# taz.de -- „01099“ über Ostdeutschland: „Dresden ist geil!“
       
       > Die Rapcrew „01099“ stammt aus der Elbestadt. Im Interview sprechen sie
       > über den Umgang mit der AfD, die Macht von Musikern und den sächsischen
       > Dialekt.
       
 (IMG) Bild: Kommen gerne aus Sachsen: Nullzehnneunundneunzig
       
       wochentaz: 01099 – ihr habt euch nach der Postleitzahl eurer Heimat
       benannt, Dresden-Neustadt. Was bedeutet es für euch, aus Dresden zu kommen?
       
       Paul: Dresden ist geil! Wenn du abends durch die Neustadt fährst und dann
       knallt da die Abendsonne rein: Das ist brutal schön. Wir kennen jede Ecke
       dort, jeden Sticker. Und ich finde es auch so nice, dass wir aus Dresden
       kommen und nicht aus Wuppertal oder so. Man hat automatisch Underdog-Status
       und kann eigentlich nur überraschen. Ich mag das total.
       
       Fühlt ihr euch als Ostdeutsche? 
       
       Zachi: Klar, das ist ein großer Teil unserer Identität. Es fühlt sich gut
       an, als Vorbild voranzugehen und dazu beizutragen, dass die Leute mal aus
       Dresden was anders hören als immer nur, wie viele Prozentpunkte die AfD
       kriegt.
       
       Im Internet hat euch jemand „Drei Ossi Ottos“ genannt. Empfindet ihr das
       als Beleidigung? 
       
       Zachi: Nö, wir kommen gerne aus Sachsen.
       
       Gustav: Wobei, wir fühlen uns schon auch manchmal zerrissen zwischen den
       viele coolen ostigen Sachen und dem anderen – [1][diesem ganzen
       ultrarechten Scheiß].
       
       Vor zwei Wochen wurde in Dresden der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke
       [2][beim Aufhängen von Wahlplakaten brutal zusammengeschlagen], er musste
       operiert werden. Die Schläger waren vier offenbar rechte Jugendliche, so
       alt wie ihr, aufgewachsen in eurer Heimatstadt. Das hätten eure Mitschüler
       sein könnten.
       
       Paul: In erster Linie macht mich das traurig. Ich habe in mir eine so große
       Heimatliebe und ich bin jedes Mal wieder schockiert, wenn ich höre, was
       eben auch für Menschen in Sachsen leben. Wie viel Aggression es da gibt.
       
       Wundert euch das, wenn ihr an eure Schulzeit zurückdenkt? Wie präsent waren
       rechte Sprüche auf dem Schulhof? 
       
       Zachi: Mich wundert diese Radikalität. Es wundert mich, [3][dass man mit 17
       oder 18 Politiker angreift]. Das haben wir damals nicht mitbekommen in
       unserem Kokon auf dem St. Benno-Gymnasium und auch nicht in unserem
       Wohnumfeld in der Neustadt. Klar, da gab es auch konservative Tendenzen …
       
       Paul: … aber die gingen nicht in diese Richtung. Da war das Rebellentum
       eher linksradikal.
       
       Zachi: Andererseits erinner ich mich, dass das ein großes Thema wurde,
       [4][als Pegida sich gegründet hat].
       
       Inwiefern? 
       
       Zachi: Da waren wir 12 Jahre alt und Pegida hat mir Angst gemacht. Ich habe
       mit meinen Eltern darüber gesprochen, ob dieser Protest noch größer wird.
       Ich war so geschockt davon, wie viele von diesen Pegida-Leuten so extrem
       wütend waren. Wir sind mit unseren Eltern und Mitschüler*innen, auch von
       anderen Gymnasien, dann viel auf Gegendemos gewesen. Wir waren fassungslos,
       weil Pegida so eine frappierende Wahrheit über Dresden auf die Bildfläche
       gezogen hat, vor der wir nicht mehr länger die Augen verschließen konnten.
       
       Paul: Ja, Pegida hat eine große Rolle für uns gespielt. Wir hatten damals
       ja mit Mugge noch nichts am Hut, aber ich erinnere mich, dass ich schon
       damals einen Track gegen Pegida geschrieben habe. Das hat einen so richtig
       dolle mitgenommen: Alter, dass es so einen Scheiß in Dresden gibt!
       
       Und habt ihr das Gefühl, dass da jetzt wieder etwas brodelt – eine neue
       rechte Jugendkultur im Osten? 
       
       Paul: Wir verbringen durch unsere Band viel Zeit auf Social Media [5][und
       da gibt es eine große rechte Szene], die im Westen wie im Osten unfassbar
       aktiv ist. Das ist total erschreckend! Gustav und ich haben ein neues Hobby
       entwickelt, wir melden alle rechten Kommentare, die wir sehen. Aber das
       sind so viele, dass das Melden nur eine ganz kleine Auswirkung hat. Und die
       rechte Szene im Internet ist untereinander ganz stark solidarisiert, die
       holen sich ihre Bestätigung innerhalb ihrer eigenen Peer Group. Du kannst
       von außen gar nicht auf die einwirken.
       
       In einem eurer Songs rappt ihr „Du Pisser wählst die AfD“, in einem anderen
       „Schau' auf die AfD herab wie ein Kolibri“. Seht ihr diese politischen
       Hinweise als eure Aufgabe, als junge Band aus dem Osten? 
       
       Zachi: Ja, wenn man so eine große Reichweite hat wie wir, wäre es
       unverantwortlich, die nicht zu nutzen.
       
       Paul: Wir wollen unsere Heimat auf keinen Fall den Rechten überlassen. Wir
       müssen uns einbringen, [6][gerade in diesem Jahr]. Wie werden auf Demos
       gegen Rechts spielen und wir spenden für Jugendclubs im ländlichen Raum. Da
       gibt es total geile Leute, die eine Wahnsinnsarbeit machen und gegen eine
       krass rechte Dominanz kämpfen.
       
       Gab es genug alternative Räume für euch als Jugendliche? 
       
       Paul: Ein ganz, ganz wichtiger Ort für uns war die Musikschule, das
       Heinrich-Schütz-Konservatorium. Das war per se kein linker Raum, aber es
       war eben eine Kulturstätte. Und wir hatten die Gemeinde, wir sind in einem
       christlichen Umfeld ausgewachsen. Einen klassischen Jugendclub hatten wir
       nicht. Aber den brauchten wir in der Neustadt vielleicht auch weniger, als
       Jugendliche in der Provinz.
       
       Ihr kommt aus einem linken Stadtviertel, wart auf einem bürgerlichen
       Gymnasium und auf dem Konservatorium. Erreicht ihr rechte Jugendliche
       überhaupt? 
       
       Paul: Klar, die meisten Leute, die unsere Musik hören, wählen eher nicht
       die AfD. Jugendliche, die in einer rechten Blase aufwachsen, kommen nicht
       zu unseren Konzerten, die lehnen uns ab. Aber jetzt beginnt wieder die
       Festival-Saison – auf Festivals erreichen wir schon ein breiteres Publikum.
       Und dort lohnen sich auch Ansagen gegen die AfD.
       
       Was kann Musik denn überhaupt ausrichten gegen einen teilweise rechten
       Mainstream? 
       
       Gustav: Ich glaube, dass Musik wichtig ist. Und wir sind ja nicht die
       einzigen: Kraftklub und Trettmann aus Chemnitz schreiben auch linke Texte.
       Nach [7][gab es dort das „Wir sind mehr“-Konzert]. Das war super wichtig
       für mich und viele andere. Uns gab es da noch nicht als Band, aber da habe
       ich gemerkt, wie viel es ausmacht, wenn sich die kunstschaffende Szene
       gegen Rechts versammelt. Das hat mir gezeigt, die unterstützen uns, die
       haben dieselbe Meinung wie wir, wir sind nicht alleine.
       
       Wie guckt ihr auf Leute, die aus Ostdeutschland weggehen? 
       
       Paul: Wir haben da keine Einigkeit in der Band (lacht). Wir leben ja selbst
       mittlerweile nicht mehr in Dresden – zwei von uns sind in Leipzig, einer in
       Berlin. Aber irgendwie leben wir zur Zeit auch eher überall, weil wir so
       viel unterwegs sind. Aber klar, wir fragen uns schon, ob es nicht Verrat
       ist, [8][langfristig aus Sachsen wegzugehen].
       
       Zachi: Für mich würde sich weggehen wie Aufgeben anfühlen. Wenn man geht,
       überlässt man den Rechten und auch falschen Zuschreibungen den Raum, das
       wäre eine Niederlage.
       
       Sächsisch ist schön. Wieso rappt ihr eigentlich nicht im Dialekt, wenn ihr
       so heimatverbunden seid? 
       
       Gustav: Also, wir können Sächsisch, wir sprechen auch viel Sächsisch hinter
       den Kulissen, weil es Spaß macht. Aber mit Sächsisch sprechen schwingt halt
       einiges mit…
       
       Paul: … klar, die Vorurteile: Es [9][klingt sofort irgendwie ungebildet,
       potenziell rechts und immer ein bisschen abgehängt]. Deswegen kam es für
       uns nicht infrage, einen Song auf Sächsisch zu machen – das würde klingen
       wie eine Parodie. Aber ich finde Dialekt-Rapper prinzipiell schwierig, das
       ist so eine sehr patriotische Nische. Aber trotzdem interessant: Weil wir
       eigentlich den Dialekt lieben, aber uns auch manchmal dafür ein bisschen
       schämen.
       
       Gustav: Eigentlich müssten wir den Dialekt reclaimen. Riekläim Säggsony!
       
       19 May 2024
       
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