# taz.de -- Vor den Parlamentswahlen: Was in Frankreich auf dem Spiel steht
       
       > Nach der Auflösung der Nationalversammlung steht Frankreich vor einer
       > ungewissen Zukunft. Zwei sehr heterogene Blöcke ziehen in den Kampf.
       
 (IMG) Bild: Starker Mann der Rechten: Jordan Bardella von Rassemblement National am 19. Juni vor der Presse
       
       Dass in der Politik alles möglich ist, dass das, was gestern noch als
       völlig aussichtslos galt, morgen plötzlich Wirklichkeit werden kann,
       scheint sich diesmal wieder einmal zu bestätigen. Ausgerechnet hier in
       Frankreich, dem Land der Französischen Revolution und der Erklärung der
       Menschenrechte, dem Land von Descartes, Rousseau, Victor Hugo, Émile Zola
       und Jean-Paul Sartre, einem der Gründungsländer und Hauptpfeiler der
       Europäischen Union.
       
       Einem Land, von dem man wirklich alles andere erwartet hätte als das, was
       nun geschieht. Mit der Entscheidung von Staatspräsident Emmanuel Macron,
       vorzeitig das Parlament aufzulösen, stürzt das Land in eine schwere
       politische Krise, die mit dem Wahlsieg der französischen Rechtspopulisten
       des Rassemblement National (RN) von [1][Marine Le Pen] und [2][Jordan
       Bardella] enden könnte.
       
       Die umstrittene Auflösung der Nationalversammlung hat urplötzlich eine neue
       Dynamik geschaffen, allerdings mit außerordentlich hohen Risiken für die
       Demokratie und den Rechtsstaat, sollte das Kalkül der Rechtspopulisten
       aufgehen und sie stärkste Partei werden.
       
       Um ihre Pläne zu durchkreuzen, haben sich nun schon am 13. Juni praktisch
       alle französischen Linksparteien in einem [3][24-Stunden-Marathon] zur
       Volksfront, der Nouveau Front populaire, zusammengeschlossen, einem
       politischen Kampfbündnis, das vom rechten Flügel der Sozialisten über die
       Kommunisten und die Grünen bis zur radikal-revolutionären Linken der
       Nouveau Parti anticapitaliste (NPA) reicht, mit einem Programm von
       radikalen Reformen, um dem RN den Wind aus den Segeln zu nehmen.
       
       ## Miese Aussichten für die Ukraine
       
       Dazu gehört eine Kehrtwende für Macrons umstrittene Rentenreform, die
       Erhöhung des staatlich garantierten Mindestlohns auf 1.600 Euro monatlich,
       die Rücknahme der Gas- und Strompreiserhöhungen sowie die Wiedereinführung
       der Reichensteuer, die Macron abgeschafft hatte. Am Wahltag des 30. Juni
       wird sich herausstellen, ob die Linke mit diesem Programm ihre Stammwähler
       zurückgewinnen kann.
       
       Außer Frage steht hier jedoch, dass unter den jetzigen Bedingungen der
       rechtsextreme Rassemblement National zum ersten Mal seit dem Ende des
       Zweiten Weltkriegs nicht nur die größte Parlamentsfraktion in der
       französischen Nationalversammlung stellen wird, sondern möglicherweise
       sogar eine absolute Mehrheit von mindestens 289 der insgesamt 577 Sitze.
       Aktuelle Prognosen deuten derzeit auf 230 Sitze.
       
       Wahrscheinlicher ist vorläufig, dass der RN nur die relative Mehrheit der
       Parlamentssitze erringt und einen Partner aus dem bürgerlichen Lager
       braucht, um regieren zu können. Ein Kandidat dafür sitzt schon in den
       Startlöchern. Der Vorsitzende der rechtsbürgerlich-neogaullistischen Partei
       Les Républicains, [4][Eric Ciotti], biederte sich bereits an, indem er ohne
       jede Absprache mit den Parteigenossen ein Wahlbündnis mit den
       Rechtsradikalen einging, was zu einem Skandal und schließlich dazu führte,
       dass die Konservativen ihn absetzten.
       
       Natürlich würde eine rechtsextreme Regierung in Paris die [5][Hilfe für die
       Ukraine] sofort stoppen, und ähnlich wie Donald Trump in den USA, sollte er
       die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden, die Ukraine im Stich
       lassen und vermutlich sogar Präsident Wolodymyr Selenskyj zur Kapitulation
       drängen. Unmittelbarer Auslöser für diesen Umschwung in Frankreich war das
       schlechte Abschneiden von Macrons Zentrumspartei bei der Europawahl, bei
       der die Liste des RN 32 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten hatte,
       Macrons Zentrumspartei jedoch nur 13 Prozent.
       
       ## Hoffnung auf politischen Realismus
       
       Diese Niederlage des Zentrums ermutigte die Rechtspopulisten dazu, eine
       [6][sofortige Parlamentsauflösung und Neuwahlen] zu fordern, eine
       Forderung, der der Präsident unglücklicherweise umgehend nachgekommen ist.
       Vermutlich trieb ihn die Illusion, seine Partei könne gestärkt aus diesen
       Parlamentsneuwahlen hervorgehen. In Wirklichkeit erwies sich seine
       Entscheidung als willkommenes Geschenk an die Rechtsextremisten, die damit
       sofort in die Offensive gingen.
       
       Die Linksparteien reagierten bekanntermaßen mit dem Zusammenschluss zur
       Nouveau Front populaire, der Neuen Volksfront, die die Linkspopulisten der
       France insoumise (FI) umfasst, die Sozialistische Partei (PS) von Olivier
       Faure, die Grünen, die Kommunistische Partei (PCF) und die trotzkistische
       NPA. Meinungsumfragen zufolge könnte diese große Wahlplattform von fünf
       Linksparteien im ersten Wahlgang 30 Prozent der Wählerstimmen gewinnen,
       wohingegen der RN auf 40 Prozent käme.
       
       Gelingt es der rechtsextremen Partei, mithilfe von Le Pen an die Regierung
       zu kommen, wäre das nichts anderes als ein erdrutschartiger Sieg der
       Rechtsradikalen, der die politische Landschaft in Frankreich total
       verändern würde. Es wäre ein noch nie dagewesenen Rechtsruck. Macron wäre
       dazu gezwungen, Jordan Bardella zum neuen Ministerpräsidenten zu ernennen.
       
       Die neue, gefährliche, politische Konstellation ist die einer extremen
       Polarisierung: hier der vereinigte und durch das bürgerliche Lager zum Teil
       verstärkte Rechtsblock, dort die in der neuen Volksfront vereinigte Linke,
       die allerdings längst nicht homogen ist. Nach wie vor bestehen erhebliche
       politische Differenzen zwischen der sozialdemokratischen Partei, den Grünen
       und der linkssozialistisch-radikalen FI.
       
       Anzumerken wäre noch, dass im Gegensatz zu dem früheren Wahlbündnis Nupes
       (Nouvelle union populaire ecologiste et socialiste) in der neu gegründeten
       Volksfront die politischen Gewichte verschoben sind. So ist die FI nicht
       mehr dominierend, wohingegen der Einfluss der Sozialisten und der Grünen
       erheblich zugenommen hat. Ihr politischer Realismus lässt darauf hoffen,
       dass die Volksfront bei den Parlamentswahlen letztendlich besser
       abschneiden wird als vorausgesagt.
       
       20 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Vorsitzender-des-Rassemblement-National/!5890232
 (DIR) [3] /Frankreich-vor-den-Parlamentswahlen/!6014480
 (DIR) [4] https://www.france24.com/en/live-news/20240612-%F0%9F%94%B4-france-s-rightwing-les-r%C3%A9publicains-vote-out-leader-%C3%A9ric-ciotti-over-election-pact-with-far-right
 (DIR) [5] /Abstimmung-ueber-Macrons-Ukraine-Abkommen/!5998254
 (DIR) [6] /Europawahl-in-Frankreich/!6016542
       
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