# taz.de -- Rauswurf von Staatssekretärin: Allein im Bildungsministerium
       
       > Stark-Watzinger entlässt ihre Staatssekretärin, weil die
       > Fördermittel-Kürzungen nach politischen Kriterien erwogen haben soll. Die
       > Kritik an ihr selbst hält an.
       
 (IMG) Bild: Bildungsministerin Stark-Watzinger kommt am 17.6. zur Vorstellung des Nationalen Bildungsberichts
       
       Bleibt Bettina Stark-Watzinger im Amt? Und kommt die
       Bundesbildungsministerin damit durch, dass sie ihre Staatssekretärin Sabine
       Döring schasst? Aufgeworfen hat diese Fragen eine Stellungnahme des
       Bundesbildungsministeriums (BMBF) am späten Sonntagabend. Darin teilt
       Stark-Watzinger mit, dass sie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gebeten
       habe, Döring in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.
       
       Die FDP-Ministerin reagierte damit auf die anhaltende Debatte um ihren
       Umgang mit Hochschullehrer:innen, die in einem offenen Brief das Recht auf
       friedlichen Protest an Berliner Hochschulen verteidigt hatten. Im
       Bildungsministerium war daraufhin geprüft worden, ob man den
       Unterzeichner:innen bereits erteilte Fördermittel wieder entziehen
       könne. Das ARD-Magazin „Panorama“ hatte vergangene Woche unter Berufung
       [1][auf interne E-Mails] darüber berichtet und damit große Empörung unter
       Wissenschaftler:innen ausgelöst. [2][Rund 2.700 Forscher:innen
       schlossen sich in wenigen Tagen einer Rücktrittsforderung an], unter
       anderem prominente Professor:innen wie Axel Honneth, Hartmut Rosa, Anna
       Katharina Mangold und Wolfgang Merkel. Der Präsident der
       Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Walter Rosenthal spricht gegenüber der taz
       „von einem schwerwiegenden Vorgang, der in der Wissenschaft für große
       Irritation“ sorge.
       
       Es ist nicht das erste Mal, dass Stark-Watzinger aneckt. Vor gut einem Jahr
       brachte sie die Bundesländer gegen sich auf, als sie im Alleingang einen
       nationalen Bildungsgipfel einberief – den dann alle Bundesländer bis auf
       zwei boykottierten. Auch bei den Verhandlungen zum
       „[3][Startchancen-Programm]“ und zum Digitalpakt 2.0 wetterten die
       Bildungsminister:innen der Länder teils unverhohlen über die miese
       Zusammenarbeit und das fehlende Vertrauen in die Absprachen mit der
       Bundesministerin.
       
       Vor allem aber in der Wissenschaft hat Stark-Watzinger keinen allzu guten
       Stand: Ihre Versprechen beispielsweise an Nachwuchsforscher:innen, die
       prekären Arbeitsbedingungen zu verbessern, konnte sie nicht wirklich
       einlösen. Im Gegenteil: In der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
       ging sie vor allem auf die Wünsche der Hochschulen ein, die sich gegen zu
       viele Dauerstellen wehren.
       
       Dass Stark-Watzinger nun anscheinend Förderzusagen für Forscher:innen
       abhängig von deren Meinungsäußerungen machen wollte, stößt dort natürlich
       auf besonders harsche Kritik: „Stark-Watzinger muss jetzt für Aufklärung
       und volle Transparenz sorgen“, sagt der Berliner Politikwissenschaftler
       Ilyas Saliba der taz, der den umstrittenen offenen Brief mit unterzeichnet
       hat. Erst dann werde sich zeigen, ob nicht doch auch ein Rücktritt
       angebracht sei.
       
       Was Stark-Watzingers Position nicht gerade stärkt: Auch die zuständigen
       Fachreferate im Ministerium hatten sich irritiert über die Prüfanfrage
       gezeigt und die Sanktionsidee als nicht umsetzbar zurückgewiesen. Die Frage
       ist nun: Hat Stark-Watzinger wirklich nichts davon gewusst, wie sie in
       ihrer Stellungnahme sagt? Eine BMBF-Sprecherin wiederholte am Montagmittag
       Stark-Watzingers Position: Sie habe eine Untersuchung der
       wissenschaftlichen Fördermittel für die Unterzeichner des offenen Briefs
       „weder beauftragt noch gewollt“.
       
       Die Verantwortung schob sie noch einmal in Richtung der geschassten
       Staatssekretärin. „Döring war die fachrechtlich Zuständige, sie hat das
       veranlasst“, so die Sprecherin. Die Staatssekretärin habe sich bei der
       Formulierung ihrer Mail „missverständlich ausgedrückt“. Die
       Bildungsministerin habe klar gesagt, Prüfungen von durch die
       Meinungsfreiheit gedeckten Kriterien fänden nicht statt.
       
       Das ist die eine Sichtweise. Die andere ist: Döring, die selbst
       Wissenschaftlerin ist und bis zu ihrer Ernennung vor gut einem Jahr als
       Staatssekretärin an der Universität Tübingen Philosophie und Ethik lehrte,
       musste gehen, weil sich ihre Ministerin verrannt hat und nun Konsequenzen
       vorweisen muss. Für den Wissenschaftler Saliba ist die Sache klar: „Sabine
       Döring ist ein Bauernopfer. Dadurch soll ein Schlussstrich gezogen werden,
       aber das Vertrauen in große Teile der Ministeriumsleitung bleibt
       beschädigt.“
       
       Ähnlich äußerte sich am Montag auch die Opposition: Schleswig-Holsteins
       Bildungsministerin und CDU-Vize Karin Prien, seit dem missratenen
       Bildungsgipfel im März 2023 eine scharfe Kritikerin von Stark-Watzinger,
       spricht auf „X“ von einer „nächtlichen Posse“, bei der Döring „das
       Bauernopfer“ sei. Etwas differenzierter sieht es der bildungspolitische
       Sprecher der Unionsfraktion Thomas Jarzombek: „Ihr Ziel war das richtige“,
       sagte Jarzombek mit Blick auf den Kampf gegen Antisemitismus an
       Hochschulen. Allerdings habe die Bildungsministerin „durch ihr
       ungeschicktes Verhalten und ihre Aussagen in der Bild-Zeitung das Thema
       überhaupt erst so groß gemacht“, sagte Jarzombek der taz.
       
       Er spielt damit auf eine Formulierung an, in der Stark-Watzinger den
       Unterzeichner:innen des offenen Briefs in Abrede stellte, „auf dem
       Boden des Grundgesetzes“ zu stehen. An dieser Position scheint
       Stark-Watzinger trotz der massiven Kritik bis heute nichts Schlimmes zu
       finden. „Es macht mich bis heute fassungslos, wie einseitig in diesem Brief
       der Terror der Hamas ausgeblendet wurde“, schreibt Stark-Watzinger in dem
       nächtlichen Schreiben. Erneut kritisiert sie die Forderung aus dem Brief,
       „Straftaten an den Universitäten nicht zu verfolgen, während gleichzeitig
       antisemitische Volksverhetzung und gewalttätige Übergriffe gegen jüdische
       Mitbürgerinnen und Mitbürger“ zu beobachten seien.
       
       Bis Redaktionsschluss der taz sah es so aus, als komme Stark-Watzinger
       [4][ohne Rücktritt] davon. Die Koalitionspartner jedenfalls hielten sich
       zurück mit Kritik und begrüßten die „personellen Konsequenzen“. Sowohl
       Oliver Kaczmarek (SPD) als auch Kai Gehring (Grüne) machten jedoch klar,
       dass es ein einmaliger Vorfall bleiben müsse und dass es jetzt wichtig sei,
       „verloren gegangenes Vertrauen“ wiederaufzubauen.
       
       Doch wie das gelingen soll, ist unklar. Das zeigt auch die etwas hilflose
       Antwort aus dem Bildungsministerium, inwieweit das Vertrauen zwischen
       Ministerin und der Wissenschaftslandschaft noch bestehen könne, nachdem
       rund 2.700 Forscher:innen nun in einem zweiten offenen Brief den
       Rücktritt Stark-Watzingers gefordert haben. Das Ministerium kommentiere
       keine offenen Briefe, lautete die Antwort. Was angesichts der
       Bild-Äußerungen Stark-Watzingers, die die Debatte mindestens befeuert
       hatten, absurd anmutete.
       
       Am Montagnachmittag dann tritt Stark-Watzinger vor die Presse, zusammen mit
       der Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz Christine Streichert-Clivot
       (SPD) und dem Bildungsforscher Kai Maaz. Mit dem aktuellen Beben im
       Ministerium hat der Auftritt nichts zu tun. Die drei sollen die Ergebnisse
       des Nationalen Bildungsberichts vorstellen (siehe Kasten). 53 Minuten
       sprechen sie über die großen Linien: Personalmangel, Schulabbrecherquoten,
       Chancenungleichheit. Erst als es dazu keine Fragen mehr gibt, lässt der
       Leiter der Bundespressekonferenz Fragen nach den Vorgängen im
       Bildungsministerium zu.
       
       „Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut in unserem Land, und dieses
       Recht ist verfassungsrechtlich geschützt“, sagt Stark-Watzinger. „Ich
       verteidige die Wissenschaftsfreiheit in jede Richtung,
       Wissenschaftsförderung erfolgt nach wissenschaftsgeleiteten Prinzipien.“
       
       Stark-Watzinger blickt ernst und spricht ruhig, manches liest sie ab.
       Weitgehend wiederholt sie das, was ihr Ministerium zuvor schon verkündet
       hatte: dass ihr die Mail mit der Prüfung zu den förderrechtlichen
       Konsequenzen erst am 11. Juni zur Kenntnis gekommen sei und dass sie danach
       eine Aufklärung des Sachverhalts veranlasst habe. „Ich habe den
       betreffenden Auftrag, förderrechtliche Konsequenzen prüfen zu lassen, nicht
       erteilt und nicht gewollt“, beteuert Stark-Watzinger. Der dadurch erweckte
       Eindruck sei geeignet, das Vertrauen von Wissenschaftler*innen in das
       BMBF zu beschädigen, deshalb sei eine Zusammenarbeit mit ihrer
       Staatssekretärin nicht mehr möglich.
       
       Zu den Rücktrittsforderungen sagt sie: „Dazu sehe ich keine Veranlassung“.
       
       17 Jun 2024
       
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