# taz.de -- Jesuit über Hungern aus Protest: „Erpressung ist nicht gegeben“
       
       > Der Jesuit und Aktivist Jörg Alt hat dem Klimaschützer Wolfgang
       > Metzeler-Kick vom Hungerstreik abgeraten. Dennoch unterstützt er ihn.
       
 (IMG) Bild: Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick im Protestcamp im Berlin am 29.05.2024
       
       taz: Herr Alt, der Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick ist seit März
       [1][im Hungerstreik], um [2][den Kanzler dazu zu bringen, in einer
       Regierungserklärung die Dramatik der Klimakrise einzugestehen]. Sie kennen
       Metzeler-Kick seit Langem, waren auch schon in Aktion mit ihm. Können Sie
       als Priester gutheißen, wenn er sein Leben riskiert?
       
       Jörg Alt: Ich habe von Anfang an abgeraten von dem Hungerstreik, weil ich
       eben nicht überzeugt war, dass der Hungerstreik zur jetzigen Zeit
       erfolgreich sein kann. Die Situation ist ganz anders als beim
       [3][Hungerstreik 2021 im Bundestagswahlkampf]. Weil die rechte Seite
       deutlich stärker geworden ist. Das macht es einem Politiker nochmal
       schwerer, auf solche Forderungen einzugehen. Aber nachdem Wolfgang sehr
       reflektiert und intelligent die Dinge bedacht hat und sich dafür
       entschieden hat, diesen Weg trotzdem zu gehen, respektiere ich das und
       unterstütze, wo ich nur kann.
       
       Viele Kritiker:innen führen die Verantwortung an, die Metzeler-Kick für
       seinen 14-jährigen Sohn hat. 
       
       Verantwortung für Kinder kann zwei Dimensionen haben. Das eine ist, ob ich
       mein Kind in eine absehbar schwierigere Zukunft persönlich begleite oder ob
       ich versuche, diese absehbar schlimme Zukunft bestmöglich noch in
       irgendeiner Weise beeinflussen zu können. In Abwägung aller Gründe hat sich
       Wolfgang Metzler-Kick für die zweite Lösung entschieden.
       
       In seiner [4][Regierungserklärung am Donnerstagmorgen] sprach der
       Bundeskanzler vom menschengemachten Klimawandel als der größten globalen
       Herausforderung, vor der wir stehen. Das ist nicht gerade
       Klimawandel-Leugnung. Was würde es darüber hinaus ändern, wenn der Kanzler
       die drei Forderungen der Hungerstreikenden ausspricht? 
       
       Der eine Punkt ist ja, [5][dass wir eigentlich gar kein CO2-Budget mehr
       haben], dass wir schon jetzt auf Kosten des globalen Südens und der
       kommenden Generation leben, also auf Kosten von Wolfgangs Kind. Die
       Bundesregierung erweckt aber immer noch den Eindruck, dass es alles gar
       nicht so schlimm ist, dass wir noch Reserven haben und dass die Technik uns
       irgendwie retten wird. Wir hören schon seit Angela Merkel, dass der
       Klimawandel eine große Herausforderung ist, zugleich hat sich im
       politischen Handeln nichts angemessen schnell verändert, und darum geht es
       ja.
       
       Wir wissen alle, dass der Klimawandel die größte Herausforderung ist. Aber
       wir verstehen nicht, wie dringlich es ist, und wir verstehen auch nicht,
       wie dringlich angemessenes Handeln ist, und wir verstehen auch nicht, was
       das für einschneidende Veränderungen in unserem Wirtschafts- und Lebensstil
       bedeutet. Und darüber müssen wir halt reden.
       
       Es gibt auch aus der Klimabewegung Stimmen, die den Hungerstreik kritisch
       sehen. Ein solches Zeichen der Hoffnungslosigkeit könne auch dazu führen,
       dass Menschen sagen: „Dann ist ja eh schon alles egal.“ 
       
       Jeder Mensch ist für das verantwortlich, was er entscheidet und tut, und
       ich würde dann eher wie Papst Franziskus sagen: Wer bin ich, über Wolfgang
       und seine Entscheidung zu richten? Ich bin über seine Entscheidung nicht
       glücklich, aus vielen Gründen. Aber nochmal: ich respektiere sie und
       versuche letztlich eben jetzt auch das Beste aus seiner Entscheidung
       herauszuholen.
       
       Manche sprechen von Erpressung, zu Recht? 
       
       Erpressung ist letzten Endes, dass man von einem anderen etwas erzwingen
       will zum eigenen Vorteil, und das ist in diesem Fall nicht gegeben. Worum
       es bei dem Hungerstreik geht, ist eigentlich, dass das der Öffentlichkeit
       vor Augen gestellt werden soll, wovon die Wissenschaft und
       Klimagerechtigkeits-Aktivisten seit Jahren und Jahrzehnten warnen. Ohne den
       Hungerstreik würden wir dieses Interview nicht führen. Also, ein
       Hungerstreik hat durchaus das Potenzial, in der Gesellschaft auch noch mal
       eine Debatte anzuschieben, die es ohne ihn nicht gäbe. Und daraus erwächst
       halt die Hoffnung, dass wir vielleicht doch ein paar Schritte weiterkommen.
       
       Beim [6][Demokratiefest vor einer Woche] hat der Kanzler den Hungerstreik
       so kommentiert: „Zu sagen, ich löse die Situation mit einem Bekenntnis zu
       irgendetwas, ist kein Ausweg, denn es ist keine religiöse Veranstaltung“.
       Ist Klimaprotest für Sie als Jesuit doch eine religiöse Veranstaltung? 
       
       Das ist völliger Blödsinn. Klimagerechtigkeit ist kein Gegenstand der
       Religion, sondern der Ethik. Religion ist Überzeugtsein von Dingen, die man
       nicht sieht, wie es im Hebräerbrief heißt. Aber Klimawissenschaft ist nun
       wirklich eine Wissenschaft, die sich mit Fakten und Vorhersagen
       beschäftigt. Und wir sehen ja, dass die Vorhersagen der Klimawissenschaft
       alle eintreffen, nur eben schneller als ursprünglich angenommen.
       
       Ich finde also eher die Frage relevant, ob ich eine Bevölkerung wie
       Erwachsene oder wie quengelnde Kinder behandle: Wenn man, wie etwa beim
       [7][Bürgerrat] Klima, eine Bevölkerung wie erwachsene Menschen behandelt
       und ihnen Risiken und Nebenwirkungen klar erklärt und was sich daraus an
       Handlungen ergibt, dann bekommt man eine andere Resonanz, als wenn man die
       Bevölkerung wie quengelnde Kinder behandelt, denen man alle Wünsche folgend
       Meinungsumfragen erfüllt, wie es die FDP will, wenn sie lieber Straßen als
       Schienen fördert.
       
       Verlangt der Klimawandel wirklich nach Märtyrern? 
       
       Man hat auch [8][2021 beim Hungerstreik der Letzten Generation] befürchtet,
       dass das Kreise zieht. Das hat es nicht getan. Wolli ist jetzt nicht
       jemand, der morgens aufgewacht ist und gesagt hat, ich mache einen
       Hungerstreik, sondern es wäre wichtig, sich ins Gedächtnis zu rufen, was er
       alles vorher schon gemacht hat, um auf diese Probleme aufmerksam zu machen.
       Insofern ist für ihn der Hungerstreik eine ultima ratio. Jeder sollte erst
       mal so viel tun wie Wolfgang Metzeler-Kick, um das Problem zu lösen, bevor
       er über ihn die Lanze bricht.
       
       Sie halten den Hungerstreik also doch für gerechtfertigt. 
       
       Ich finde immer noch den [9][offenen Brief gut, den der Klimaforscher
       Hans-Joachim Schellnhuber damals zum Hungerstreik der Letzten Generation
       geschrieben hat]. Er schrieb: Die Lage ist so ernst, dass euer Hungerstreik
       gerechtfertigt ist. Und dann hat er gesagt, der Deutsche habe die Tendenz,
       Hungerstreikende immer dann zu lieben, wenn sie tot sind oder weit weg. Wie
       Gandhi oder [10][Nawalny]. Ich ergänze: wenn die Hungerstreikenden im
       eigenen Garten sitzen, dann finden die Deutschen sie peinlich. Es ist immer
       einfach, von außen über jemanden zu richten, der sich die Entscheidung
       verdammt schwer gemacht hat.
       
       Gandhi, Nawalny oder die Demokratie-Aktivistin [11][Netiporn Sanesangkhom],
       die kürzlich in thailändischer Haft gestorben ist und von den Streikenden
       im Invalidenpark angeführt wird – ist es nicht etwas anderes, in einer
       Diktatur dieses radikale Mittel zu wählen, als in Deutschland, in dem freie
       Rede und viele Formen der Einflussnahme möglich sind? 
       
       Ja, und letzten Endes gewinnen immer die Lobbyisten und die FDP. Also: wie
       viel Freiheit haben wir in unserem Land? Das ist ja schon auch die Anfrage
       der Klimagerechtigkeits-Aktivisten: Wer hat in unserem Land das Sagen? Und
       wenn die Mehrheit der Bevölkerung ein Lebensmittel-Retten-Gesetz oder ein
       [12][Tempolimit] will, aber eine 3-Prozent Partei sagt: 'nö, haben wir
       keinen Bock drauf’. Was ist dann die Demokratie wert? Die falschen Leute
       setzen sich immer wieder durch. Auch wenn es vielleicht netter verpackt
       ist, als in anderen Ländern. Wenn Politik und Gesellschaft weiter
       berechtigte und wohlbegründete Anliegen ignorieren, muss man natürlich auch
       damit rechnen, dass verzweifelte Menschen immer extremere Mittel in
       Stellung bringen.
       
       6 Jun 2024
       
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