schimmelreiter /
       Hauke Haiens Tod“ im Deutschen Theater. Inszeniert hat [1][Jan-Christoph
       Gockel] ein vorzügliches Zusammenspiel von nicht-behinderten und
       behinderten Schauspieler:innen aus dem Deutschen Theater und [2][dem
       RambaZamba Theater].
       
       Viele Bilder sind fantastisch und gruselig romantisch, nicht zuletzt wegen
       des Mitspiels von toten Tieren, neben der Katze noch ein Pferd, ein Hund,
       eine Möwe. Sie werden bewegt wie Puppen, sind aber aus den Fellen und
       Bälgen ehemals lebendiger Tiere. Und liefern nicht zuletzt damit einen
       Anlass für einen Exkurs über die Würde der Tiere und das Recht auf
       Verwesung.
       
       Roman von Andrea Paluch und Robert Habeck 
       
       Das Stück geht auf einen Roman zurück, den Andrea Paluch und Robert Habeck
       vor mehr als zwanzig Jahren zusammen geschrieben haben. Sie nahmen Theodor
       Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ zum Ausgangspunkt. Dort stirbt der
       Deichbauer, der das Land vom Meer mit neuen Methoden schützen wollte, in
       den Fluten. In der Umarbeitung von Paluch/Habeck hat seine Tochter die
       Sturmflut überlebt und macht sich Jahre später auf die Suche nach dem Grund
       für den Tod ihres Vaters.
       
       Eine verlassene Bar und eine Tankstelle, an der es schon ewig kein Benzin
       mehr gibt, sind Details im Bühnenbild. Das Meer, sagt ein mitspielender
       Postbote, gibt es schon lange nicht mehr, nur noch Dürre. Trine, die
       Kneipenwirtin, malt apokalyptische Szenen im Märchenton aus.
       
       Hieu Pham und Zora Schemm von RambaZamba spielen abwechselnd und zusammen
       die Tochter auf der Suche nach der Wahrheit. [3][Hieu Pham ist auch
       Sängerin], mit dem Schlagzeuger Moritz Höhne und Anton Perman, der die
       Musik komponiert hat, bildet sie eine Live-Band, die spröde, wütend und
       traurig Wienkes Suche begleitet.
       
       Jeder erzählt ihr eine andere Geschichte über den Tod des Vaters. In den
       Augen von Ole Peters (Mareike Beykirch), der im Hundepelz herumläuft und
       nun auf Haiens Land lebt, hat die Flut ihn gestraft für materielle Gier und
       Betrug. Iven, Hauke Haiens ehemaliger Knecht (Komi Mizrajim Togbonou), der
       Wienke begleitet, wenn auch widerwillig, weiß eine andere Geschichte: Hauke
       Haiens Methoden des Deichbaus wären durchaus effektiver und zum Schutz
       aller gewesen. Aber sie brachten Veränderungen mit sich, die die
       Dorfgemeinschaft nicht akzeptieren wollte.
       
       Verschiedene Antworten 
       
       Woran Utopien scheitern, davon erzählt diese Inszenierung und gibt
       verschiedene Antworten. Die Lebenden sind sich nicht einig, was der
       Fortschritt ist und wie viel er kosten darf; die Toten haben noch eine
       andere Perspektive auf den Verlauf der Geschichte. Diese Stimmenvielfalt
       ist zunächst verwirrend, dann aber doch ein Gewinn.
       
       Eine Geschichte vom Scheitern wird ausgebreitet und interpretiert. Die Form
       aber, mit dem Inhalt umzugehen, hat selbst etwas Utopisches. Das liegt an
       der Diversität des Casts und der Arbeit mit den unterschiedlichen Stärken
       der Mitspielenden. Franziska Kleinert etwa, Fan von Krimis und besonders
       vom Tatort, hat ihre besonderen Auftritte beim Stichwort „Wasserleiche“ und
       ermittelt auf ihrer eigenen Spur. Die sprachlichen Ebenen wechseln und
       verschaffen verschiedene Zugänge.
       
       Einen Tag nach der Theaterpremiere zeigte die [4][ARD den Spielfilm „Die
       Flut“], der ebenfalls auf der Vorlage von Paluch/Habeck beruht. Die bessere
       Musik und mehr visuelle Fantasie hat ganz entschieden der Theaterabend. Im
       Plot des Films geht es zuletzt darum, ein Verbrechen zu rekonstruieren und
       eine Wahrheit zu finden. Das Theaterstück bleibt offener in seiner Deutung.
       
       Dass ein Teil des Autorenpaares heute Minister ist, trägt sicher zur
       Beachtung bei und taugt zur Werbung. Aber eigentlich sollte man froh sein,
       Politiker im Amt zu wissen, die das Nachdenken über aktuelle Konflikte
       schon in anderer Form geübt haben.
       
       29 Apr 2024
       
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