# taz.de -- Letztes Album von Shellac: Konsequente Klangmathematik
       
       > „To All Trains“ ist das letzte Album des US-Noiserock-Trios Shellac. Es
       > trägt die Handschrift des kürzlich verstorbenen Masterminds Steve Albini.
       
 (IMG) Bild: Shellac: Steve Albini, Todd Trainer und Bob Weston (v. l. n. r.)
       
       Selten sind die Nachrufe und Trauerbekundungen für einen Musiker so
       zahlreich und bewegt durch die sozialen Medien und die Fachmagazine
       gerauscht wie im Falle von Steve Albini. [1][Zumindest wenn man einrechnet,
       dass hier kein Rockstar früh, mit nur 61 Jahren, verstorben ist, sondern
       der Gitarrist und Sänger und einer vergleichsweise kleinen US-Band.] Aber
       eben auch einer der legendärsten Produzenten der Gegenwart.
       
       Obwohl, „Produzent“ hätte Albini nicht gelten lassen. Von sich selbst
       sprach er nur als „sound engineer“, als Toningenieur, und an dem Punkt
       liegt wohl auch ein Schlüssel zu diesem doch gigantischen Lebenswerk.
       Albini begriff Sound als Ingenieursarbeit, die das Material, die
       Instrumente und ihre spezifischen Klänge, und das Ergebnis, den Sound, an
       die allererste Stelle setzt. Und danach kommt dann lange nichts mehr.
       
       Dass „To All Trains“ – wie lange vorher geplant – wenige Tage nach Steve
       Albinis Tod veröffentlicht wurde, belädt das siebte und letzte Album seiner
       Band Shellac natürlich jetzt mit reichlich Gewicht. Dieses löst sich beim
       Hören aber dann doch schnell auf. Zehn kurze Songs, die auf den vorherigen
       Werken nicht aufgefallen wären. Schwerer, aber eben auch immens groovender
       Noiserock, dem man anhört, dass hier auch Led Zeppelin und AC/DC gerne und
       oft gehört wurden. Und nicht nur die japanische Noiseband Zeni Geva.
       
       Der eigenwillige, dissonante Gitarrenkrach tut anders als bei Albinis
       früheren Bands Big Black und Rapeman nie wirklich weh. Zur
       genreuntypischen Schmerzfreiheit trägt der hyperkalkulierte Charakter der
       Musik wesentlich bei.
       
       Wucht der Musik 
       
       Songs wie der Auftakt „WSOD“ und „Scrappers“ wirken wie durchgerechnet
       statt komponiert. Und wenn dann jemand auf ein Verzerrerpedal tritt oder
       herumschreit, löst die Gleichung sich sozusagen auf. Die Wucht dieser Musik
       kommt nicht aus den ansonsten typischen Laut-leise-Wechseln, laut ist es
       nämlich fast ununterbrochen, sondern aus einer starken Anspannung, die
       immer wieder gelöst wird.
       
       Shellac-Alben waren für Steve Albini immer auch Gelegenheit, den Sound, den
       er in seinem Chicagoer Electrical-Audio-Studio entwickelt hat, in
       konzentrierter Form vorzuführen. Bass, Schlagzeug und Gitarre sind im
       selben Raum aufgenommen, immer auf den Punkt, keine Ungenauigkeit, nichts
       wird verschliffen.
       
       Alle spielen maximal diszipliniert, und diese Konzentration findet ihre
       Entsprechung im Klang. Diese klanggewordene Reduktion wirkt trocken und ist
       trotzdem nie klinisch. Steve Albini hat bei den Aufnahmen der Shellac-Alben
       und auch sonst nie mit Effekten oder Kompressoren gearbeitet. Der Raum
       schwingt immer mit, und der Verlust, den Albinis Tod bedeutet, wird beim
       Hören noch mal deutlich.
       
       Viele Bands werden nun nicht mehr so klingen können, wie sie klingen
       könnten, wären sie mit Steve Albini im Studio. Und „besser“ ist hier nichts
       Banales, sondern ein Unterschied ums Ganze. Steve Albinis Rants gegen die
       [2][Musikindustrie] im Allgemeinen und Majorlabels im Besonderen sind
       legendär.
       
       Radikal-konsequentes Arbeitsethos 
       
       Die Polemik kommt aus einer Wut gegenüber einer zynischen Berufsauffassung,
       die nicht mehr die Liebe zum Material als das Wichtigste setzt, sondern
       alles andere: Image, Strategie, Profit. Dem hat Steve Albini mit seinem
       Lebenswerk ganz Old School ein radikal-konsequentes Arbeitsethos
       entgegengesetzt, das in der [3][US-DiY-Hardcore-Punkszene] der Achtziger
       geprägt wurde. Man macht alles selbst, und man nimmt so wenig Geld, dass
       das Studio auch für Nobodys bezahlbar bleibt. Der Gedanke, dass hier einer
       bis zum Herzinfarkt geackert hat, lässt das Ganze etwas tragisch werden.
       
       „To All Trains“ ist sicher nicht das beste Shellac-Album, wobei es, wie
       alle Werke dieser Band, mit jedem Hören wächst. Die zehn Songs wirken,
       gerade weil hier nichts weltbewegend Neues passiert, als Abschluss dieses
       Lebenswerks sehr passend.
       
       Was Steve Albinis Schaffen neben dem unverwechselbaren Sound ausmacht, ist
       eine Konsequenz, die darin besteht, eine die Potenziale der jeweiligen Band
       komplett freilegende Soundästhetik unbeirrbar durchzuziehen. Die schlichte
       Fortführung dieses Sounds ist angemessener, als wenn Shellac mit einem Mal
       ein Elektronik-Album aufgenommen hätten.
       
       Am Ende von „To All Trains“ findet sich eine Art Abschiedslied, mit schönem
       Knarzbass. Sein Titel „I Don’t Fear Hell“. Im Songtext geht es unter
       anderem darum, dass das lyrische Ich, sollte es denn zur Hölle fahren, dort
       unten all seine Freund:Innen wiedertreffen wird.
       
       „Something something something when this is over / I'll leap in my grave
       like the arms of a lover /If there’s a heaven, I hope they’re having fun /
       Cause if there’s a hell, I’m gonna know everyone.“ Unerwartet versöhnlich
       zum Schluss, aber das ist natürlich nur Zufall.
       
       10 Jun 2024
       
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