# taz.de -- Wissenschaftsfreiheit in Deutschland: Stark-Watzinger muss zurücktreten
       
       > Das Bildungsministerium wollte kritischen Wissenschaftlern die
       > Fördermittel streichen: Das ist ein Fall von Machtmissbrauch. Er liegt im
       > autoritären Trend.
       
 (IMG) Bild: Ziemlich illiberal für eine Liberale: FDP-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger
       
       Mit jedem Tag, den der Krieg in Gaza fortdauert, erscheint die deutsche
       „Staatsräson“ fragwürdiger. Umso verbissener kämpfen dessen Vertreter
       darum, sie durchzusetzen, und offenbaren dabei autoritäre und illiberale
       Neigungen.
       
       Mehrere Uni-Proteste, Protestcamps und ganze Kongresse wurden mit
       Polizeigewalt aufgelöst. Kritische Künstler, Wissenschaftler und andere
       Intellektuelle aus dem Ausland wurden ausgeladen oder an der Einreise
       gehindert, während man hierzulande versucht, sie mit
       „Antisemitismusklauseln“ und anderen Mitteln auf Linie zu bringen.
       Deutschland gehe damit viel weiter als die USA, die ebenfalls Israel
       unterstützen, kritisierte der deutsch-britische Journalist und
       Deutschland-Experte [1][Hans Kundnani kürzlich in einem vielbeachteten
       Essay im US-Debatten-Magazin Dissent].
       
       Viele deutsche Wissenschaftler:innen sehen das ähnlich kritisch und
       sind deshalb besorgt. Einige von ihnen lancierten im Mai [2][einen offenen
       Brief], in dem sie das Recht auf Protest an ihren Hochschulen verteidigten.
       Solche Proteste wurden gerade in der Hauptstadt mehrfach durch die Polizei
       unterbunden und aufgelöst – [3][zuletzt an der Humboldt-Universität zu
       Berlin]. Fast 400 Erstunterzeichner*innen haben den Brief
       unterschrieben, über 1.000 weitere Wissenschaftler*innen unterstützten
       ihn mit ihrer Unterschrift. Es ging ihnen darum, Grundrechte zu
       verteidigen. 
       
       ## Auf dem Boden der Verfassung?
       
       Doch die FDP-Wissenschaftsministerin Stark-Watzinger sah das anders: Sie
       unterstellte den Unterzeichnern, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu
       stehen, und [4][setzte sich an die Spitze einer Hetzkampagne der
       Bild-Zeitung gegen die Wissenschaftler. Das war schon skandalös genug]. Nun
       stellt sich heraus, dass Stark-Watzinger die Wissenschaftler, die den
       offenen Brief unterschrieben haben, auch noch bestrafen wollte. In ihrem
       Ministerium ließ sie prüfen, ob man ihnen etwa bereits zugesagte
       Fördermittel wieder entziehen könnte. Das ist ein klarer Fall von
       Machtmissbrauch.
       
       Die Fachleute in ihrem Haus wiesen das Ansinnen zurück, das allen Kriterien
       der Wissenschaftlichkeit Hohn spricht. Doch die Absicht ist klar:
       Wissenschaftler:innen sollen sich mit politischen Äußerungen
       zurückhalten, sonst drohen Konsequenzen. Das verbindet diesen Fall mit der
       [5][Hexenjagd gegen Geraldine Rauch, die junge Präsidentin der Technischen
       Universität in Berlin].
       
       Die Hochschul-Präsidentin sollte wegen drei „Likes“, von denen nur einer
       problematisch war, und trotz mehrfacher Entschuldigung zum Rücktritt
       gedrängt werden. Sagen wir es mal so: Wäre das der Maßstab für Rücktritte,
       dann hätten schon viele andere vor ihr den Hut nehmen müssen – an erster
       Stelle Männer wie der ehemalige CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und
       sämtliche Verkehrsminister der CSU.
       
       ## Schaden für den Wissenschaftsstandort
       
       All das schadet dem Wissenschaftsstandort Deutschland. Wer glaubt noch,
       dass das Bildungsministerium seine Fördergelder allein nach
       wissenschaftlichen Kriterien vergibt? Auch die [6][Ausladung der
       US-Philosophin Nancy Fraser durch die Universität Köln] wurde aus dem
       Bildungsministerium begrüßt – das war ein fatales Signal. Wie wird es wohl
       im Ausland gesehen, dass sich Ministerinnen und andere Politiker gemeinsam
       mit Boulevardmedien so stark in die Belange der Hochschulen einmischen?
       
       Stark-Watzinger sollte zurücktreten, um keinen weiteren Schaden
       anzurichten. Wer glaubt, dass solche Bestrafungspläne dem Kampf gegen
       Antisemitismus dienen, ist bestenfalls naiv. Sie ebnen den Weg für eine
       autoritäre Politik. Die AfD wird sich für diese Ideen bedanken.
       
       11 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.dissentmagazine.org/online_articles/zionism-uber-alles/
 (DIR) [2] https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfVy2D5Xy_DMiaMx2TsE7YediR6qifxoLDP1zIjKzEl9t1LWw/viewform
 (DIR) [3] /Gaza-Proteste-an-Hochschulen/!6012585
 (DIR) [4] /Besetzungen-von-Hochschulen/!6006389
 (DIR) [5] /TU-Berlin-Praesidentin-Geraldine-Rauch/!6012094
 (DIR) [6] /Nancy-Fraser-ueber-Cancel-Culture/!6002965
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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