# taz.de -- Politologe über Migrationspolitik: „Das hilft der AfD“
       
       > Migration vor allem als Problem zu diskutieren, legitimiere die AfD, sagt
       > der Politologe Werner Krause. Wähler*innen bekomme man so nicht
       > zurück.
       
 (IMG) Bild: Berliner Brandmauer: Die Anti-Rechts-Proteste signalisieren Parteien, jede Kooperation mit der AfD klar auszuschließen
       
       taz: Herr Krause, die AfD ist im Umfragehoch. Gleichzeitig gehen
       Hunderttausende gegen Rechts auf die Straße. Wird das den Höhenflug der
       Partei bremsen? 
       
       Werner Krause: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Es gibt Studien
       etwa aus Italien, Frankreich oder Griechenland, die gezeigt haben: Proteste
       können den Stimmenanteil von Rechtsaußenparteien durchaus negativ
       beeinflussen. Untersucht wurden da aber meist Proteste unmittelbar vor
       Wahlen – da sind wir ja noch nicht.
       
       Es könnte also völlig wirkungslos sein? 
       
       Erst mal sind diese Proteste ein wichtiges Signal, das zeigt: Sehr viele
       Bürger*innen nehmen nicht nur die Radikalität dieser Partei wahr,
       sondern sind bereit, aktiv dagegen zu demonstrieren. Für drei Gruppen
       könnte das bei einer Wahl durchaus relevant sein: Für jene, die erwägen,
       zum ersten Mal AfD zu wählen und die nun sehen: Große Teile der
       Gesellschaft sind mit dieser Partei nicht einverstanden. Dann für Menschen,
       denen bisher vielleicht das Interesse gefehlt hat, sich mit der AfD zu
       beschäftigen, und die nun lieber ihre Stimme einer anderen Partei geben,
       statt gar nicht zur Wahl zu gehen. Und drittens die Mitte-Rechts-Parteien:
       [1][Die Protestierenden signalisieren ihnen gerade sehr klar, dass die
       Brandmauer für sie stehen muss].
       
       Was hieße das übersetzt in konkrete politische Handlungen? 
       
       Das hieße für die Parteien der politischen Mitte einerseits, jede
       Kooperation mit der AfD klar auszuschließen. Und andererseits, weniger
       häufig ihre Themen zu bedienen, sondern politische Debatten zu führen, die
       tatsächlich zu besseren Lebensbedingungen für die Menschen führen würden.
       Also etwa über eine bessere Mietenpolitik oder das Bildungssystem, statt
       sich [2][in der Migrationsfrage von rechts treiben zu lassen].
       
       Viele argumentieren, die AfD sei überhaupt nur so erfolgreich, weil
       Deutschland die Fluchtmigration nicht unter Kontrolle habe. 
       
       Was Rechtsaußenparteien vor allem hilft, sind mediale Aufmerksamkeit und
       Framing. Für viele von ihnen ist Migration ein zentrales Thema, das sie wie
       einen Trichter nutzen: Jedes andere gesellschaftliche Thema muss diesen
       Trichter passieren, sei es Wohnen, Bildung oder der Arbeitsmarkt. Je
       präsenter das Thema im Diskurs ist, desto besser für Parteien wie die AfD.
       Die Ampel spürt den Druck und [3][will mit dem Thema Handlungsfähigkeit
       signalisieren]. Stünde es nicht auf der Tagesordnung, würde der AfD ein
       Stück weit die Existenzgrundlage wegbrechen.
       
       Aber die anderen Parteien können doch nicht aufhören, über
       Migrationspolitik zu sprechen, nur weil das ein Lieblingsthema der AfD ist. 
       
       Natürlich nicht. Die Frage ist: Welches Maß und welches Narrativ wird
       gewählt? Im vergangenen Jahr wurde von der Union, aber auch von
       Ampel-Politiker*innen häufig das Narrativ aufgegriffen, das auch die AfD
       bedient: Dass das Mittel zur Lösung grundlegender gesellschaftlicher
       Probleme weniger Migration wäre. Weniger gesprochen wurde hingegen darüber,
       was es denn bräuchte, um die Herausforderungen zu meistern. Über
       Integration, über [4][Problemlösungen für den Bildungs-] oder
       [5][Wohnungsbereich].
       
       Die Ampel hat zuletzt die Situation Geflüchteter sehr verschärft – auch mit
       dem Argument, man verliere sonst Wähler*innen an die AfD. 
       
       Das klingt ja auch erst mal ganz rational: Wenn Rechtsaußenparteien mehr
       Restriktion fordern und außerdem immer mehr Zulauf haben, müssten Parteien
       in der Mitte diese Wähler*innen doch zurückgewinnen, wenn sie selbst
       mehr Restriktion fordern oder umsetzen. Wir haben das [6][in unserer Studie
       oft beobachtet].
       
       Sie haben anhand von 12 westeuropäischen Ländern untersucht, ob
       Wähler*innen rechten Parteien wieder den Rücken kehren, wenn
       Mitte-Parteien deren Kurs übernehmen. Was war das Ergebnis? 
       
       Der erhoffte Erfolg stellt sich nicht ein. Entweder passiert gar nichts –
       oder der Zulauf nach Rechtsaußen wird sogar noch größer. Die Debatte in
       Deutschland zeigt das ja deutlich: Weder Schlagworte des CDU-Vorsitzenden
       Friedrich Merz wie „kleine Paschas“ oder „Sozialtourismus“ noch die
       Abschiebeforderungen der Bundesregierung haben dazu geführt, dass die
       Zustimmung zur AfD gesunken wäre. Eher im Gegenteil.
       
       Die Union hat bei der Landtagswahl in Hessen im vergangenen Jahr ein recht
       erfolgreiches Ergebnis eingefahren, und im Saale-Orla-Kreis hat der
       CDU-Kandidat mit seinen harschen Asylforderungen gerade gegen den
       AfD-Kandidaten gewonnen.
       
       Die AfD war aber bei beiden Wahlen ebenfalls sehr erfolgreich. In
       [7][Hessen hat sie über 18 Prozent bekommen], im [8][Saale-Orla-Kreis hat
       sie im zweiten Wahlgang] in absoluten Zahlen ebenfalls keine Stimmen
       verloren, sondern noch dazugewonnen. Viele dürften den CDU-Kandidaten nicht
       wegen, sondern trotz seiner Positionen in der Asylpolitik gewählt haben.
       Das kennen wir aus anderen Stichwahlen, etwa um die französische
       Präsidentschaft: Da haben auch sehr viele Progressive Macron gewählt, um
       die rechtsextreme Le Pen zu verhindern. Aber die Rechtsverschiebung im
       Diskurs hat die AfD kein bisschen geschwächt.
       
       Wieso ist das so? 
       
       Weil die Mitte-Parteien damit die von rechts gesetzten Narrative bedienen
       und letztlich auch legitimieren. Schaut her, wir haben es immer gesagt, und
       jetzt haben die anderen es auch erkannt. Es gibt dieses bekannte Zitat des
       Front-National-Gründers Jean-Marie Le Pen: Die Leute wählen lieber das
       Original als die Kopie. Unsere Forschungsergebnisse unterstützen diese
       These leider.
       
       Sind denn die Wähler*innen in Deutschland so rechts, dass sie sich
       zwischen einem Rechtsaußen-Original und einer Kopie entscheiden müssen? 
       
       Ein Rechtsruck im Diskurs muss nicht unbedingt auch einen Rechtsruck in der
       Bevölkerung bedeuten. Auch dafür sind die aktuellen Anti-AfD-Proteste ein
       gutes Beispiel. Die Forschung zeigt, dass vor allem bestimmte Stimmen
       lauter geworden sind. Wir wissen, dass Teile der Bevölkerung schon in den
       1990er und 2000er Jahren migrations- und flüchtlingsfeindliche
       Einstellungen vertreten haben. Die haben mitunter aber trotzdem nicht
       Rechtsaußen gewählt, weil andere Themen für sie dringender waren, etwa die
       soziale Frage. Gerade aber diskutieren wir wie gesagt viele dieser Fragen
       vor allem durch die Migrationsbrille – und das hilft der AfD.
       
       4 Feb 2024
       
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