# taz.de -- Anthroposophische Medizin: Sie quälen sich mit Schmerzen
       
       > In der Anthroposophie sind Kinderkrankheiten für eine gesunde Entwicklung
       > unverzichtbar. Es kann zu medizinischer Vernachlässigung von Kindern
       > führen.
       
 (IMG) Bild: Schmerzmittel werden in der anthroposophischen Medizin als gewaltsame Manipulation von natürlichen Prozessen gesehen
       
       Masern, Windpocken, Mumps, Röteln, Keuchhusten – ich hatte alles, denn als
       gutes [1][Waldorfkind] war ich nicht geimpft. Behandelt wurde ich mit
       Globuli, Hausmitteln und Präparaten von [2][Weleda], Wala und Co. Ich
       erinnere mich an intensive Gefühle von Umsorgtsein. Aber ich erinnere mich
       auch an beängstigende Fieberträume, heftige Schmerzen und ein
       unerträgliches Jucken.
       
       In meiner [3][Kinderwelt] war das alles normal und gehörte nun mal dazu.
       Nach den Schmerzen und dem Elend kam dann die zähe Langeweile, denn in der
       vermaledeiten „Kindersprechstunde“, einem Standardwerk für Waldorfeltern
       seit 1984, wird von jeglicher „Berieselung“ mit Medien aller Art und sogar
       dem Blick auf gemusterte Tapeten streng abgeraten.
       
       Das Thema Impfungen und Schmerzmittel ist wahnsinnig emotional und
       kontrovers unter ehemaligen Waldorfkindern, denn es ist sehr eng mit
       Schmerzen und Ängsten, aber auch mit Liebe und Vertrauen in die Eltern
       verbunden. Ich war lange loyal und habe nicht hinterfragt, ob man
       Ohrenentzündungen auch anders hätte behandeln können als mit
       Zwiebelsäckchen und „den richtigen“ Zuckerkügelchen. Mein erstes
       Schmerzmittel nahm ich mit über 20 – bei einer heftigen
       Gehörgangsentzündung, wegen der ich auch zum ersten Mal in einer
       Notaufnahme und von der Wirkung einer antibiotischen Salbe beeindruckt war.
       
       ## Vermeidbares Leid
       
       Durch den Austausch unter #exwaldi weiß ich, dass es nicht nur viel
       vermeidbares Kinderleid gab und gibt, sondern auch Fälle, wo Kinder
       beispielsweise für den Rest ihres Lebens auf einem Ohr taub wurden,
       Geschwisterkinder wahnsinnige Angst hatten und wo Kinder nur noch durch
       Intensivmedizin oder gar nicht mehr gerettet werden konnten. Zuvor kannte
       ich nur die heroischen Krankheitsgeschichten, die im Waldorfumfeld gerne
       erzählt wurden.
       
       Anthroposophische Medizin ist keine „sanfte Medizin“. Es ist eine
       „Medizin“, in der Schmerz eine nicht wegzudenkende, zentrale spirituelle
       Rolle spielt. Auch bei Kindern! Es ist eine medizinische Weltanschauung, in
       der Schmerzmittel als gewaltsame Manipulation von natürlichen Prozessen
       gesehen werden und Kinderkrankheiten für eine gesunde Entwicklung
       unverzichtbar sind. Das kann zu medizinischer Vernachlässigung von Kindern
       führen. Zu realisieren, welches Ausmaß an Schmerzen und Elend mir meine
       Eltern hätten ersparen können und dass sie mich unnötig gefährdet haben –
       das ist hart. Ich weiß, es war in bester Absicht und in vollstem Vertrauen
       zu unserem anthroposophischen Kinderarzt.
       
       Aber was war damals außerhalb der Waldorfgemeinschaft normal? Die Stiko
       empfahl die Masern- und Rötelnimpfung seit 1973, Mumps seit 1976 und seit
       1980 dann MMR als Kombi. Keuchhusten seit 1991 und Windpocken seit 2004.
       Paracetamol war seit 1959 auf dem Markt und Ibuprofen ist seit 1989
       rezeptfrei erhältlich.
       
       Erst mit 30 habe ich in einer niederländischen Drogerie mit gemischten
       Gefühlen meine erste Packung gekauft. So viele von uns haben sich wie ich
       Jahrzehnte ohne Schmerzmittel oder auch Antihistaminika gequält. Wenn man
       nur Placebo und Hausmittel gewohnt ist, sind schnell wirksame Medikamente
       im Erwachsenenalter eine Offenbarung.
       
       Überhaupt: Wirksame Medikamente! Es gibt sie und es gab sie auch damals
       schon. Sie wurden (und werden) vielen Waldorfkindern leider aus
       ideologischen Gründen vorenthalten.
       
       29 Jan 2024
       
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