# taz.de -- Film über HipHop im Iran: Rappen über Todesurteile
       
       > Regisseur Omid Mirnour drehte die Doku „Rap & Revolution Iran“ ohne
       > Förderung. Einer seiner Helden ist der zum Tode verurteilte Rapper Toomaj
       > Salehi.
       
 (IMG) Bild: Der inhaftierte Rapper Toomaj Salehi ist wegen „Korruption auf Erden“ zum Tod verurteilt
       
       Das erste Wort hat eine Frau. [1][Amina Aziz, Islamwissenschaftlerin,
       Autorin und Journalistin], erinnert an [2][Jina Mahsa Amini], die im
       September 2022 eine Zuführung durch die Teheraner Sittenpolizei nicht
       überleben sollte. Die Nachricht von Aminis gewaltsamen Tod hat die
       intensivsten und weitreichendsten Proteste im Iran seit der Islamischen
       Revolution von 1979 ausgelöst. Welche Rolle dabei HipHop im Speziellen und
       Musik im Allgemeinen spielen, untersucht der in Berlin lebende iranische
       Regisseur Omid Mirnour in „Rap & Revolution Iran“.
       
       Sein Film ist relativ zügig zwischen November 2023 und März 2024
       entstanden, sagt Mirnour der taz. Von Januar bis März 2023 hat Mirnour nach
       einer Idee seines Kollegen Nima Najafi-Hashemi, als Musiker unter dem Namen
       Basstard bekannt, die Online-Kampagne [3][„Rap4Azadi“] zur Unterstützung
       der im Iran verhafteten und zum Tode verurteilten Demonstranten gedreht.
       „Azadi“, der Ausklang des kurdischen Dreiklangs „Jin, Jiyan,Azadi“, der ein
       iranweiter Slogan des Aufstands wurde, heißt „Freiheit“.
       
       Aus dieser Kampagne ist der Dokumentarfilm erwachsen. Mirnour sagt: „Als
       jemand, der mit Rap aufgewachsen ist und ihn immer noch gerne hört, habe
       ich eine Doku über iranischen Rap sehr vermisst.“ Gedreht hat er ohne
       Sender oder Förderung, veröffentlicht hat er seine Arbeit auf YouTube,
       „damit sie frei zugänglich ist, anstatt, wie es ja viele Filmemacher
       bevorzugen, zunächst ihre Werke auf Festivals einreichen oder die Rechte an
       einen Vertrieb verkaufen.“
       
       [4][„Rap & Revolution Iran“] ist, Mirnour streitet es selbst nicht ab, ein
       langer Film über schnelle Musik. Zweieinhalb Stunden nach Amina Azizʼ
       Einleitung nennt der Abspann die Namen von insgesamt 17 Protagonisten.
       
       ## Im Hintergrund lauert das Gefängnis
       
       Helden, das schwierige Wort ist hier richtig am Platz, hat der Film
       wesentlich mehr. Einer von ihnen ist [5][Toomaj Salehi, Rap-Musiker und
       Todeskandidat]. Salehi wurde am 24. April 2024 von einem iranischen Gericht
       wegen Aufruf zur Rebellion und „Korruption auf Erden“, so einer der absurd
       anmutenden Straftatbestände der Islamischen Republik, zum Tod durch den
       Strang verurteilt. Er ist telefonisch nicht mehr erreichbar. Nicht zuletzt
       deshalb hat Omid Mirnour „Rap & Revolution Iran“ schnell veröffentlichen
       müssen.
       
       Der Film zeigt ein Video von Toomaj Salehi zu einem Song, den er gemeinsam
       mit seinem Kollegen Afrasiab aufgenommen hat. In „Bazande“ läuft Salehi
       durch eine unwirtliche Stadtlandschaft aus Stahl und Beton. Im Hintergrund
       lauert das Gefängnis, aus dem er 2022 nach einem ersten Todesurteil und
       allen Widerwärtigkeiten, zu denen Diener religiöser Reinheit fähig sind,
       dank internationaler Solidarität und juristischem Beistand entlassen worden
       war.
       
       Toomaj Salehi rappt mit der Verve eines schwer Entschlossenen und fordert
       sein Land zurück. Mangelnden Patriotismus können die Revolutionswächter dem
       gebürtigen Bachtiaren Salehi, er gehört zu einer der anerkannten ethnischen
       Minderheiten des Iran, nicht vorwerfen. Nur, sein Iran ist ein anderer als
       ihrer.
       
       ## Abgewürgter Fortschritt
       
       Welcher genau und welcher nicht, das lässt die historische Rückschau
       erahnen, die Omid Mirnour in seinen Film montiert und ihn damit auch zu
       einer Studie der neueren und neuesten Geschichte gemacht hat. Das Kapitel
       setzt mit Postkartenbildern ein und führt zu denen der Revolution von 1979,
       die nicht ausschließlich eine islamische war.
       
       Am Internationalen Frauentag, am 8. März 1979, gingen zehntausende
       Iranerinnen auf die Straße, um gegen den Diebstahl der Revolution durch die
       Theokratie, inklusive des Schleierzwangs, zu demonstrieren. Dieser
       abgewürgte Fortschritt ist der Iran von Toomaj Salehi, von allen anderen in
       diesem Film und von denen, die er nicht zeigen kann. Nur ein Jahr nach der
       Revolution von 1979 begann der achtjährige Krieg zwischen dem Irak und dem
       Iran, ein grausames Gemetzel, das als Erster Golfkrieg in die Geschichte
       eingegangen ist und keinen Sieger kannte.
       
       Erst danach konnte sich im Iran eine Rapszene herausbilden. Mirnours Film
       wirft einen Blick auf ihre Anfänge, die sich noch sehr an der
       nordamerikanischen Gangkultur orientierten. Der Rap, um den es ihm geht,
       ist sozial engagiert, integriert klassische iranische Melodien, greift auf
       lokale Motive zurück und ist überhaupt anders.
       
       ## Bildhafte und poetische Sprache
       
       Auf die Frage nach einer eigenständigen Rap-Ästhetik sagt Mirnour: „Die
       persische Sprache ist eine sehr bildhafte und poetische Sprache, die
       meisten Namen haben eine Bedeutung, die auch im normalen Sprachalltag
       verwendet wird. Omid zum Beispiel heißt Hoffnung. Das macht sich auch im
       persischen Rap bemerkbar.“
       
       Mirnour weiter: „Allgemein wird im Persischen sehr viel mehr umschrieben
       als zum Beispiel im europäischen Raum, in dem Themen einfach direkter
       beschrieben werden. Das hängt natürlich auch mit der starken Zensur im Iran
       zusammen, welche sich auf den Sprachgebrauch in der Kunst und damit auch
       auf die Musik auswirkt, da sich viele Künstler oftmals in einer Grauzone
       befinden.“
       
       Und dann gibt es noch etwas Grundsätzliches: „Inhaltlich hat die persische
       Musik, egal ob Rap oder Pop, eher einen melancholischen Twist, es wird oft
       über Trauer, Schmerz und Verlust gesungen und gerappt.“
       
       Ein Übermaß an Innerlichkeit und Romantik sollte man von „Rap & Revolution
       Iran“ dann aber nicht erwarten. Blaue Paläste und goldene Kuppeln sind
       Mangelware im Film, stattdessen gibt es Neubauten, Beton, Stahl und
       Straßenfluchten im Abend. Teheran bringt sie um, singt die Rapperin Roody
       in einem Clip, den Mirnour aufgreift.
       
       In diesen Momenten erinnert der Dokumentarfilm an einen [6][Spielfilm: „Ta
       Farda“ (Bis morgen) von Ali Asgari] über die Irrfahrt einer jungen,
       unverheirateten Mutter durch Teheran. Die Heldin lebt in einem Wohnungsbau
       aus den Siebzigern oder Achtzigern. Er scheint bessere Zeiten gesehen zu
       haben. Das klaustrophobische Gebäude erfährt seine Fortsetzung in der
       Großstadt, einem Moloch aus verstaubten Straßen, Tunneln und Sirenen.
       
       Nicht zuletzt macht „Rap & Revolution Iran“ deutlich: Der Aufstand hat eine
       soziale Komponente, der religiöse Furor des Regimes überdeckt notdürftig
       die ökonomischen Verwerfungen. Vor dem Hintergrund ist es ein Verdienst von
       Mirnours Film, dass er kein homogenes Bild zeichnet: Zu den Gegnern der
       Theokratie gehören der queere Hip Hop-Künstler Säye Skye wie der ehemalige
       Linke und jetzige Monarchist Shahin Najafi, der Bob Dylan Irans. Wenn der
       Rapper Nimo zum Ende von „Rap & Revolution Iran“ eindringlich die Einheit
       des Aufstands beschwört, ahnt man, warum.
       
       30 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robert Mießner
       
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