# taz.de -- Ankunft von Ukrainern in Berlin: TXL weiter am Netz
       
       > Am früheren Flughafen Tegel ist das Ukraine Ankunftszentrum TXL in
       > Betrieb gegangen. Bis zu 10.000 Geflüchtete können dort täglich erfasst
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Geflüchtete vor dem Registrierzelt am Flughafen Tegel
       
       BERLIN taz | Drei große weiße Zelte empfangen die Besucher. Seit Sonntag
       ist das neue „Ukraine Ankunftszentrum TXL“ auf dem Gelände des
       [1][ehemaligen Flughafen Tegel] in Betrieb. In Zelt eins und zwei befindet
       sich eine Registrierstraße.
       
       An langen Tischreihen mit Monitoren sitzen Bundeswehrsoldaten und speisen
       die Daten vor ihnen sitzender Geflüchteter in die Rechner ein. 120 dieser
       Schalter gibt es, an denen die Unterbringung in Berlin beziehungsweise
       Weiterleitung geregelt wird. Zelt drei ist ein Ruhe- und Aufenthaltsraum
       für alle, die noch am selben Tag mit Reisebussen weiterfahren wollen.
       
       Binnen einer Woche wurde die [2][Zeltstadt aus dem Boden gestampft] – ein
       Gemeinschaftswerk von Landesregierung, DRK, Messe Berlin und anderen
       Hilfsorganisationen. Eine Registrierstelle in dieser Form und Größe sei
       bundesweit nahezu einzigartig, sagte die Regierende Bürgermeisterin
       Franziska Giffey (SPD) am Sonntag bei einer Pressekonferenz auf dem
       Flughafengelände.
       
       Alle in Berlin eintreffenden Flüchtlinge sollen in dem Ankunftszentrum
       erfasst werden, bis zu 10.000 Ankommende täglich. „Das geht natürlich nur,
       wenn der Abfluss in andere Bundesländer zügig erfolgt“, so Giffey.
       Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) erläuterte das Prozedere am Sonntag
       so: Alle etwa am Hauptbahnhof ankommenden Ukrainer werden zunächst in das
       Willkommens-Zelt auf dem Bahnhofsvorplatz geleitet. Kurzes Ausruhen, etwas
       essen und trinken, dann geht weiter in bereitstehenden BVG-Bussen nach
       Tegel.
       
       ## Verteilprinzip Königssteiner Schlüssel
       
       Das Ankunftszentrum TXL gehe bei der Verteilung in andere Bundesländer nach
       dem Verteilprinzip EASY und dem Königssteiner Schlüssel vor. Nach dem
       [3][Königssteiner Schlüssel] ist Berlin für 5 Prozent der Geflüchteten
       zuständig. „Seit Mitte letzter Woche gilt der Königssteiner Schlüssel und
       wird auch umgesetzt“, erklärte Giffey.
       
       Direkt neben dem sternförmigen Terminal A/B am Rande des Rollfelds stehen
       die Zelte. Dahinter gibt es zehn Stellplätze für Reisebusse. Einige
       Doppeldecker stehen an diesem Sonntagnachmittag bereit zur Abfahrt in
       andere Bundesländer. Scheinbar aus den Nichts kommend rollt ein gelber Bus
       heran. „Sonderfahrt“ steht auf der rotierenden Anzeigetafel, gefolgt von
       einem „Willkommen“ auf deutsch, ukrainisch und russisch.
       
       Menschen mit Taschen und Rollkoffern steigen aus. Frauen mit zwei Kindern
       an der Hand, eine Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm, das eine Puppe
       umklammert. Helfer in neonfarbenen Westen winken die Frauen in Richtung des
       Registrierzeltes.
       
       Menschen, die Berlin „buchen“, so Sozialsenatorin Kipping bei der
       Pressekonferenz, durchlaufen im Ankunftszentrum die gesamte Registrierung.
       Danach würden sie maximal drei Nächte im Terminal A/B auf dem
       [4][Flughafengelände] untergebracht. Dort erfolge die erkennungsdienstliche
       Behandlung und ein Coronatest. Ferner besteht die Möglichkeit, sich impfen
       zu lassen, es gibt ein medizinisches Clearingverfahren und eine
       Krisenintervention. Auch für eine Kinderbetreuung ist gesorgt.
       
       ## 30 bis 40 Prozent sind Kinder
       
       Rund 30 bis 40 Prozent der Ankommenden seien Kinder, so DRK-Chefin Gudrun
       Sturm. Manche Kinder stünden „total unter Strom“. Man versuche die Kinder
       abzulenken und zu unterhalten. Beim Fußballspielen sei zu beobachten, wie
       sie sich entspannen. „Da geht einem das Herz auf“. Es werde alles dafür
       getan, die Familien nicht auseinanderzureißen. Für einen Großvater, der
       eigentlich in eine Pflegeeinrichtung gehört hätte, habe man eine
       24-Stunden-Betreuung bis zur Weiterfahrt besorgt.
       
       So wie die Kleingruppen ankommen, versuche man sie beisammen zu lassen,
       bestätigte Kipping. Manche Mütter hätten nicht nur die eigenen Kindern
       dabei, sondern auch die von Freunden, die in der Ukraine geblieben seien.
       Als unbegleitete Minderjährige müssten sie eigentlich in staatliche Obhut,
       davon werde aber abgesehen. Auch Mitglieder von jüdischen Gemeinden, die
       gemeinsam geflohen seien, wolle man keinesfalls auseinanderreißen. „Wir
       versuchen sie gemeinsam da unterzubringen, wo es jüdisches Leben gibt“.
       
       Nach Angaben des Präsidenten des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten
       (LAF) Alexander Straßmeir wird das Ankunftszentrum in drei Schichten rund
       um die Uhr besetzt sein. Neben den Bundeswehrsoldaten – der Einsatz ist bis
       zum 31. März bewilligt – sollen ab Montag auch Beschäftigte der
       Landesverwaltung bei der Registrierung helfen. Bis zum 10. April seien 50
       Neueinstellungen geplant, auch das, so Straßmeir, „ist ein Novum“.
       
       Die Erstunterkunft im Terminal ist für insgesamt 2.600 Personen ausgelegt.
       Dafür sind die Ankunfs- und Abflugbereiche mit Trennwänden durchzogen. In
       den auf diese Weise geschaffenen Räumen stehen Doppelstockbetten. Es gibt
       kleinere und größere Nischen, das Minimum in einer Nische sind zwei
       Doppelstockbetten, die meisten sind deutlich größer. Insgesamt 250
       Schlafplätze befinden sich in den jeweiligen Teilbereichen des Terminals,
       oben auf der Galerie jeweils weitere 106. Die Dusch- und Sanitäranlagen
       sind draußen neben den Flugsteigen in Containern untergebracht.
       
       Plan sei, die Menschen möglichst schon am nächsten Tag in die
       Zieleinrichtungen zu bringen, sagte Straßmeir. „Also dahin, wo sie die
       Flucht beenden“.
       
       ## Ehrenamtliche rufen um Hilfe
       
       Während sich die staatlichen Strukturen also langsam aufbauen, kriechen die
       freiwilligen Helfer*innen in der 4. Kriegswoche auf dem Zahnfleisch. So
       haben sich die Ehrenamtlichen vom Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) –
       [5][ähnlich wie zuvor schon die Gruppe vom Hauptbahnhof] – mit einem
       Hilfsruf an die Öffentlichkeit gewandt. Die Menschen der
       selbstorganisierten Gruppe Berlin Arrival Support „können die zunehmend
       mental und physisch belastende Situation nicht weiter alleine tragen“,
       heißt es in der am Sonntag veröffentlichten Erklärung. Der Staat dürfe die
       Krisensituation nicht länger ignorieren. „Es bedarf sofort und dringend
       Unterstützung durch den Bund in Form von Personal und menschengerechter
       Unterkünfte in ausreichender Zahl“, fordern sie.
       
       Über 350 Freiwillige organisieren quasi seit Kriegsbeginn das Ankommen von
       täglich mehreren hundert Flüchtlingen am ZOB. Oft seien es sogar bis zu
       2.500 Flüchtlinge an einem Tag, sagt Johannes Klein, Pressekoordinator der
       Gruppe „We at ZOB“. Alle Ankommenden würden von Dolmetschern begrüßt. „Sie
       fragen, ob sie Hilfe brauchen, ob sie eine Adresse in Deutschland haben
       oder einen Plan. Die meisten haben keinen. Wer will, kann sich hier
       ausruhen, wir helfen mit dem weiteren Weg, vermitteln zum Beispiel in eine
       private Unterkunft.“
       
       Das erste Problem: Viele Helfer*innen machen diese Arbeit seit Wochen,
       sind 12 bis 24 Stunden nonstop im Einsatz – weil es sonst niemand macht.
       „Ich komme gesundheitlich an meine Grenze“, sagt zum Beispiel Tina Wendel,
       Studentin, derzeit fulltime im Housing-Team.
       
       Das zweite Problem: Die Strukturen, die die Helfer*innen brauchen, um so
       vielen Ankommenden adäquqat zu helfen, kommen dem Bedarf nicht hinterher.
       Alles, was es inzwischen am ZOB gibt – Wärmezelt, Sanitäranlagen, Container
       für die Helfer*innen, BVG-Shuttle zum Hauptbahnhof – sei nur nach Drängeln
       und Betteln eingerichtet worden, sagt Klein. Das sei zu wenig.
       
       ## Zu unflexibel, zu langsam
       
       „Ich sehe das Bemühen des Senats, aber diese bürokratischen Strukturen sind
       zu unflexibel und zu langsam“, sagt Jasemin Acar. Sie ist die
       Haupt-Koordinatorin, hat mit anderen über die Telegram-Gruppe
       „International Arrival Berlin“ die Ankommenssituationen an Hauptbahnhof,
       Südkreuz und ZOB organisiert. Konkret fordert Acar bessere Bedingungen in
       den großen Notunterkünften: „Wir brauchen Tegel, wir brauchen die
       Messehallen – aber da muss mehr passieren“, sagt sie. Mehr Dolmetscher,
       meint sie damit, und mehr Angebote für vulnerable Gruppen wie Behinderte,
       Queers, People of Colour. „Es kann nicht sein, dass sie alle ins selbe Zelt
       müssen.“
       
       Außerdem müsse die Zusammenarbeit mit den Freiwilligen besser werden: So
       hätten sie vom LAF eine Telefonnummer bekommen, die helfen soll, vulnerable
       Flüchtlinge unterzubringen. „Dort bekommen wir nur unzureichende Auskünfte,
       darum sind wir auch dabei wieder auf uns gestellt“, sagt sie.
       
       Also ist Berlin heute nicht besser aufgestellt als 2015/16? „Naja, der
       Krieg ist in der 4. Woche – und wir Freiwilligen übernehmen immer noch die
       Hauptarbeit am ZOB. Das wäre eigentlich eine staatliche Aufgabe“, sagt
       Acar.
       
       21 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Flughafen-Tegel-bleibt-offen/!5686429
 (DIR) [2] /Neues-Ankunftszentrum-fuer-Gefluechtete/!5841030
 (DIR) [3] /Fluechtlingsaufnahme-in-Berlin/!5838458
 (DIR) [4] /Gefluechtete-aus-der-Ukraine/!5838513
 (DIR) [5] /Essensversorgung-fuer-Fluechtlinge/!5842551
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Plutonia Plarre
 (DIR) Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Flughafen Tegel
 (DIR) Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Berlin
 (DIR) taz Plan
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Masernausbruch im Ankunftszentrum Tegel: Virus entscheidet nicht nach Asyl
       
       Neun Bewohner des Ukraine-Ankunftszentrums haben sich mit Masern
       angesteckt. Es wird jetzt erst geimpft.
       
 (DIR) Aufnahme von Geflüchteten: Alles besser als Turnhallen
       
       Die Zahl der Geflüchteten steigt und steigt. Händeringend werden
       Unterkünfte gesucht. Integrationssenatorin will Notschlafplätze in TXL
       offen halten.
       
 (DIR) Energieversorgung in Berlin: Vattenfall steigt aus
       
       Keine Kohle mehr aus Russland: Berlin bereitet sich auf das Embargo im
       August und einen weiteren Zustrom von Flüchtlingen vor dem 9. Mai vor.
       
 (DIR) Aktivismus in Berlin: Gegen Krieg und Klimakrise
       
       Multiple Krisen erfordern multiplen Aktivismus. Diese Woche geht's auf die
       Straße gegen Krieg, Klimakrise und altbekannte Immobilienhaie.
       
 (DIR) +++ Nachrichten zum Ukrainekrieg +++: 10 Millionen Menschen auf der Flucht
       
       Die Zahl der geflüchteten Ukrainer:innen in Deutschland steigt auf
       218.000. Wirtschaftsminister Habeck vereinbart mit Katar eine „langfristige
       Energiepartnerschaft“.
       
 (DIR) Ukraine-Flüchtlinge in Berlin: Geordnetes Chaos
       
       Die vielen Ukraine-Geflüchteten machen auch den Berliner Bezirksämtern
       Arbeit: Die Schlangen vor Sozialämtern werden länger.
       
 (DIR) Geflüchtete aus der Ukraine: Mit Hund und Katze auf der Flucht
       
       Viele Geflüchtete kommen mit Haustieren. Aber fast alle Bundesländer
       verbieten Tiere in den Unterkünften. Tierschutzverein appelliert, das zu
       ändern.