# taz.de -- Pistorius' Pläne zur Wehrpflicht: Rekrutierung mit Fragebogen
       
       > Braucht Deutschland eine Wehrpflicht? Unsere Kolumnistin findet die Pläne
       > von Verteidigungsminister Pistorius nicht schlecht. Mit Vorbehalten.
       
 (IMG) Bild: „Wer ist eigentlich da?“, fragt Verteidigungsminister Pistorius. Im Bild einer der letzten Wehrpflichtigen im Jahr 2011
       
       Das wirkt doch erst einmal ganz überzeugend, wie der Verteidigungsminister
       Boris Pistorius das mit dieser Wehrnichtpflicht machen will. Das ganze
       Gerede über die Spitzenpersonaltaktik ringsherum – ob nun Olaf Scholz den
       Minister zwischendurch klein gemacht hat und was das über wessen
       Kanzlertauglichkeit zu sagen hat – darf dann auch mal zurückgestellt
       werden. Es war ja relativ klar, dass es bis zur nächsten Bundestagswahl nur
       einen Einstieg in ein „Unsere Truppe muss wachsen“-Programm geben konnte.
       
       Wenn die Union nun herumheult, [1][sie hätte doch etwas Größeres]
       mitgetragen – also das volle Pflichtprogramm inklusive Grundgesetzänderung
       –, so hätte ich mich da jedenfalls auch nicht drauf verlassen. Jetzt aber
       soll eben ein ganzer Jahrgang Post bekommen, und die Jungs müssen antworten
       und sich gegebenenfalls mustern lassen, niemand wird zum Waffendienst
       gezwungen.
       
       Damit müssten doch ein paar Tausend Leute mehr für die Bundeswehr zu
       gewinnen sein als bisher, zumal, wenn zum Beispiel ein Führerschein dabei
       herausspringen sollte, was angesichts der letzthin komplett [2][irre
       gewordenen Fahrschulkosten] für viele junge Menschen ein echtes Argument
       sein könnte.
       
       Erst mal müsse man ja überhaupt herausfinden: „Wer ist eigentlich da?“
       sagte [3][Pistorius am Mittwoch im ZDF]. Auch über die Reservisten gebe es
       leider gar keinen Überblick. Auf die mehreren Hunderttausend Ex-Gedienten
       hat der Minister auch ein Auge geworfen und hofft, einen gewissen Teil von
       ihnen dazu bewegen zu können, sich mal wieder bei der Bundeswehr zu melden.
       Womit aber auch deutlich wird, dass die ganze Personalgewinnungsaktion
       zunächst in genau das ausarten dürfte, was die Bundeswehr besonders gut
       kann: sich in bürokratischen Vorgängen verzetteln.
       
       ## Brauchen wir mehr Soldaten wegen Russland?
       
       Die Adressen der 18-Jährigen scheinen zwar bereits da zu sein, sie werden
       ja jetzt schon angeschrieben, nur eben mit Werbung und nicht mit
       Fragebogen. Ich gehe aber manche Wette ein, dass ein Gutteil der
       bevorstehenden Berichterstattung davon handeln wird, dass wegen der nicht
       gegebenen Digitalisierung diverser Unterbehörden leider soundsoviel
       Zehntausend Menschen nie erreicht wurden oder keiner musternden Lokalität
       zugeordnet werden konnten – oder wie auch immer.
       
       Wobei ich mit solchen Spekulationen nicht über den ernsten Hintergrund der
       Sache hinwegalbern möchte. Es ist überaus plausibel, dass wir mehr
       SoldatInnen brauchen als heute, um einer Bedrohung aus Russland etwas
       entgegenzusetzen.
       
       Nur leidet die Diskussion darüber, was zur Abwehr eines skrupellosen
       Aggressors wie Wladimir Putin zu unternehmen sei, seit dem ersten Kriegstag
       enorm an einem Gegensatz, der sich unter solchen Umständen wohl immer
       auftut: zwischen dem beliebig riesengroß vermutbaren Risiko einerseits und
       den eingeübten bundesdeutschen Verwaltungsrealitäten andererseits. Das
       eine, das Kriegsszenario, ist so fürchterlich, dass das andere, der
       vertraute, zivil geprägte politische Handlungsspielraum, stets läppisch
       dagegen wirkt. Und doch müssen dazwischen argumentative Brücken gebaut
       werden.
       
       Heißt aber auch: Viel, viel mehr müsste noch erläutert werden. Warum zum
       Beispiel lautet die [4][Zielgröße für die Bundeswehr jetzt 203.000], wie
       setzt sich diese Zahl zusammen? Was sollen all die neu zu gewinnenden
       SoldatInnen können, damit die Republik sich wehrhafter fühlen darf? Die
       Gefahr ist natürlich groß, dass hier allzu deutlich wird, wie viele wilde
       Schätzungen und gröbste Vermutungen dabei im Spiel sind. Aber auch daran
       muss eine demokratische Öffentlichkeit sich dann vermutlich gewöhnen.
       
       16 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.deutschlandfunk.de/wadephul-neues-wehrdienst-modell-ist-vertane-chance-100.html
 (DIR) [2] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ist-der-fuehrerschein-zu-einem-luxusgut-geworden-19780990.html
 (DIR) [3] https://www.zdf.de/nachrichten-sendungen/heute-journal
 (DIR) [4] https://www.bundeswehr.de/de/landes-buendnisverteidigung-kernauftrag/personal-schluessel-zur-verteidigungsfaehigkeit
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Winkelmann
       
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