# taz.de -- Donald Sutherland gestorben: Eine andere, neue Art von Mann
       
       > Viele Kinorollen von Donald Sutherland waren Affronts gegen den
       > traditionellen Machohelden. Nun ist der Schauspieler im Alter von 88
       > Jahren gestorben.
       
 (IMG) Bild: Donald Sutherland in der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, Beverly Hills, 2017
       
       Die Prostituierte Bree (Jane Fonda) ist fassungslos. „Er kennt meine
       schrecklichsten Seiten“, sagt sie über ihren neuen Partner, den Polizisten
       Klute (Donald Sutherland), „hat mich gemein und hässlich erlebt. Und es
       scheint ihn nicht zu stören. Er scheint mich zu akzeptieren …“
       
       Alan J. Pakulas Psychothriller „Klute“ von 1971 zeigt eine andere Art von
       Mann auf der Kinoleinwand. Ein stiller, toleranter Held, der einer
       Partnerin Freiräume lässt, ihr auf Augenhöhe begegnet. Der in der ersten
       gemeinsamen Nacht zunächst nur den Schlafanzug und erst später, erst auf
       ihre Initiative, das Bett mit ihr teilt. Der die Entscheidungen einer Frau,
       sogar einer selbstbestimmten Prostituierten wie Bree, respektiert, ihr
       hilft, sie nicht ändern will.
       
       „Klute“ war Donald Sutherlands Durchbruch in eine neue Schauspielkategorie
       und in eine neue Welt. Der 1935 geborene Kanadier, der nach einem
       Ingenieursstudium in Toronto zur „London Academy of Music and Dramatic Art“
       gewechselt war, hatte in den frühen 60ern zunächst in britischen
       Theaterproduktionen und Fernsehserien gespielt, unter anderem hatte er
       einen Auftritt in „The Avengers“, und war zweimal neben Roger Moore in der
       TV-Serie „The Saint“ zu sehen.
       
       Die Gastrolle brachte ihm seine erste große US-Produktion ein: In Robert
       Aldrichs [1][Kriegsfilm „The Dirty Dozen“] spielte er neben Legenden wie
       Lee Marvin, Ernest Bognine, John Cassavetes und Charles Bronson einen von
       zwölf Sträflingen eines Strafbataillons im Zweiten Weltkrieg, das einen
       hochgefährlichen Einsatz ausführen muss.
       
       In einer Szene soll er sich als Militär-General ausgeben, der eine Truppe
       inspiziert. Sutherland schlakst daraufhin grinsend und kaugummikauend durch
       die Reihen, jede Bewegung ein Affront gegen den traditionellen Machohelden.
       
       In den späten 60ern und während des Vietnamkriegs politisierte sich das
       Klima in den USA, auch was Filminhalte betrifft. 1970 spielte Sutherland in
       den beiden bitteren Antikriegskomödien „M.A.S.H.“ und „Kelly’s Heroes“.
       Doch es war vor allem seine Partnerin in Pakulas die dunklen Seiten der USA
       thematisierenden Paranoia-Thriller, die Sutherland für die Dringlichkeit
       politischer Arbeit sensibilisierte: Nach der Scheidung von seiner zweiten
       Frau, mit der er die Zwillinge Kiefer und Rachel Sutherland hat, begann
       Sutherland während der Dreharbeiten zu „Klute“ ein Verhältnis mit der zur
       Aktivistin gewordenen Jane Fonda.
       
       ## Fuck The Army
       
       Gemeinsam produzierten die beiden einen Dokumentarfilm mit dem Titel
       „F.T.A.“ – das stand für „Fuck The Army“ und war der Name einer
       Anti-Vietnamkrieg-Roadshow, mit der man GIs erreichen und ihnen die
       Sinnlosigkeit und Unmenschlichkeit ihres Tuns klarmachen wollte.
       
       Die Beziehung zu Fonda hielt drei Jahre, und schien sowohl sein politisches
       Selbstverständnis – er blieb bis zum Lebensende Demokrat, unterstützte
       später aktiv Obama – als auch seine Auswahl nachhaltig beeinflusst zu
       haben: In den 70ern brillierte Sutherland weiterhin in tiefgründigen und
       hochkomplexen Rollen wie in „Fellini's Casanova“ und in Nicolas Roegs
       Verlust-Vexierspiel „Wenn die Gondeln Trauer tragen“.
       
       Nach Roeg benannte Sutherland einen seiner Söhne, die er mit der
       frankokanadischen Schauspielerin Francine Racette hatte – alle seine Söhne
       tragen die Namen von Regisseuren, die ihm wichtig waren.
       
       Sutherland spielte 1989 die Hauptrolle im Anti-Apartheits-Drama „Weiße Zeit
       der Dürre“ der Schwarzen, französischen Regisseurin Euzhan Palcy, in Oliver
       Stones prominent besetzten, dreieinhalbstündigen Politthriller „JFK“ gab er
       1991 den mysteriösen Regierungskritiker „Mr. X“. Er wurde viel und oft als
       Sprecher gebucht – seiner charakteristischen, distinguierten Stimme hörte
       man an, dass sie aus einem fast zwei Meter großen, schlanken Körper stammt,
       sein durch eine Exotropie, dem ganz leichten Auswärtsschielen eines Auges
       geprägter Blick war faszinierend.
       
       ## Junge Menschen politisieren
       
       Als er 2012 die wiederkehrende Rolle des „Coriolanus Snow“ im Fantasyhit
       [2][„Die Tribute von Panem“] übernahm, jagte einem seine ruhige
       Interpretation des weißhaarigen, faschistischen, streng riechenden
       Antagonisten Schauer über den Rücken.
       
       Sutherland hatte sich aktiv um die Rolle beworben: „Die Figur des
       Präsidenten war mir noch gar nicht angeboten worden“, sagte er in einem
       Interview. „Ich sah eine politische Qualität in dem Stoff, mit der man
       junge Menschen mitreißen, vielleicht sogar politisieren kann. Panem soll ja
       ganz klar die Vereinigten Staaten symbolisieren“. Sutherland schrieb einen
       Bewerbungsbrief an die Produktion, Regisseur Gary Ross war hocherfreut.
       
       2016 wurde Sutherland in die [3][Jury des Filmfestivals von Cannes]
       berufen, 2017 bekam er, nach vielen, vielen weiteren Auszeichnungen,
       endlich auch einen Oscar für sein Lebenswerk.
       
       Nachdem Donald Sutherland am Donnerstag nach langer Krankheit 88-jährig in
       Miami verstarb, verabschiedete sich sein Sohn Kiefer mit einem bezaubernden
       Foto, auf dem er als Kleinkind neben seinem Vater in die Kamera schaut, auf
       der Plattform X von ihm: „Keine Rolle hat ihn je eingeschüchtert, good, bad
       or ugly. Er liebte, was er tat, und er tat, was er liebte. Mehr kann man
       sich nicht wünschen.“
       
       21 Jun 2024
       
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