# taz.de -- Emmanuel Macron in Deutschland: Hauptsache Style
       
       > Die Deutschen feiern Macron wie einen Popstar. Dass er trotz der Makel
       > seiner Politk glänzt, liegt an der stilistischen Ohnmacht deutscher
       > Kollegen.
       
 (IMG) Bild: Macht auch in Boxhandschuhen eine gute Figur: der französische Präsident Macron
       
       Tausende junge Menschen haben sich a[1][m Montag vor der Dresdner
       Frauenkirche versammelt]. Als der erwartete Redner auf die Bühne tritt,
       jubeln sie. Es ist kein Konzert, sondern eine Rede an die europäische
       Jugend, die pathetisch genug ausfällt, um zu emotionalisieren und
       gleichzeitig nicht kitschig zu wirken. Es ist einer der Momente beim
       dreitägigen französichen Staatsbesuch in Deutschland, in denen man sich
       fragt, ob Emmanuel Macron nun ein Politiker ist, den man wie andere
       Politiker immer auch kritisch betrachten sollte, oder ein Star, den man
       einfach anhimmeln darf.
       
       Auch sonst machte der französische Präsident in diesen Tagen immer eine
       gute Figur: beim Staatsbankett im Schloss Bellevue prostete er mit
       Champagnerglas freundschaftlich, aber unaufdringlich Angela Merkel und
       anderen Gästen zu. Beim Besuch des Berliner Holocaustdenkmals dosierte er
       seinen betroffenen Blick ebenso angemessen wie glaubwürdig. Im sächsischen
       Moritzburg, wo ihm der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer vor
       Barockkulisse einen Apfelbaum überreichte, schien der Klassenunterschied am
       größten – noch langweiliger als Gastgeschenk wäre wohl ein Sack Kartoffeln
       gewesen.
       
       ## Wohldosierte Breitbeinigkeit
       
       Das anschließende Zusammentreffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Schloss
       Meseberg in Brandenburg markierte den Höhepunkt eines glanzvollen
       Auftritts: Augenzwinkern und Daumen hoch beim obligatorischen Handshake mit
       dem Kollegen, wobei der Kollege wirkte wie ein Fan, der auf seinen
       Lieblingsfußballspieler getroffen ist und ihn erfolgreich um ein Foto
       gebeten hat. Beim Tee oder Kaffee am malerischen Gartentisch schaute dieser
       Fan sein großes Idol dann ganz verliebt an, während der wieder wohldosiert
       breitbeinig in die Kameras grinste. Macron trug sein dunkelblaues Sakko
       offen, Scholz sein schwarzes zugeknöpft, sodass es bei der gemeinsamen
       Pressekonferenz unschön spannte.
       
       Auch rhetorisch lieferte der französische Präsident, der einst vom Hirntod
       der Nato sprach, ordentlich: Europa brauche einen „Investitionsschock“ und
       man müsse angesichts der Bedrohungen Europas [2][„entschlossen als Europäer
       handeln“], weil dieses Europa sonst sterben könne – die Ukraine soll
       [3][mit westlichen Waffen Stellungen in Russland] angreifen dürfen.
       [4][Auch Bodentruppen] sind für Macron denkbar. Kritiker:innen stellen
       angesichts dieser und anderer großer Worte Macrons inszenierungskritisch
       fest, dass [5][konkrete Ergebnisse aber dürftig] seien.
       
       ## Macron, der Macher. Scholz, der Schmoller
       
       Trotzdem bleibt hängen: Macron, der Macher. Scholz, der Schmoller! Dabei
       liegt Deutschland im besagten entschlossenen Handeln gegen das Sterben
       Europas, möchte man dieses [6][an Ukrainehilfen messen], nach den USA
       weltweit auf Platz zwei und vor Frankreich europaweit auf Platz eins.
       Natürlich taktiert Scholz im Wissen um die German Angst und bevorstehende
       Wahlen. Trotzdem: Was bringt gute Politik, auch in vielen anderen Fragen,
       wenn man sie nicht verkörpern kann?
       
       Der verstorbene [7][Literaturkritiker Karl Heinz Bohrer] stellte einmal
       fest, dass [8][„Stilfragen“ ein „in Deutschland unbewältigtes Problem]
       sind, von dem man nicht redet“. Als Beispiel zog er, der Stil als
       „Kapazität der Selbstdarstellung“ definierte, ein unangenehmes
       Zusammentreffen deutscher und britischer Banker heran. Das Problem der
       Deutschen sei nicht etwa ein Fauxpas, sondern ihre „einfallslose
       Nichtanwesenheit“ gewesen. Ihr „Mangel an Ausdrucksvermögen, Mangel, über
       die eigene Situation hinauszuwachsen und seine Authentizität sozusagen zu
       stilisieren und in Haltung und Sprache Autorität zu verbreiten, eine
       Autorität jenseits von Kenntnissen des Faches“.
       
       Nach den letzten Tagen hätte der Kritiker nun einen weiteren markanten
       Beleg für diese Beobachtung. Denn Macron mag zwar Stil haben. Aber erregen
       konnte er die deutsche Öffentlichkeit auch so sehr, weil sich die Deutschen
       an die leidenschaftslose Trägheit ihrer politischen Repräsentant:innen
       gewöhnt haben.
       
       29 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Reaktion-auf-Macron-Auftritt-in-Dresden/!6012907
 (DIR) [2] https://www.tagesschau.de/inland/macron-staatsbesuch-dresden-100.html
 (DIR) [3] /Staatsbesuch-aus-Frankreich/!6013801
 (DIR) [4] /Friedensdebatte-in-der-EU/!6012547
 (DIR) [5] /Macron-in-Deutschland/!6012891
 (DIR) [6] https://www.ifw-kiel.de/de/themendossiers/krieg-gegen-die-ukraine/ukraine-support-tracker/
 (DIR) [7] /Nachruf-auf-Karl-Heinz-Bohrer/!5792037
 (DIR) [8] https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/karl-heinz-bohrer-grosser-stil-9783446209336-t-826
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volkan Ağar
       
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