# taz.de -- Politikwissenschaftler über Populismus: „Wie eine Lupe für das Bauchgefühl“
       
       > Woraus resultiert die Stärke der Populisten? Und was folgt daraus für die
       > etablierten Parteien? Marcel Lewandowsky über Hintergründe des
       > Rechtsrucks.
       
 (IMG) Bild: Wenn Konservative von „kleinen Paschas“ sprechen, bestärkt das nur die Populisten. AfD-Aufkleber
       
       taz: Populisten halten sich für die wahren Demokraten, so lautet die
       Grundthese Ihres Buches. Weshalb haben die Populisten unrecht? 
       
       Marcel Lewandowsky: Die Populisten sagen: Wir leben nicht in einer
       Demokratie, aber wenn wir drankommen, stellen wir die wahre Demokratie
       wieder her. Ihnen einfach Unrecht vorzuwerfen ist nicht so einfach. Denn
       was sie wollen, ist schon eine gewisse Art von Demokratie. Sie wollen eine
       totale Volksherrschaft. Aber diese wäre in der Konsequenz eben illiberal.
       Sie nutzen das Versprechen, dass das Volk allein regieren sollte, um
       Justiz, Verfassungsgericht, Medien mit ihren eigenen Leuten zu besetzen.
       Die Wahlen bleiben erhalten, aber die Gewaltenteilung wird ausgehebelt.
       
       „Die Demokratiezerstörer nennen sich Demokraten. Die Totalitären predigen
       Toleranz“, zitieren Sie Beatrix von Storch. Glauben AfD-Politiker wirklich,
       die wahren Demokraten zu sein?
       
       Es ist gar nicht wichtig zu fragen, ob die Spitzen der AfD das tatsächlich
       glauben. Mir geht es eher darum, dass diese Parteien ein Programm haben,
       das auf genau diese Erzählung angelegt ist. Die Demokratie wird uns von den
       Eliten weggenommen und wir bringen sie euch zurück. Und Menschen, die sie
       wählen, glauben das.
       
       Populisten und ihre Wähler zeichne der Glaube an einen „gerechten
       Widerstand“ aus, schreiben Sie. Welche Rolle spielt dieser Gedanke bei den
       aktuellen Attacken auf Politiker? 
       
       Es wäre nicht seriös zu sagen, dass ich die Psychologie der einzelnen Täter
       erklären könne. Wir wissen aber, dass populistisch eingestellte Menschen
       oftmals eine höhere Toleranz gegenüber politischer Gewalt haben – oder sie
       sogar befürworten. Sie glauben, da oben sei eine übermächtige Elite, die
       Menschen wie sie, welche die eigentliche Mehrheit bilden, den Mund
       verbietet. Also müssen sie sich dagegen auflehnen.
       
       Rechter Populismus und rechter Extremismus seien „nicht unbedingt
       kompatibel“. Wovon hängt das ab? 
       
       Parteien wie die AfD bilden sowohl für Menschen mit rechtspopulistischen
       als auch für welche mit rechtsextremistischen Einstellungen eine Plattform.
       Das eine ist aber nicht einfach das Extremere des anderen. Beide wählen die
       AfD, aber das sind unterschiedliche Gruppen. Eine Person, die will, dass
       der wahre Volkswille umgesetzt wird, muss nicht antidemokratisch
       eingestellt sein. Aber diejenigen, die den starken Führer wollen, haben
       eine antidemokratische Einstellung. Den Rechtspopulisten gelingt es
       bislang, beiden Ansichten Platz zu bieten. Auf der Wählerebene funktioniert
       es, auf der Parteiebene führt es zu [1][Konflikten zwischen den
       populistischen und den faschistischen Vertretern].
       
       Sie sprechen von einer „stillen Reserve“ populistischer Wähler. Das
       Weltbild schlummere bereits in ihnen und könne durch entsprechende Parteien
       „aktiviert“ werden. Woher stammen die populistischen Einstellungen? 
       
       Darüber rätseln wir auch in der Forschung. Wir wissen aber, dass politische
       Einstellungen über das ganze Leben hinweg nicht vollständig konstant sind.
       Menschen aus einem Arbeiterhaushalt sind in der Jugend vielleicht relativ
       links. Dann studieren sie, werden Steuerberater und haben zur Sozialpolitik
       andere Ansichten. Bei populistischen Einstellungen ist diese Mechanik
       grundsätzlich nicht unähnlich. Es gibt aber bestimmte Effekte, die sie
       verstärken.
       
       Dazu gehören Einsamkeit, das Gefühl, ausgeschlossen und übervorteilt zu
       sein, die Angst vor ökonomischem Statusverlust oder die Wahrnehmung einer
       Krise. Die Parteien pflanzen diese Einstellungen nicht ein, sondern sie
       aktivieren oder verstärken etwas, was bereits da ist. Es ist, als würden
       sie den Leuten eine Lupe geben, mit der sie in ihr eigenes Bauchgefühl
       hineinsehen können.
       
       Einmal aktiviert, lassen sich viele Unterstützer nur schwer zurückgewinnen.
       Die AfD-Wählerschaft zeige die geringste Bereitschaft, eine andere Partei
       zu wählen, schreiben Sie. Welche Botschaft sendet das an die „etablierten
       Parteien“? 
       
       Es sendet die Botschaft, dass man sich nicht auf kurzfristige
       Lösungsansätze verlassen sollte. [2][Die Parteien sind gerade Getriebene.]
       Manche glauben, dass sie die Wähler am besten mit AfD-Positionen
       zurückholen können. Wir wissen aus der Forschung, dass das nicht stimmt.
       
       Wenn man in der Migrationspolitik weiter nach rechts rückt, dann [3][stärkt
       das die Rechtspopulisten sogar.] Stellen wir uns einmal vor, jemand wählt
       AfD, weil er gegen die Asylpolitik ist, und plötzlich spricht Friedrich
       Merz von „kleinen Paschas“. Dann wird derjenige nicht sofort CDU wählen,
       sondern sich zunächst einmal in seiner Wahl bestätigt fühlen.
       
       Welche Strategie empfehlen Sie? 
       
       Die Frage ist, wie man es schafft, mit den Mitteln der wehrhaften
       Demokratie der AfD beizukommen und sie aus den Institutionen
       herauszuhalten. Kurzfristig darf man mit ihr weder koalieren noch sich von
       ihr in einer Minderheitsregierung abhängig machen. Langfristig stellt sich
       die Frage, was populistische Einstellungen aktiviert. Wenn wir wissen, dass
       es mit Angst vor Statusverlust zu tun hat, dann geht es langfristig im
       weitesten Sinne um Sozialpolitik. Auch über lokale Bürgerräte sollte man
       nachdenken. Sie erhöhen nachweislich die Zufriedenheit mit der Demokratie.
       
       Die Aktivierung der populistischen Einstellung könne erfolgen, wenn der
       politische Kontext günstig sei – etwa durch ein schwache Wirtschaftslage.
       Das führt zum konservativen Vorwurf, dass die Ampel-Regierung schuld sei am
       Erstarken der AfD. 
       
       Die Performance der Bundesregierung ist nicht gut, aber das Argument hinkt
       trotzdem. Denn wenn die Ampel schuld ist und die Union eine klar
       konservative Position einnimmt, wieso gewinnt die Union nicht noch stärker
       anstelle der AfD? Ich halte das Argument nicht für plausibel. AfD-Wähler
       sind zu einem großen Teil gegenüber ihrer Partei loyal, weil sie die
       illiberale Demokratievorstellung und die negative Einstellung zur Migration
       teilen. Sie ist keine reine Protestpartei, sondern holt die Menschen da ab,
       wo sie stehen.
       
       Der frühere Ostbeauftragte Marco Wanderwitz hat unlängst einen AfD
       -Verbotsantrag gefordert. Wie stehen Sie dazu? 
       
       Wenn die AfD eine in Teilen extremistische Partei ist, dann ist es ein
       Instrument der wehrhaften Demokratie, sie zu verbieten. Nach dem letzten
       Urteil sollte die Wahrscheinlichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht sie
       verbietet, auf jeden Fall nicht gesunken sein.
       
       Der Bundesrat könnte als überparteiliches Gremium ein solches
       Verbotsverfahren anstrengen. Aber dann sollte es auch jetzt bald passieren,
       denn solche Verfahren dauern lange. Wir reden hier von zwei oder mehr
       Jahren, während derer die AfD das Ganze für sich nutzen könnte, indem sie
       den Prozess als Gängelung durch die politischen Eliten bezeichnet und damit
       bis ins konservative Spektrum mobilisiert.
       
       18 Jun 2024
       
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